Sarah Glicker

Mafia Brothers


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letzten Wochen gemacht?“, fragt sie ein zweites Mal und reißt mich so aus meinen Gedanken. Dabei bedeutet sie mir, dass ich ihr folgen soll.

       Gemeinsam gehen wir in die Küche, wo ich mich an den gedeckten Tisch sinken lasse. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken, während ich versuche eine geeignete Antwort zu finden. So leicht ist das allerdings nicht, da ich eigentlich nichts gemacht habe.

       „Ich hatte auf der Arbeit viel zu tun“, gebe ich schließlich von mir. „Und dann habe ich mich viel mit meinen Freundinnen getroffen.“

       Es ist gelogen, doch das muss sie nicht wissen. Die Hauptsache für mich ist, dass sie es mir glaubt.

       „Wirklich, ich weiß überhaupt nicht, wieso du dich nicht mit Jason verstehst. Ihr seid beide Arbeitstiere, wie es Opa immer so schön gesagt hätte“, murmelt sie und schüttelt den Kopf. „Manchmal frage ich mich, ob ihr euch überhaupt ein freies Wochenende gönnt. Aber vielleicht ist das auch genau euer Problem.“

       „Was meinst du?“ Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich keine Ahnung habe, wovon sie spricht.

       „Ihr seid euch einfach zu ähnlich.“

       Meine Mutter verzieht das Gesicht, als würde sie darüber nachdenken. Doch ich ziehe es vor, nicht weiter auf diesen Gedanken einzugehen.

       „Ich mache meinen Job gerne“, gebe ich nur von mir und zucke mit den Schultern.

       Einen Moment sieht sie mich nachdenklich an, bevor sie sich wieder auf das Essen konzentriert. Dennoch habe ich das Gefühl, als würde es da noch etwas geben, was sie zu diesem Thema von sich geben will.

       „Und was war bei euch los?“, erkundige ich mich, bevor sie es sich anders überlegt und ihr Schweigen bricht.

       Die nächsten Minuten berichtet meine Mutter mir, was in der bei ihr und Dad passiert ist. Allerdings ist es nicht ganz so viel, wie ich von ausgegangen bin. Die meiste Zeit sind die beiden auf der Arbeit beziehungsweise mit dem Ausbau des Dachbodens beschäftigt, aus dem sie eine Art Hobbyraum für die Modellautos meines Vaters machen wollen.

       Ich bin so sehr auf die Unterhaltung mit ihr konzentriert, das sich erschrocken zusammenzucke, als ich plötzlich die Stimme meines Bruders dicht hinter mir wahrnehme. Langsam drehe ich mich um und stelle fest, dass er mich keine Sekunde aus den Augen lässt. Dann wendet er sich jedoch von mir ab und begrüßt unsere Mutter, als wäre nichts.

       Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich mich wieder im Griff habe, doch dann schaffe ich es, mir meinen Ärger nicht anmerken zu lassen.

       Während des Essens spüre ich die ganze Zeit seinen Blick auf mir. Mir ist bewusst, dass ihn unsere letzte Unterhaltung nicht gefällt, doch es ist mir egal. An meiner Meinung wird sich nichts ändern. Dieses Mal werde ich standhaft bleiben!

       Ich versuche mich auf das Gespräch zu konzentrieren, das um mich herumgeführt werden. Doch ich schaffe es nicht. Dies geht soweit, bis ich nicht einmal mehr in der Lage bin, am Tisch sitzen zu bleiben.

       Plötzlich packt der Fluchtinstinkt mich, den ich nicht mehr unter Kontrolle behalten kann.

       „Ich bin gleich wieder da“, verkünde ich und stehe so energisch auf, dass der Stuhl mit einem scharfen Ton über die Fliesen rutscht.

       Als ich den überraschten Blick meiner Mutter erkenne, merke ich, dass es vielleicht etwas zu energisch war, doch darum kann ich mich jetzt nicht kümmern. Ohne sie ein letztes Mal anzusehen oder noch etwas zu sagen, verlasse ich die Küche und gehe ins Bad. Ich habe nur noch den Wunsch von hier zu verschwinden und soviel Abstand wie möglich zwischen Jason und mich zu bringen. Doch gerade muss ich mich damit begnügen, das Zimmer zu verlassen.

       Nachdem ich die Tür des Badezimmers hinter mir abgeschlossen habe, lasse ich mich dagegen sinken.

       Einige Sekunden stehe ich dort, habe die Augen geschlossen und versuche mein wild schlagendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen. Erst dann gehe ich zum Waschbecken und werfe einen Blick in den Spiegel.

       Ich bin blass im Gesicht, sodass es mich nicht wundert, dass meine Mutter mich so angesehen hat. Außerdem zittert mein gesamter Körper.

       Wahrscheinlich wird sie mir nachher noch einmal sagen, dass ich mal Urlaub machen soll, denke ich.

       Und das würde ich gerne, allerdings ist auch das nicht so einfach, wie sie es sich vielleicht denkt.

       Da ich nicht ewig im Bad bleiben kann, schiebe ich das schnell wieder zur Seite und sammle mich. Erst als ich mir sicher bin, dass ich nicht jeden Augenblick etwas machen werde, was ich wahrscheinlich bereuen werde, gehe ich wieder hinaus. Doch kaum habe ich die Tür geöffnet, bereue ich es bereits wieder.

       Nur wenige Zentimeter von mir entfernt steht mein Bruder und sieht mich von oben bis unten an.

       „Du solltest mehr schlafen. Schließlich hast du bald eine wichtige Verabredung“, stellt er dann fest.

       Ein hinterhältiges Grinsen hat sich auf seinem Gesicht breit gemacht, während seine Worte langsam bei mir ankommen.

       „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich diesen Termin nicht wahrnehmen werde“, kontere ich entschieden.

       Ich lasse keinen Zweifel daran, dass ich es genauso meine, wie ich es gesagt habe. Doch ich erkenne auch, dass er nicht zufrieden mit meiner Antwort ist. Um genau zu sein, spannen sich seine Muskeln an und seine Lippen bilden nur noch eine dünne Linie. Mir ist bewusst, dass er wütend ist und leider weiß ich auch, was nun kommen wird.

       Bevor ich die Chance habe, einen Schritt nach hinten zu gehen, umgreift er fest meinen Arm und zieht mich hinter sich her in das Arbeitszimmer unseres Vaters. Nachdem er leise die Tür hinter sich geschlossen hat, baut er sich bedrohlich vor mir auf.

       Und dann spüre ich nur noch, wie seine Hand in meinem Gesicht landet.

       Der Schlag ist so fest, dass mein Kopf zur Seite fliegt. Sofort gehe ich ein wenig in die Knie und fasse ich mir an die Stelle, an der er mich getroffen hat. Ich spüre das Brennen, welches von ihr ausgeht. Mir schießen die Tränen in die Augen, doch ich halte mich zurück. Ich will ihm nicht diese Macht über mich geben.

       „Ich habe eigentlich gedacht, dass wir das schon ausführlich geklärt haben“, brummt er. „Du machst, was ich sage und wann ich es sage. In den letzten Jahren hat es doch auch funktioniert. Ich verstehe nicht, wieso du jetzt so ein Drama deswegen machst. Dieser Mann ist ein sehr einflussreicher Geschäftspartner von mir und er würde gerne meine Schwester kennenlernen. Ich rate dir, diesen Job ordentlich zu erledigen. Es geht für mich um eine Menge Geld.“

       „Bitte“, flehe ich ihn an.

       Meine Stimme ist brüchig, da ich versuche, die Tränen für mich zu behalten.

       Sein heiseres Lachen ertönt und zeigt mir, dass es ihn nicht interessiert. In der nächsten Sekunde greift er nach meinem Kinn und hält es fest, sodass ich ihm nicht ausweichen kann.

       Nun läuft mir doch eine einzelne Träne über die Wange bis zu meinem Kinn.

       „Ich habe dir bereits beim letzten Mal gesagt, dass es mir egal ist. Es wird Konsequenzen haben, wenn du dich nicht an meine Anweisungen hältst. Und du kannst mir glauben, dass du das nicht erleben willst.“

       Einige Sekunden starrt er mich finster an, ehe er mich so ruckartig wieder freigibt, dass ich nach hinten stolpere.

       „Und jetzt wirst du nach Hause fahren und dich ins Bett legen. Schließlich will ich mir nicht anhören müssen, dass ich meine Schwester nicht gut behandle. Bei den anderen Mädchen wäre mir das egal. Wenn ich diesen Vorwurf allerdings bezüglich meiner Schwester bekomme, ist das doch etwas anderes.“

       Ich kann nicht verhindern, dass ich ihn mit zusammen gekniffenen Augen ansehe.

       „Das wirst du früher oder später dir aber anhören müssen“, flüstere ich.

       Ich habe keine Ahnung, woher ich den Mut nehme, ihm diese Worte gerade entgegenzuschleudern, doch ich bin froh darüber, dass ich ihn habe.