Roma Hansen

bernsteinhell


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ich dich nicht, Vedder, steige ab hier am Abzweig!“

      Vedder humpelt los, zielstrebig wie sein Gespür voraus fliegt gen Schafstall, und in eine Erklärung.

      „Son Schietwetter!“, äußert Ansgar bald, Vedder am Weg ein Stück begleitend. Vor die steile Schneefläche am Dach der Kate angekommen, wischt er sich die Stirn ab.

      „Rücke raus, mein Freund. Hat dich die Liebe erwischt?“

      „Na ja, seit Herbst geistert die in mir. Wollte nur Helena nach dem Unglück meine Hilfe antragen.“

      „Spät genug für Beides“, kommentiert Ansgar. „Helena sagt, wie sie es haben will. Du wirst staunen, wenn ich ihr die anderen Sachen bringe, denn dann kommst du mit. Rike scheucht mich, alles rasch zu erledigen. Tschüss.“

      Es schneit in den folgenden Tagen ununterbrochen, deckt weiche Hauben über alles und dämpft jedes Geräusch, sogar das trockene Rascheln bei Helenas Heuausstopfen der Stricktiere. Die Stille schenkt Helena schöpferische Ideen. Die Herdwärme belebt wohltuend ihre mit Nadeln hantierenden Finger. Fast vergisst sie den Bruch von Vedders Versprechen. In ihrem Alleinsein beachtet sie mehr ihre zarten Züge, freundlich mit sich. Weil sie auch immerzu bedenkt, viele Lüüt draußen erstarren an harter Not. Sie selbst durchlebt, durchnäht ihre Nagelprobe mit den Fingern, würde weiterhin mit den Nägeln daran, und hervor aus ihrem Wesen, für sich ihre gefestigte Substanz ausbilden.

      Ihre innere Einstellung erprobt Helena, als ein frostklarer Mittagshimmel sich über dem Land wölbt, und Ansgar und Vedder an der Kate vorfahren. Vedder nimmt eine Kiste vom Wagen, geht die Stufen aufwärts zu Helena.

      „Ihr bringt mir die Geräte meiner Werkstube? Prächtig!“

      Ansgar lacht laut über ihr Staunen, schubst Vedder an Helena vorbei. In der Kök zerrt Vedder seine Kappe vom Kopf, hält unschlüssig die Kiste. Helena winkt ihn zur Kammer, öffnet die Tür hinein.

      „Auf den klotzigen Tisch am Fenster damit! Der stammt noch aus Joos’ Zeiten, hat durch mich einen neuen Zweck!“

      Im Hineingehen zieht Ansgar seine Winterjacke aus, legt sie ab am Tisch, und kraust die Brauen. Ein Brummeln steigt aus seiner Kehle, die er räuspert und sich zu Vedder umwendet.

      „Stell die Kiste endlich her, aber behutsam!“

      Als Vedder es wie geheißen erledigt, entnimmt er ein Fass und ein eigenartiges Gerät, an dem er hantiert und Helena anspricht.

      „Dir fabrizierte ich das, was mir lange im Kopf lag. Sieh, mit einer Kurbel bedienst du den Schleifer und zugleich den Bohrer. Je nachdem woran du arbeitest, drehst du am Hebel. Die Klemme der Zwinge hält Steine aller Größen fest.“

      „Ach, ich verdanke dir viel! Du bist ein wahrer Freund!“

      „Ja, dem Erfinden Spaß macht. Probiere das Polierfass aus, dann leuchten deine Augen noch mehr.“

      „Strandsand habe ich keinen. Das funktioniert schon! Kommt jetzt beide auf einen Tee ins Warme, dann schnacken wir!“

      Im Vorbeigehen schenkt sie Vedders scheuen Augen einen auffordernden Blick. Den erwartete er in der ganzen Zeit, in der sie nur das Werkzeug sah. Seine Kehle wird trocken und rau, reden würde so schwierig werden wie einem ihr Fremden, der solche Blicke nur aufsaugt. Also greift er drei Köppen vom Wandbord. Still steht er dann vor der mit wolligen Stofftieren übersäten Tischplatte.

      „Siehst du!“, meint Helena, heiter im Ton, „gut ging es mir von der Hand. Warte einen Moment, ich räume es fort, setze den Wasserkessel nur eben auf den Herd. Neue Töpfe habe ich keine, die Alten wackeln eine Weile noch!“

      Sie stellt den Kessel auf, zum Wärmen eine Kanne, misst Tee hinein, geht dann rasch zum Milchtisch, füllt ein Kännchen, rückt es neben den Wasserkessel. Helena räumt den Tisch frei, hält aber inne.

      „Die Kök sollte stets gemütlich sein für lieben Besuch. In die Kammer setze ich mich zum Nähen und lasse die Tür offen zur Wärme. Mehr Holz müsste ich hereinholen.“

      „Das erledige ich für dich, Helena!“

      Aufatmend stellt Vedder die Becher an den Tischrand rundum, stapelt flink wie der Wind die Scheite aus der Nische in den Kamin, eilt danach zur Hintertür hinaus.

      Der Klang der so hastig geworfenen Hölzer schwingt im Raum, sickert verheißungsvoll in Helenas Ohren. Sie lächelt dem nach, der da ist und wieder herein kommt. Das schlingernde Sinnliche könnte mit ihm eintreten ...

      Zu Dritt sitzen sie um die dampfenden Teebecher, ihre Hände wärmend. In Erwartung, Vedder oft wiederzusehen, und um ihn in aller Bescheidenheit aufzufordern, meint Helena:

      „Bestes Wetter für einen Brennholzschlitten, Vedder.“

      „Mein Fuß heilte vollends. Bevor es dunkel wird, könnte ein wuchtiger Teil vom Windbruch aus dem Schnee geholt sein.“

      Vedder schaut Ansgar an, nickt auffordernd.

      „Du bist beschäftigt!“, tönt Ansgar, rau aus Gewohnheit, wo es nur gehe Arbeit anzuweisen. Ansgar sieht hinüber zu Helena, ihre Augen funkeln. Weniger rau, sogar besorgt und zärtlich spricht er.

      „Im Wege steht deinem Probelauf nichts. Schleifen zeige ich dir noch, bevor wir zurückfahren.“

      „Muss überlegen, an welchem Stück es schief gehen dürfte!“

      Helena reibt ihre Wangen, bedenkt flüchtig die Schatulle am Speicher. Oben ist es viel zu kalt, um Brocken zu suchen, an denen es egal wäre, stelle sie sich ungeschickt an. Oh, die Fundstücke habe sie doch auch aufbewahrt und sogar in der Nähe!

      Zur Truhe geht sie, kehrt zurück an den Tisch und kippt den Sammelbeutel aus, „in Gottes Namen“ murmelnd. Unerwartet tritt in der selben Sekunde in sie der Traum von den bernsteinhellen Augen im bezopften Kindergesicht. Magisch berührt davon zittern Helenas Finger, fühlen es ganz und gar. Rasch streift sie durch das Häuflein, zeigt dann an jenen handtellergroßen Brocken, den sie vor ihrer von Glück besonnten Hüpferei am Strand fand.

      „Könnte ich einen Schmuckanhänger daraus machen, Ansgar?“

      „Sehr groß ist er. Stört es dich nicht? Wäre schade, etwas so Kostbares kleiner als nötig zu machen.“

      „Vedder? Sag du!“ Helena dreht den Stein des damals sie berauschenden Glücksmomentes im Licht.

      „Der ist selten zu finden, kommt aus tiefer See. Mach, wie du denkst. Tee ist getrunken. Bis später.“

      Seine Fellkappe aufs Haar drückend, schnellt Vedder zur Tür hinaus. Helena blickt ihm nach. Ansgar räkelt sich, winkt ihr.

      „Da bist du platt, was? So kurzangebunden ist der Sturkopf, seit er weiß wir fahren zu dir. Lass dir davon nichts verderben! Komm, ich brenne darauf, zu sehen, wie du klarkommst.“

      Helena seufzt leise, rückt dann ihren Schemel in der Kammer neben Ansgar vor das sonderbare Werkzeug. Schon erfasst sie des Steines fertige Form, fühlt auch die Euphorie darin, voll Begeisterung gehüpft zu sein. Ein Omen, all dem die Stirn zu bieten, das daherkomme, oder hinfort renne.

      „Aha, simpel, damit beginne ich“, murmelnd, legt Helena den Hebel um, führt ihre Hand zur Kurbel.

      Staubigen Puder scheuert das Schleifband vom Rand. Kanten entstehen, nach und nach ein mäßiges Oval, während Helena ihre anfängliche Scheu vor dem Gerät verliert.

      Ansgar betrachtet die regen Finger, hört ihr Stoßatmen über ihrem konzentriert eingezogenen Mund. Dahinter spielt die Zunge an der Haut zum Kinn. Sähe er bald die rosige Spitze die Lippen lecken? Ansgar greift sich an den Nacken, nimmt dann das Oval, reibt mit dem Daumen an den Schleifstellen.

      „Feile die Unterseite etwas großflächiger. Danach wirkt die Vorderseite mehr, als wölbe sie sich.“

      Helena schafft es leidlich, und steht in Kürze abrupt auf.

      „Das war die erste der langen Reihe von Stunden. Es macht Spaß, aber die Anspannung