Benjamin Stutz

Die Laternenwald-Expedition


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und fermentierten Bohnen. Das Trauma der letzten Tage verkrampfte ihr noch immer den Magen. Anker hatte Pitt, Pott, Patty und Putt in die Küche gesperrt, da sie versucht hatten, auf Kelis Schoss zu klettern, während sie aßen. Grelles Gejaule hinter der Küchentür machte verständlich, dass die Gurken mit dem Verlauf der Dinge nicht glücklich waren. Nachdem sie fertig gegessen hatten, ließ Anker sie wieder raus und die beiden machten sich, während die Gurken frohsinnig über jedes bekriechbare Etwas purzelten, bereit für die Abreise. Es war selbsterklärend, dass Keli nichts außer den Sachen, die sie gerade trug, einer Zahnbürste, die ihr Anker am Vorabend gegeben hatte und dem Diplomatenpass besaß. Deshalb stand Keli nach dem Frühstück vor dem Badezimmer nicht recht wissend, was sie ohne frische Kleider tun sollte. Vielleicht sollte sie Anker mitteilen, dass sie für die Expedition noch ein oder zwei Paar Socken brauchen würde, doch danach zu fragen, war ihr peinlich.

      Anker war in den Keller verschwunden, doch seine sich nähernden, polternden Schritte kündigten bereits seine Rückkehr an.

      Anker kam mit drei üppig bepackten, dunkelfarbenen Rucksäcken zurück. Einen davon streckte er Keli hin.

      »Hast wohl geglaubt, du müsstest die nächsten Wochen mit derselben Unterhose verbringen?«, gluckste Anker, der sich über Kelis Unbeholfenheit amüsierte.

      »Wow, vielen Dank. Wann hast du das denn alles vorbereitet?«

      »Nicht der Rede wert. Das bisschen Zeit, das ich für den zusätzlichen Pass und Proviant einbüßen musste, ist es allemal wert, gut vorbereitet zu sein. Das Schlimmste auf einer Expedition ist es nämlich, nicht zu wenig Schlaf gehabt zu haben, sondern schlecht auf das vorbereitet zu sein, was möglicherweise schiefgehen könnte – und davon gibt es eine ganze Menge. In deinem Rucksack findest du ein kleines Zelt für zwei Personen, Kleider für eine Woche in einer universalen Größe – sodass jeder, der sie braucht, sie tragen kann –, Nahrungsmittel für eine Woche, eine gefüllte Wasserflasche, einen Regenmantel, ein paar Gummistiefel, allerlei Toiletten-Artikel, ein Allzweckmesser, ein Stahlstäbchen mit Flint – um Feuer zu machen –, Zunder, ein paar Meter Seil – ist immer gut –, und zuletzt noch ein Steinvoll gebündeltes Altes Sonnenlicht, um der Überschwärzung in Kael standhalten zu können, bis wir bei der Forschungsstation ankommen. Damit du im Notfall informiert bist: In meinem und Loyds Gepäck befindet sich das Gleiche nochmal.«

      Keli wurde nun auf einmal ein wenig zappelig. Erst jetzt begriff sie so richtig, wofür sie sich da entschieden hatte. Sie würde zum berüchtigten Schwarzen Zentrum reisen, wo nur die allerwenigsten Wesen jemals einen Fuß hineinsetzen. Was sie dort wohl erwartete? Ein aufgeregtes Kribbeln irgendwo tief in ihrer Brust machte sich bemerkbar.

      Ein wenig später trat Keli erfrischt und in ihrem neuen Outfit aus dem Badezimmer, gerade als die Türglocke klingelte. Anker warf sich die restlichen zwei Rucksäcke über die Schulter und schlurfte zur Eingangstür, die er prompt mit seinem Ranzen aufstieß. Eine ältere, aber gepflegt aussehende Frau trat herein. Sie hatte graues, gescheiteltes Haar und trug teuer aussehende Edelsteine in Form von Ringen an der Hand und als Kette um den Hals.

      »Ah, Kanako, die Dirigentin! Schön, dich zu sehen«, sagte Anker, der seine Arme weit ausbreitete, die Frau umschlang und ihr einen saftigen Kuss auf die Wange drückte.

      »Ganz meinerseits«, entgegnete Kanako vergnügt. Wo sind denn die süßen Viechlein? Puu–tzi, putzi, putz«, dudelte sie durch das Esszimmer.

      Keli, die sich im selben Augenblick umschaute, bemerkte, dass die Landgurken verschwunden waren. Bevor es geklingelt hatte, waren sie noch quietschvergnügt auf dem Esszimmerboden herumgetollt.

      »Keli, das ist meine Kollegin Kanako Hopkins, von Atlas, von Adelgrund. Sie ist eine Gastprofessorin aus der Hochschule von Adelgrund und ebenfalls leidenschaftliches Mitglied des Gurkenclubs. Sie wird während meiner Abwesenheit auf meine Babys aufpassen«, erklärte Anker, der sich nun Kanako zudrehte: »Kanako, das ist Keli von Lichterloh, von Herbstfeld, von Hildenberge. Sie ist die Schwester eines Explorationsstudenten von mir und interessiert sich ebenfalls für ein Studium an der HHF.«

      Kanako ging auf Keli zu und streckte ihr die linke Hand hin, wie es in Lichterloh üblich war. Keli hob die ihre und streckte sie aus. Als sich Hand und Hand trafen, stahl sich Kanakos Blick für den Bruchteil einer Sekunde über Kelis Hand, an welcher der Zeigefinger fehlte, dann sah sie rasch wieder auf und meinte freundlich: »Es ist mir eine Freude, Sie kennen zu lernen. Das Schicksal Hildenberges betrübt mich zutiefst. Wenn es etwas gibt, womit ich Ihnen behilflich sein kann, dann lassen Sie es mich bitte wissen.«

      Keli sah, wie Anker sich für einen Moment auf die Unterlippe biss.

      »Ja, dann. Kanako, wir sind schon einige Tage im Rückstand und müssen aufbrechen. Hier ist der Schlüssel für das Haus. Das Futter für die Gürklein findest du auf dem Balkon, wie immer«, sagte Anker mit bemerkenswerten Schweißperlen auf der Stirn.

      »Keine Sorge. Ich werde auf die Lieben aufpassen, genauso wie auf den ›überschwänglichen Verein‹, den ich zu leiten habe. Bald geht es los.« Kanako lächelte Anker zu und zwinkerte dabei. »Ich wünsche dir viel Erfolg in Kael und, dass du auch in einem Stück, und vielleicht ein paar Stückchen mehr, wieder zurückkommst. Sonst werden die Gürkchen nämlich zu mir umziehen müssen.«

      Anker erwiderte ihr Zwinkern mit einem verschmitzten Nicken, dann öffnete er die Tür und trat in das frische, grünliche Morgenbunt hinaus. Keli, die nicht begriffen hatte, warum Anker so gestresst aussah, betrat nach ihm den gepflegten Garten, als ein ohrenbetäubendes Kreischen sie herumfahren ließ. Pitt, Pott, Patty und Putt sausten mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit aus der Küche auf die Eingangstür zu. Anker ließ die zwei Rucksäcke, die er trug, auf den Boden sinken, kniete nieder und hob alle vier Gürkchen behutsam vom Boden hoch. Sie wanden sich in seinen Armen, quietschten herz- und trommelfellzerreißend und besprühten Ankers Bauch mit glänzendem Sabber.

      »Nicht doch, nicht doch. Ich bin doch bald wieder zurück. Seid brav und macht nichts Unanständiges, während ich weg bin.«

      Er gab jeder einzelnen Gurke einen schallenden Schmatz über die kleinen Äuglein und übergab sie dann Kanako, die sie fest an sich pressen musste, damit sie nicht Reißaus nehmen konnten. Beim Gartentor drehten sich Anker und Keli nochmal um, um Kanako und den laut jaulenden Haustieren zum Abschied zu winken. Erst jetzt fiel Keli auf, wie riesig das Anwesen von Anker war, und das war gerade mal sein Zweithaus, in dem er lediglich ein paar Tage die Woche verweilte.

      Bis zum Universitätsklinikum war es nicht weit. Sie passierten einige Seitenstraßen in einem Quartier, wo es nur prunkvolle Einfamilienhäuser mit stilvoll kultivierten Gärten gab. Auf dem Hinweg letzte Nacht hatte Keli von der Umgebung nicht viel mitbekommen, da es einerseits stockdunkel gewesen war, und sie andererseits wegen des Wolkenbruchs den ganzen Weg bis zum Haus hatten laufen müssen. Keli fragte sich gerade, wieviel Lichtbit Anker wohl auf der Bank angehäuft hatte. Er sah nicht aus, als würde er mit Licht um sich werfen, und viel davon schien er auch nie in seinem Körper bezogen zu haben. Jedenfalls erstrahlte er nicht grell, wie man sich jemanden vorstellte, der mit Altem Sonnenlicht bis unter die Fingernägel vollgesogen war. Es schien wirklich zu stimmen, dass er seine Lebensziele verfolgte und nicht, wie viele andere Leute, von denen Keli wusste, allein für Lichtbit arbeiteten, um danach alles wieder für irgendwelche überflüssigen Dinge auszugeben. Anker schien die Sorte Mensch zu sein, der einen Traum hegte und nicht aufgab, bis er dort war, wo er sich immer hingewünscht hatte. So eine Person wollte Keli auch werden: immerzu die unumstrittenen Tatsachen der Welt hinterfragend, nach Wahrheit suchend und fortwährend nach vorne blickend.

      Unterdessen hatten sie die Lailac-Straße erreicht. Es waren längst nicht so viele Passanten unterwegs wie am Vorabend und auch die Rollläden vieler Geschäfte waren heruntergelassen. Als sie jedoch an der Strudelbude vorbeikamen, machte Keli große Augen. Eine Schlange von Wesen, länger noch als diejenige des Vortags, erstreckte sich aus dem Gebäude bis weit über den Bürgersteig hinaus.

      »Ich sag doch, der Laden ist beliebt. Strubels Strudelbude; ziemlicher Zungenbrecher. Vor einem halben Jahr haben die sogar ihren ersten Shop im Bahnhof Wesenend aufgemacht, auf der gegenüberliegenden Seite von Kael«, ließ Anker beim Vorbeigehen nüchtern verlauten und