Gesa Walkhoff

Kleinstadt-Hyänen


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Eichhörnchen. Fasziniert verfolgt sie, wie die Gesetze der Schwerkraft für die beiden wendigen Akrobaten keinerlei Bedeutung zu haben scheinen, während sie von einem Baumstamm zum nächsten springen, kopfüber unter waagerecht stehenden Ästen entlanghuschen und dabei so fix sind, dass es schwer fällt, ihrer Verfolgungsjagd mit den Augen zu folgen. Schließlich gelingt es Thekla dann doch, sich loszureißen und weiter zu zappen. Schließlich hat sie den Kanal gefunden, den sie sucht. Die mit einem hochgeschlossenen grünen Blazer bekleidete Nachrichtensprecherin erläutert den Zuschauern gerade auf Englisch, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich wie immer nicht zu einer gemeinsamen Resolution in einem der zahlreichen Nahost-Konflikte durchringen konnte. Dazu flimmern im Hintergrund Zusammenschnitte von Videomaterial über aktuelle Kampfhandlungen in dem schon seit Jahren vom Bürgerkrieg gebeutelten Land über den Bluescreen. Es folgt eine Live-Schaltung zu einem Korrespondenten vor Ort, der seine Einschätzung zur Lage in einem Land wiedergibt, das hoffnungslos zum Spielball verschiedenster nationaler sowie internationaler Interessen geworden ist und das vermutlich niemals eine Chance haben wird, sich den machtpolitischen Spielchen einiger frustrierter, von ihrer vermeintlichen Wichtigkeit berauschter Psychopathen zu entziehen. Anschließend legt die Sprecherin das Blatt Papier zur Seite, von dem sie die Meldung abgelesen hat, und das Bild im Hintergrund ändert sich. Während die Moderatorin nun von der Verleihung einer hohen Auszeichnung an einen Wissenschaftler berichtet, langt Thekla nach der Proseccoflasche und gießt sich vorsichtig, damit das kohlensäurehaltige Getränk nicht über den Rand hinausschießt, ein Glas ein. Sie prostet dem glücklichen Geehrten zu und nimmt einen Schluck.

      Ihre Nervosität steigt. Val hatte ihr vorhin, als sie in der Stadt war, um sich neue Jogging-Schuhe zu kaufen, gesmst, dass ihr „very special friend“, wie sie es nannte, aufgeflogen ist. Die Nachricht hatte Thekla elektrisiert. Zwar hatte sie fest damit gerechnet, dass das passieren würde, aber sicher sein, dass der Plan aufgeht, zu dessen Gelingen sie nicht unwesentlich beigetragen hat, konnte sie nicht. Einen Moment lang hatte sie nicht gewusst, wie sie mit Vals Nachricht umgehen soll. Einerseits fühlte sie sich erleichtert, weil die Sache endlich entschieden war. Kurz darauf drängte sich ihr die bange Frage danach auf, was das für sie bedeuten wird. Schließlich setzte sich jedoch ein Gefühl des Triumphs durch. Sie wollte den Kerl am Boden sehen. Im Dreck. Dort, wo er ihrer Meinung und der ihrer Mitstreiter nach auch hingehört. Er hat es sowas von verdient!

      Ohne zu wissen, ob die Nachricht von der Festnahme dieses Mannes wirklich ein Anlass zum Feiern ist oder ob der Preis für ihren Erfolg zu hoch für sie sein wird, hatte Thekla sich spontan dafür entschieden, das Ereignis zu feiern. Wenn nicht jetzt, wann dann, hatte sie sich gefragt und war aus dem kleinen Sportgeschäft in der Fußgängerzone direkt in den nächsten Supermarkt geeilt, um Prosecco und Pralinen zu kaufen. Nun starrt sie gespannt auf den Bildschirm und erwartet jeden Moment, dass die Sprecherin die Nachricht verliest, die sie erhofft und gleichzeitig fürchtet.

      Es ist ein beruhigender Gedanke für Thekla, dass sie sich mittlerweile weit weg vom Schauplatz des Geschehens auf der anderen Seite des Erdballs befindet. Nervös macht sie allerdings das Gefühl des Abgeschnittenseins vom Informationsfluss, dass sie trotz der medialen Globalisierung und der Tatsache, dass eine SMS, eine E-Mail oder ein Post im Internet heutzutage genauso schnell bei ihr ist, als wäre sie selbst vor Ort, befällt. Niemand weiß und niemand darf wissen, wie sie zu erreichen ist. Außer ihre Vertrauten Val, Jerry und Angelo natürlich. Doch auch sie müssen extrem vorsichtig sein und die Kommunikation untereinander auf das Nötigste beschränken. Möglicherweise sind die Vorsichtsmaßnahmen übertrieben. Doch so etwas weiß man immer erst hinterher, und zwar dann, wenn man doch zu unvorsichtig war und die fatalen Konsequenzen zu spüren bekommt, schießt es Thekla durch den Kopf. Gleichzeitig wüsste sie wirklich nicht, wie irgendjemand auf die Idee kommen sollte, dass ausgerechnet sie etwas mit der Aufdeckung der kriminellen Machenschaften dieses Verbrechers zu tun hat. Fakt bleibt jedoch, dass sie in der Sache mit drinhängt und nichts unmöglich ist.

      Einem plötzlich auftretenden Impuls folgend legt Thekla den Kopf in den Nacken und stürzt den Inhalt des Glases herunter. Anschließend schüttelt sie sich. Und jetzt beruhigst du dich mal wieder, ermahnt sie sich selbst. Sie atmet tief durch, stellt das Glas auf dem Beckenrand ab und taucht in der Badewanne komplett unter. Nach ungefähr zehn Sekunden taucht sie wieder auf, schnappt nach Luft und reibt sich das Wasser aus dem Gesicht. Schon besser, denkt sie. Dann sieht sie sich nach der Flasche auf dem Beckenrand um. Hm, ein weiteres Gläschen zur Entspannung kann nicht schaden, findet sie. Sie schenkt sich noch einmal ein, stellt die Flasche zurück, lehnt sich behaglich zurück und trinkt nun in Ruhe und genüsslich ihren Prosecco. Wer weiß, ob die Presse überhaupt schon Wind von der Sache bekommen hat, überlegt sie währenddessen. Vielleicht gelingt es seinen Anwälten, dafür zu sorgen, die Angelegenheit vor der Öffentlichkeit geheim zu halten – jedenfalls vorläufig. Und überhaupt ist es doch völliger Blödsinn, auf die Nachrichten im Fernsehen zu warten, wenn man die Informationen viel gezielter im Internet abrufen kann!

      Just in diesem Moment ändert sich das Bild hinter der Nachrichtensprecherin erneut. Ein Mann mit halblangen zurückgekämmten Haaren, bekleidet mit einem weißen Hemd und einem dunkelblauen Anzug, wird in Handschellen von zwei Polizisten in ein Gerichtsgebäude geführt. Wie elektrisiert setzt sich Thekla in der Wanne auf. Die Sprecherin berichtet von Steuerhinterziehung und Korruption, die dem namhaften Geschäftsmann zur Last gelegt werden, und davon, dass er ein engagierter Unterstützer des amerikanischen Präsidenten ist. Sie spricht davon, dass schon seit längerem sogar öffentlich darüber spekuliert wurde, ob ein großer Teil seines Vermögens auf kriminellen Machenschaften beruhe, man ihm jedoch nie etwas nachweisen konnte. Dann wird ein Film eingespielt, in dem ein älterer Herr, ebenfalls mit sorgfältig über den Hinterkopf gekämmten schütteren dunklen Haaren vor die Kamera tritt. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn, und als sich eine davon löst und an seiner Schläfe hinabrollt, hinterlässt sie eine dunkle Spur auf der sonnengebräunten Gesichtshaut. Bei dem Herrn handelt es sich um den Anwalt des verhafteten Geschäftsmannes. Er erklärt den umstehenden Pressevertretern, die ihm eine Vielzahl von Mikrophonen vor die Nase halten, dass sein Mandant selbstverständlich unschuldig sei und er das beweisen würde. Es handele sich bei den Anschuldigungen um bösartige Verleumdungen eines angesehenen amerikanischen Bürgers und Patrioten und man werde gegen diejenigen, die sie verbreiteten, mit aller Härte und Konsequenz vorgehen.

      Thekla schüttelt verächtlich den Kopf. Das übliche Gefasel, denkt sie. Aber was soll der Typ auch sonst sagen? Jeder weiß, dass sein Mandant ein Schwein ist und jede Menge Dreck am Stecken hat. Obwohl – da er auch ein Buddy des Präsidenten ist, kommt er mit seinen Unschuldsbeteuerungen vielleicht sogar durch, schießt es ihr durch den Kopf. Ein kalter Schauer läuft ihr den Nacken hinunter. Thekla lehnt sich erneut zurück und lässt sich am Wannenrand hinabgleiten, bis ihre Schultern vollständig vom wohlig warmen Wasser bedeckt sind. So oder so ist es gut, dass ich jetzt in Deutschland bin, weit entfernt von der Schusslinie, denkt sie bei sich. In diesem Nest vermutet mich bestimmt niemand.

      In diesem Moment dringt ein metallisches Scharren an ihr Ohr. Es kommt von ihrer Zimmertür. Thekla erstarrt. Jede Faser ihres Körpers verspannt sich bis hin zu ihren Haarspitzen. Unwillkürlich hält sie die Luft an und lauscht. Da! Da ist es wieder! Zweifellos macht sich jemand an der Tür ihres Hotelzimmers zu schaffen.

      Vorsichtig stellt Thekla das Sektglas auf dem Beckenrand ab. Sie greift nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher aus. Durch die plötzlich eintretende Stille ist das Geräusch noch deutlicher zu hören. Geschmeidig und nahezu lautlos taucht sie aus dem Wasser auf und schnappt sich ein Badelaken vom Halter an der Wand. Sie schlingt es sich um die Brust und verharrt erneut. Wieder vernimmt sie das metallische Scharren, das sich so anhört, als versuche jemand ihre Tür mit einer Hotelschlüsselkarte zu öffnen, wobei er oder sie sich allerdings nicht allzu geschickt anzustellen scheint. Dann hört sie eine Männerstimme lallen: „Was issn das hier für’n Schaaeiiß!“

      Augenblicklich entspannt sich Thekla. Der Betrunkene hört sich nicht wirklich gefährlich an. Obwohl das auch Tarnung sein kann … Soll sie dem Mann zurufen, dass er sich in der Zimmertür geirrt hat? Oder bringt sie sich damit erst recht in Gefahr, wenn er weiß, dass sie da ist? Unschlüssig bleibt sie in der Wanne stehen und lauscht. Endlich verstummt das Geräusch – der Mann scheint aufgegeben zu haben. Thekla hört ein schleifendes Geräusch,