Gesa Walkhoff

Kleinstadt-Hyänen


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gibt sie zu. „Trotzdem solltest du ein bisschen auf dich aufpassen. Lass dir nicht zu viel gefallen! Er wird es dir nicht danken.“

      Daniela lächelt müde. „Ich weiß“, sagt sie. Doch dann ändert sich ihr Blick und in ihre eben noch müden Augen tritt ein warmer Glanz.

      Inge bemerkt es wohl. „Du liebst ihn“, stellt sie fest, und es klingt fast ein wenig mitleidig.

      Daniela nickt schuldbewusst.

      Inge seufzt. „Ich habe Alfons auch geliebt.“

      Überrascht wendet Daniela den Kopf. „Habe geliebt?“, fragt sie zweifelnd.

      Inge zieht die Augenbrauen hoch und denkt nach. „Nein, vermutlich hast du recht. Ich liebe ihn immer noch. Sonst würde ich das Ganze“, sie nickt in Richtung des Wohnhauses, „gar nicht aushalten.“ Nach einer Pause fährt sie fort. „Aber es ist nicht mehr dasselbe“, murmelt sie.

      „Weil er nicht mehr derselbe ist?“, will Daniela wissen. Sie betrachtet ihre Schwiegermutter, die reglos in ihrem weißen Plastikstuhl sitzt, voller Mitgefühl, während die über ihre Frage nachzudenken scheint.

      Inge schüttelt schließlich den Kopf. „Nein, das war schon früher so. Vor seiner Krankheit“, gibt sie zu.

      Erstaunt zieht Daniela die Augenbrauen empor. Inge bemerkt ihren fragenden Blick. Ein grimmig-süffisantes Lächeln malt sich auf ihrem Gesicht. „Er ist fremdgegangen“, klärt sie ihre Schwiegertochter auf.

      Vor Schreck verschluckt sich Daniela und muss husten. Als sie sich wieder gefangen hat, fragt sie: „Bist du dir sicher?“

      Inge grinst und es wirkt erneut beinahe mitleidig, als sie antwortet: „Ja, das bin ich wohl. Ich habe die beiden erwischt, als es gerade ordentlich zur Sache ging.“ Sie schüttelt den Kopf. „Da gab es nichts mehr abzustreiten“, murmelt sie. Ihr Blick wirkt plötzlich abwesend, als würde sie die betreffende Szene noch einmal vor ihrem geistigen Auge an sich vorüberziehen lassen.

      Daniela schweigt betroffen. „Du bist bei ihm geblieben“, stellt sie nach einer Weile fest. Ihre Frage, die bei dieser Feststellung mitschwingt, ist deutlich herauszuhören: Warum hast du ihn nicht verlassen?

      Inge versteht, was Daniela wissen will. „Wir waren schon nicht mehr ganz jung, als ich dahinter kam“, antwortet sie. Dann denkt sie nach und ergänzt: „Beziehungsweise, als ich die Augen nicht mehr davor verschließen konnte, dass er mich hintergeht, weil ich die beiden im Kuhstall erwischt habe.“

      Daniela ist schockiert. „Wer war sie?“, will sie wissen.

      Ihre Schwiegermutter schüttelt abwehrend den Kopf. „Ist nicht so wichtig“, erklärt sie. „Sie war nicht die Erste und nicht die Einzige.“

      Danielas Kinnlade sinkt herab. Sie kann nicht glauben, was sie da hört. Beinahe zwanzig Jahre ist sie schon mit Erik zusammen und seit jener Zeit geht sie auch im Haus seiner Eltern ein und aus. Doch in all der Zeit ist ihr niemals aufgefallen, dass etwas in dieser Richtung in der Ehe von Alfons und Inge nicht stimmen könnte. Erik selbst hat nie etwas darüber erzählt.

      „Weiß euer Sohn davon?“, fragt sie atemlos.

      Inge bricht in schallendes Gelächter aus. Daniela schaut sie verständnislos an, bis ihre Schwiegermutter sich wieder im Griff hat und nur noch vor sich hingniggert. „Klar weiß er davon“, antwortet sie und schließt mit einem „Hihihi“.

      Schockiert lehnt sich Daniela in ihrem Stuhl zurück und lässt das Gehörte auf sich wirken. Sie weiß längst, dass sie in solchen Dingen recht naiv ist und es immer als Letzte mitbekommt, wenn irgendwo in ihrem Bekanntenkreis die Karten in Beziehungsangelegenheiten neu gemischt werden. Aber dass sie nicht einmal etwas davon merkt, wenn so etwas in ihrer eigenen Familie geschieht, ist neu für sie. Und erschreckend!

      Während sie noch dabei ist, diese Erkenntnis zu verdauen, fährt Inge fort: „Deshalb sag‘ ich ja: Lass dir nicht so viel gefallen! Er wird es dir nicht danken.“ Plötzlich scheint ein Gedanke durch ihren Kopf zu wandern, der sie erheitert. Sie grinst spitzbübisch und lehnt sich vertraulich zu ihrer Schwiegertochter hinüber. „Wenn dir mal alles zu viel wird, kann ich dir nur raten, dir auch ein Verhältnis zuzulegen“, raunt sie.

      Belustigt schaut Daniela sie an. „Du hast geraucht“, entgegnet sie gespielt missbilligend.

      Inge lacht. „Das auch“, gibt sie zu. „Aber im Ernst: Warum sollen sich Frauen jeden Spaß verkneifen? Ihre Männer tun es doch auch nicht. Und manchmal ist ein kleiner Seitensprung vielleicht das Vernünftigste, was man tun kann, anstatt gleich die ganze Ehe zu zerstören. Du weißt genauso gut wie ich, dass da viel mehr dran hängt als nur Sex und Liebe.“ Inge seufzt.

      Daniela wirft ihr einen mitfühlenden Blick zu. Gleichzeitig weiß sie, dass das, was ihre Schwiegermutter andeutet, für sie selbst keine Option wäre. Mit einem Mann zusammenzuleben, der sie hintergeht? Unmöglich. Ihn selbst zu betrügen? Völlig undenkbar!

      „Es tut mir leid“, sagt Daniela zu Inge, ohne auf deren Rat einzugehen. Gleichzeitig spürt sie, wie erleichtert sie darüber ist, dass es hier um das Schicksal ihrer Schwiegermutter geht und nicht um ihr eigenes.

      Miriam

      Miriam schließt das niedrige Gartentor hinter sich, während ihre beiden Hunde, ein kurzhaariger Chihuahua und ein kaum größerer Kleinspitz, dessen rassespezifisches langes Fell seltsam unregelmäßig geschoren ist, um ihre Beine herum Fangen spielen und sich gegenseitig ankläffen.

      „Zeus! Apollo! Wollt ihr euch wohl benehmen!“, herrscht Miriam die beiden an. Mit einem kräftigen Ruck, der den Hunden beinahe den Boden unter den Füßen entzieht, strafft sie die Leinen und bringt ihre Kläffer damit zum Schweigen. Kurzzeitig.

      „Brav, meine Schatzis“, säuselt sie sanft, was der Chihuahua sogleich zum Anlass nimmt, mit dem Kläffen fortzufahren. Miriam beugt sich ganz tief zu ihm hinunter, bis ihre Nasenspitze fast die seine erreicht, und bedenkt ihn mit einem finsteren Blick. Sofort verstummt das Tier. Anschließend richtet sich Miriam wieder auf, schüttelt ihr glänzendes rotes Haar, setzt ein selbstzufriedenes Lächeln auf und stolziert in ihrem langen roten, eng taillierten Wollmantel mit dem schwarzen Kunstpelzkragen im Vintage-Style und auf ihren pechschwarzen Wildlederstiefeln mit Pfennigabsätzen die ruhige Wohnstraße des idyllisch gelegenen Gifhorner Stadtteils Winkel entlang.

      Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stutzt ein Ehepaar, beide in den Siebzigern, eine hohe Buchenhecke, die ihr Grundstück zur Straße hin vor neugierigen Blicken schützt. Der Mann, ein ehemaliger Betriebsratsvorsitzender mit zerzaustem grauen, schütteren Haar, bekleidet mit einer zerschlissenen alten Barbour-Jacke, einem dicken grauen Schal und einer ausgeleierten Cordhose, lässt unwillkürlich die elektrische Heckenschere in seiner Hand sinken und starrt Miriam mit offenem Mund hinterher. Seine Frau, eine ehemalige Lehrerin, die mit einer dicken dunkelblauen Weste und einer beigefarbenen Stoffhose bekleidet ist, harkt den Heckenschnitt zusammen. Als sie bemerkt, wie die laufende Schere dem Bein ihres Mannes gefährlich nahe kommt, macht sie ihn zischend darauf aufmerksam. Dann folgt ihr Blick dem ihres Gatten. Miriam grüßt die beiden mit einem vornehm verkniffenen Lächeln. Die Frau beantwortet Miriams Gruß mit einem kurzen Nicken. Ein scheeler Seitenblick auf ihren Mann zeigt ihr, dass er sich immer noch nicht wieder vollständig in der Gewalt hat. Sie schüttelt den Kopf und seufzt missbilligend, sagt jedoch nichts. Auf einmal fängt sich ihr Gatte wieder. Er klappt seinen Unterkiefer hoch und grüßt Miriam ebenfalls, als die sich schon längst abgewendet hat, um ihren Weg fortzusetzen. Ihre beiden Köter, die erneut aneinandergeraten sind und sich gegenseitig angiften, schleift sie hinter sich her.

      „Wann erschießt sie die Biester endlich?“, murmelt die Frau, während sie sich bückt, um die zusammengerechten Zweige aufzuheben und in den PopUp-Gartensack zu stopfen.

      Ihr Mann kann seinen Blick noch immer nicht von Miriam lösen. Er sieht ihr nach, während sie mit federleichtem Schritt und wiegendem Gang die Straße hinabschwebt.