Gesa Walkhoff

Kleinstadt-Hyänen


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Daniela verwundert. „Das kann dich doch unmöglich ausfüllen! Was machst du denn sonst noch so?“

      Die anderen drei brechen in wieherndes Gelächter aus. Das ist Daniela gar nicht recht, denn sie hatte überhaupt nicht vor, sich über Miriam lustig zu machen. Bevor die zu einer scharfen Erwiderung ansetzen kann, greift Julia ein, um einen neuerlichen Angriff auf Daniela zu verhindern.

      „Ich wette, ihr seid nun alle furchtbar neugierig darauf zu erfahren, was ich in den letzten zwanzig Jahren gemacht habe?“, fragt sie in die Runde.

      „Und wie“, ruft Nephele, woraufhin alle lachen müssen. Schließlich haben sie bereits mitbekommen, dass sich die Wege der Bürgermeisterin und der Gastronomin, deren Arbeitsplätze nur einen Katzensprung voneinander entfernt liegen, des Öfteren kreuzen. Nichtsdestotrotz berichtet Julia von ihrem Studium in Berlin und wie sie anschließend eigentlich nur für die Zeit, bis sie einen Job findet, in die Kleinstadt zurückkehrte. Dann jedoch, erzählt sie, erhielt sie von einem nahen Autobauer ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte und fand schließlich eher zufällig den Weg in die Kommunalpolitik.

      „Zufällig? Das war doch klar, dass du irgendwann auf die schiefe Bahn gerätst!“, widerspricht Thekla. „Du musstest dich doch schon in der Schule in alles einmischen. Warst du nicht Jahrgangssprecherin und später sogar Schulsprecherin?“

      Nephele ergänzt: „Nicht nur das! Wir waren bereits auf der Grundschule in derselben Klasse. Schon damals hat sie sich zur Klassensprecherin wählen lassen.“

      „Aber nur, um zu verhindern, dass der blöde Thomas das Amt bekam, der uns immer Juckpulver in den Kragen gesteckt hat“, verteidigt sich Julia.

      Alle lachen. Anschließend fragt Daniela: „Und wie sieht es privat bei dir aus?“

      Bevor Julia darauf antworten kann, mischt sich Miriam ein. „Das weiß doch jeder, dass Julia mit Björn Hemker, dem Kaufhaus-Inhaber verlobt ist. Liest man bei euch im Langenklint keine Zeitung?“, fragt sie bissig.

      „Dauerverlobt“, fügt Nephele mit einem anzüglichen Blick in Julias Richtung hinzu, um von dem neuerlichen Giftpfeil Miriams auf die arme Daniela abzulenken. „Der Zustand dauert jetzt schon mindestens vier Jahre an. Findest du nicht, du solltest den armen Kerl endlich mal erlösen und heiraten?“, fragt sie Julia.

      „Erlösen und heiraten? Wie soll das gehen?“, wirft Thekla spöttisch ein.

      Julia bedenkt sie mit einem strafenden Blick und kontert: „Erzähl du uns lieber, wie es in Hollywood war und was dich zurück nach Gifhorn verschlagen hat. Ich glaube, das interessiert uns alle viel mehr“, wechselt sie geschmeidig das Thema, verschränkt die Arme vor der Brust und blickt Thekla erwartungsvoll an.

      „Oh ja!“, ruft Daniela mit leuchtenden Augen. „Wie war‘s da drüben? Mit wem hast du gedreht? Stimmt es eigentlich, dass du ein Verhältnis mit diesem Game-of-Thrones-Star hattest? Wie hieß er noch gleich …“

      Thekla unterbricht sie mit süffisantem Grinsen. „Keine Namen, bitte! Seine Frau fand die medialen Spekulationen über die Fehltritte ihres Ehegatten gar nicht lustig. Die bringt es fertig und verklagt dich wegen Verleumdung!“

      Daniela lässt sich nicht entmutigen. „Dann erzähl‘ uns wenigstens etwas über die Dinge, über die du reden darfst! Zum Beispiel über die Filme, in denen du mitgespielt hast. Darüber weiß ich gar nichts. Ich habe dich noch in keinem Streifen gesehen!“

      Die drei übrigen Frauen werfen sich pikierte Blicke zu. Daniela jedoch scheint das Fettnäpfchen gar nicht zu bemerken, in dem sie bereits knietief steht. Mit leuchtenden Augen und voller Vorfreude auf spannende Neuigkeiten aus der Welt der Stars und Sternchen sieht sie ihre alte Schulfreundin abwartend an.

      Thekla reagiert gelassen. „Nun, besonders spektakulär waren meine Engagements bislang nicht. Mit international erfolgreichen Produktionen kann ich nicht dienen. Ein paar Nebenrollen in amerikanischen Fernsehserien, einige Bühnenengagements und auch eine Rolle in einer Broadway-Produktion – das war’s dann schon mehr oder weniger“, erklärt sie vage.

      „Und mit wem hast du so gedreht?“, hakt Daniela neugierig nach.

      „Vermutlich mit niemanden, den du kennst“, wirft Miriam bissig ein. „Mann, Daniela! Thekla hat es doch gerade gesagt! So großartig ist es für sie da drüben nicht gelaufen. Deshalb wird sie Filmgrößen wie George Clooney, Brad Pitt, Tom Hanks oder Tom Cruise wohl kaum persönlich kennengelernt haben.“

      Thekla bläst die Backen auf und wiegt den Kopf hin und her. „Ganz so würde ich das nicht formulieren. Hollywood ist ein Dorf und es gibt jede Menge Partys, in die man sich hineinmogeln kann.“ Sie grinst spitzbübisch, winkt jedoch schon im nächsten Moment ab. „Aber ich glaube tatsächlich, es gibt Spannenderes, als über solche Dinge zu reden. Und vor allem Wichtigeres! Sind wir nicht hier, um unser Abi-Jubiläum vorzubereiten?“

      „Sehr richtig!“, pflichtet Julia ihr bei. „Und ich finde, damit sollten wir jetzt auch beginnen, bevor euch der Prosecco zu sehr in den Kopf steigt.“

      Als sich am Tisch lautstarker Protest regt, hebt sie beschwichtigend die Hände. Dabei macht sie den Eindruck, als führe sie den Vorsitz bei einer turbulenten Ratssitzung und müsse für Ordnung sorgen, weil sich die Ratsmitglieder wegen irgendeiner Sache in die Haare geraten sind. Natürlich ist auch das wieder ein Anlass zur Erheiterung.

      Anschließend fragt Thekla: „Ich habe da gleich mal eine Frage: Feiert man ein Jubiläum nicht eigentlich erst nach fünfundzwanzig Jahren? Warum begehen wir unseres schon nach zwanzig?“

      Julia verzieht spöttisch das Gesicht. „Weil das damalige Abi-Feier-Veranstaltungskomitee davon überzeugt war, dass nach 25 Jahren schon zu viele von uns unter der Erde liegen würden. Deshalb hatten wir beschlossen, unser erstes Treffen bereits nach zwanzig Jahren abzuhalten. Meine Güte, wir haben geglaubt, mit vierzig müsse man wenigstens scheintot sein. Erinnert ihr euch an Herrn Hecht, unseren Geschichtslehrer? Der war zu unserer Zeit erst Ende dreißig und wir dachten, der würde kurz vor der Rente stehen. So griesgrämig und vertrocknet, wie der aussah!“

      Dem können die anderen nur beipflichten.

      „Ich bin jedenfalls jetzt schon mächtig gespannt darauf zu erfahren, was aus den Leuten geworden ist, und muss nicht fünf weitere Jahre warten“, meint Daniela.

      „Stimmt“, ruft Nephele und ihre Augen beginnen zu leuchten. „Erinnert ihr euch noch an den ‚schönsten Mann zwischen Harz und Heide‘, wie wir ihn damals nannten?“

      Lautes Gejohle beantwortet ihre Frage.

      „Er war der Schwarm aller Mädchen unseres Jahrgangs“, erinnert sich Daniela.

      „Und aller anderen Jahrgänge auch!“, ergänzt Thekla lachend. Sie wendet sich an Julia. „Was meinst du? Wird er bei unserer Jubiläumsfeier erscheinen?“

      „Keine Ahnung“, antwortet die Angesprochene und zuckt die Schultern. „Bislang habe ich nur Kontaktdaten recherchiert und allen eine Terminabfrage geschickt. Von ihm habe ich bislang nicht einmal eine E-Mail-Adresse, weiß aber wenigstens von seiner Mutter, wo er wohnt.“

      „Wie hieß der Typ eigentlich? Andi? Oder Andreas?“, will Miriam wissen.

      „André Tetzlaff“, antwortet Nephele hingebungsvoll seufzend und richtet den Blick mit einem dramatischen Augenaufschlag gen Himmel. „Wisst ihr noch, wie er sich immer mit den Fingern durch die halblangen blonden Haare fuhr? Er sah damals aus wie Brad Pitt.“

      Ein zustimmendes Raunen geht durch die Runde.

      „Warst du nicht mal mit ihm zusammen, Thekla?“, fragt Julia.

      Die Angesprochene nickt langsam, als würden die Erinnerungen an diese ferne Zeit erst nach und nach zu ihr zurückkehren. „Jahaaa“, sagt sie gedehnt, „aber ich habe ihn auch schnell wieder entsorgt“, erinnert sie sich dann. „Er sah zwar gut aus, war aber innerlich ziemlich hohl.“

      „Ich habe auch mal mit ihm herumgeknutscht. Das war kurz vor dem Abi“, schwärmt