Gesa Walkhoff

Kleinstadt-Hyänen


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der Tür zum kleinen Sitzungsraum und einer Dattelpalme im fragwürdigen Zustand, die ihre kärglichen sechseinhalb Wedel trotzig in die Höhe streckt. Während die Bürgermeisterin leichten Schrittes die Treppe ins Erdgeschoss hinunterspringt, schlüpft sie in ihren Mantel, grüßt kurz in Richtung der Pförtnerloge, während sie die Halle quert, stößt dann die gläserne Eingangstür auf und tritt ins Freie. Ein kalter Wind weht ihr entgegen. Julia stellt den Kragen ihres Mantels hoch, um sich dagegen zu schützen. Während sie den Marktplatz überquert, schaut sie empor zum schiefergedeckten Glockenturm der hellrosafarben gestrichenen Nicolai-Kirche. Ihre hellblauen Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen, als sie sich vorstellt, wie sie ihren Intimfeind von der örtlichen Presse dort oben befestigen würde. Einen Moment später hat sie sich wieder im Griff. Es ist Teil ihrer Überlebensstrategie, jederzeit einen unverwüstlichen Eindruck zu hinterlassen. Wenn deine Gegner merken, dass sie dich aus der Reserve locken können, hast du schon verloren, ist ihre Überzeugung. Und verlieren tut sie nicht. Niemals! Sie sammelt höchstens Erfahrungen.

      Mit aufgeräumter Miene eilt sie die Fußgängerzone hinunter.

      Das Wiedersehen

      Wenige Minuten später betritt Julia ein Lokal namens „Ziegenstall“. Suchend blickt sie sich nach der Restaurant-Chefin um. Nephele Papas, eine mollige Frau mit langen schwarzen Haaren und einem herzförmigen Gesicht, das von ihren großen ausdrucksstarken Augen dominiert wird, die sie mit dickem schwarzen Kajal zusätzlich betont, kommt hinter dem Tresen hervor und eilt strahlend auf sie zu. Wie immer ist die Wirtin ganz in schwarz gekleidet. Heute ermöglichen der tiefe Ausschnitt ihres knielangen Kleides und die fast durchsichtigen Ärmel aus schwarzer Spitze einen großzügigen Ausblick auf diverse romantische Tattoos in Form von Rosen, verschlungenen Ranken und Schmetterlingen. Eine feine goldene Kette mit einem Kreuz bildet den einzigen Lichtpunkt ihrer Garderobe.

      „Julia! Wie schön dich zu sehen“, begrüßt Nephele ihren Gast und breitet erfreut die Arme aus. Während die beiden sich gegenseitig ein Küsschen links und eines rechts auf die Wange hauchen, meint die Wirtin: „Daniela ist schon da. Ich habe sie an einem Tisch weit weg vom Trubel, der hier vorne am Eingang herrscht, platziert. Dort sind wir hoffentlich ungestört.“

      Julias Augen folgen Nepheles Kopfnicken. Im hintersten Winkel des Lokals, direkt am Fenster zum Parkplatz hinaus, entdeckt sie die Frau, von der die Rede ist. Sie trägt ihre langen blonden Locken zusammengefasst zu einem unordentlichen Dutt und hat ihre üppigen Rundungen in ein robustes Leinenhemd in verwaschenem Rot und eine blaue Jeans gepresst. Dazu trägt sie derbe Schuhe, die Julias kritischer Einschätzung nach bestimmt schon mehrere Wochen lang nicht mehr geputzt worden sind. Obwohl die Frau ungeschminkt ist und augenscheinlich nicht viel Zeit darauf verwendet hat, sich für das Treffen herzurichten, wirkt sie fast sexy in ihrem legeren Outfit, das ihre weibliche Figur vorteilhaft betont. Ihre Attraktivität wird noch verstärkt durch die ebenmäßigen Gesichtszüge, die denen eines naiven Rauschgoldengels gleichen.

      Während sich Julia und Nephele dem Tisch nähern, ist Daniela vollauf damit beschäftigt, etwas in ihr Smartphone einzutippen. Erst, als Julia und Nephele direkt vor ihr stehen, bemerkt sie sie und hebt ihren Blick vom Display. Ein strahlendes Lächeln erhellt ihr Gesicht.

      „Julia! Meine Güte, was hast du dich verändert! Ich glaube, ich habe dich seit unserem Abi-Ball nicht mehr gesehen. Nur in der Zeitung, natürlich. Du hast ja richtig Karriere gemacht als Bürgermeisterin Gifhorns! Beeindruckend!“, sprudelt es aus ihr heraus. Sie springt auf und umarmt ihre alte Schulfreundin.

      „Du dagegen hast dich scheinbar überhaupt nicht verändert“, erwidert Julia, als sie sich einander gegenüber an den Tisch setzen. „Dein frischer Teint ist der einer Zwanzigjährigen. Wie machst du das nur?“

      Daniela zuckt die Schultern. „Das hängt vermutlich mit der guten Landluft zusammen. Ich habe in einen landwirtschaftlichen Betrieb eingeheiratet und auf unserem Hof gibt es immer eine Menge zu tun.“

      Julia mustert ihre Freundin genauer. „Kinder hast du anscheinend auch“, bemerkt sie mit anzüglichem Grinsen. Dabei starrt sie auf den deutlich sichtbaren Abdruck, den eine kleine Hand, die vorher anscheinend in ein Nougatglas gegriffen hat, auf Danielas Schulter hinterlassen hat.

      Daniela folgt ihrem Blick und verrenkt sich dabei fast den Hals. „Mist!“, schimpft sie. „Ich möchte es einmal schaffen, zivilisiert aus dem Haus zu gehen. Seit ich Kühe und Kinder habe, ist mir das noch nicht gelungen.“ Ärgerlich starrt sie auf das Missgeschick.

      „Das ist doch nicht schlimm“, tröstet Nephele. „Wir sind doch unter uns.“

      Daniela kramt in ihrer Hose nach einem Taschentuch, spuckt einmal kurz darauf und bearbeitet die Hinterlassenschaft. Viel Erfolg ist ihr damit jedoch nicht beschieden. Im Gegenteil: Zu dem Fleck gesellen sich nun auch noch kleine weiße Papierfasern. Unzufrieden mit dem Ergebnis schüttelt sie den Kopf.

      „Es fällt kaum noch auf“, lügt Julia und lächelt Daniela aufmunternd zu.

      „Bestimmt nicht“, bestätigt Nephele und wirft Julia ein verschwörerisches Lächeln zu.

      Daniela schaut die beiden misstrauisch an. „Ich glaube, ihr schwindelt mich an“, stellt sie mit ernstem Gesicht fest, woraufhin alle drei in schallendes Gelächter ausbrechen.

      „Wer beschwindelt wen?“, fragt eine Stimme hinter ihnen. Die Köpfe der drei fahren zu der schlanken Frau mit den langen roten Haaren herum, die wie aus dem Nichts neben ihrem Tisch aufgetaucht ist. Unter ihrem cremefarbenen Wintermantel trägt sie eine enge, makellos weiße Jeans und darüber eine todschicke rehbraune Rüschenbluse, die sich elegant an ihren schlanken Körper schmiegt. Dazu hat sie modische dunkelbraune, spitz zulaufende Stiefeletten mit hohen Absätzen an den Füßen, die exakt den gleichen Farbton aufweisen wie ihre Coco-Chanel-Handtasche, die sie über dem Arm trägt. Eine lange silberne Kette mit einem riesigen tropfenförmigen Bernstein adelt ihr Outfit. Ihr fragender Blick wandert von einer der am Tisch sitzenden Frauen zur nächsten. Dann verharrt er bei Daniela, besser gesagt auf deren Schulter.

      „Um Gottes willen, was ist das?“, ruft sie entsetzt. „Das sieht ja aus, als hätte sich jemand an dir den Hintern abgewischt!“ Angewidert verzieht die Rothaarige das Gesicht. Julia und Nephele werfen sich einen amüsierten Blick zu, während Danielas Gesicht von einer zarten Röte überzogen wird.

      „Es ist nur ein bisschen Nutella. Ich habe halt Kinder“, rechtfertigt sie sich.

      Die Rothaarige schnauft und schüttelt abschätzig den Kopf. „Ich habe auch Kinder. Das ist noch lange kein Grund, sich so gehen zu lassen!“, versetzt sie herablassend.

      „Wie schön, Miriam, dass auch du den Weg zu uns gefunden hast“, beeilt sich Julia einzuwerfen, bevor die Situation für die arme Daniela noch unangenehmer werden kann. Innerlich kann sie über Miriam nur den Kopf schütteln. Vermutlich muss man Arztgattin sein und darf keine größeren Probleme als einen abgebrochenen Fingernagel haben, um aus einem simplen Fleck eine so große Sache zu machen, denkt sie bei sich. Gleichzeitig fragt sie sich, ob es vielleicht keine so gute Idee war, Miriam ins Veranstaltungskomitee für die Ausrichtung der Abi-Jubiläumsfeier zu bitten. Julia kann sich noch gut daran erinnern, dass ihre Freundin schon zu Schulzeiten nicht durch übermäßigen Arbeitseinsatz, dafür umso mehr durch eine hohe Anspruchshaltung aufgefallen ist. Für die verwöhnte Tochter ehrgeiziger Eltern war stets nur das Beste gut genug gewesen. Miriam hatte niemals geruht, bis sie das, was ihr ihrer Meinung nach zustand, auch bekam. Auseinandersetzungen darum waren für Mitschüler wie für Lehrer oft sehr anstrengend gewesen. Darüber hinaus findet Julia es komplett überflüssig, die arme Daniela so anzugiften. Noch dazu, wo alle Anwesenden früher nicht nur auf das gleiche Gymnasium gegangen sind, sondern auch miteinander befreundet waren. Doch wie immer ist Julias Miene nichts von ihren Gedanken anzusehen. Stattdessen deutet sie mit einem kurzen Nicken auf den freien Platz neben sich. „Vielleicht magst du dich trotzdem zu uns setzen, auch wenn unsere Garderobe nicht hundertprozentig deinen Ansprüchen genügt?“, fragt sie spöttisch.

      „Natürlich.“