Gesa Walkhoff

Kleinstadt-Hyänen


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schüttelt den Kopf und schnauft verächtlich. „Das ist mir sowas von egal! Diesen Verrat werde ich nicht auf sich beruhen lassen!“ Dann leuchten ihre Augen plötzlich auf und sie verzieht ihren Mund zu einem boshaften Lächeln. „Und wer weiß? Vielleicht finden die Leute das gar nicht verkehrt, wenn sie erfahren, dass es bei mir ab und zu ein bisschen Action zum Zugucken gibt.“

      „Nicht auf meine Kosten!“, faucht Miriam.

      „Und warum nicht?“, kontert Nephele kämpferisch.

      „Mädels, hört auf, euch zu streiten!“, bittet Daniela. Sie scheint als Einzige wirklich besorgt über den Ausgang der Angelegenheit zu sein, doch niemand hört auf sie.

      „Raus jetzt!“, befiehlt Nephele, während sie versucht, Miriam an den Haaren aus der Sitzecke zu ziehen.

      „Lass sofort los, sonst kriegst du es mit meinem Anwalt zu tun!“, droht die andere.

      „Pah!“, schnaubt Nephele. „Entschuldige dich oder ich kann für nichts garantieren!“

      „Niemals!“, kreischt Miriam.

      „Bitte, Miriam“, mischt sich Daniela mit flehender Stimme ein. „Nenn‘ mich harmoniesüchtig, wenn du willst. Aber ich kann so etwas nicht ertragen!“

      „Du ahnst nicht, wie egal mir das im Moment ist!“, blafft Miriam sie an und versucht nun ihrerseits Nephele am Schopf zu packen. Allerdings ist das Unterfangen chancenlos, denn Nephele weicht ihr geschickt aus.

      Auch Thekla versucht, die beiden Streithähne zur Vernunft zu bringen. „Mädels, es gucken schon alle her!“, raunt sie den beiden mit verschwörerischer Stimme zu.

      Daraufhin blickt sich Julia im Lokal um. Sie richtet ihren Blick auf die Eingangstür und stutzt. „Wenn mich nicht alles täuscht, dann hat soeben die örtliche Presse den Ziegenstall betreten“, warnt sie.

      Nephele lacht boshaft auf, lässt Miriam jedoch nicht aus den Augen. „Großartig! Ich darf gespannt sein, ob das mit den Skandalen in Gifhorn ähnlich gut funktioniert wie in Hollywood.“

      „Ich aber nicht!“, zischt Miriam, während sie vergeblich versucht, Nepheles Finger aus ihrem Haar zu lösen.

      Nephele zuckt die Schultern. „Das liegt ganz an dir“, antwortet sie ungerührt.

      „Er guckt schon“, flüstert Julia eindringlich.

      Nephele lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie grinst Miriam nur boshaft an. Julia zuckt die Schultern. „Was wohl der Kirchenvorstand dazu sagt, wenn er morgen von dieser Szene in der Zeitung liest?“, überlegt sie laut.

      Diese Bemerkung endlich erreicht Miriam. Ein letztes Mal versucht sie verzweifelt, ihr Haar Nepheles Zugriff zu entziehen, doch die denkt gar nicht daran, sie freizugeben. Schließlich gibt sich Miriam geschlagen. „Meinetwegen. Entschuldige bitte!“, knurrt sie genervt.

      Nephele hebt überrascht die Augenbrauen. „Geht doch“, sagt sie anerkennend. Einen Moment später lässt sie Miriams Haar tatsächlich los und setzt sich – mit einem Mal wieder seelenruhig – auf ihren Platz, als sei nichts geschehen. Miriam braucht ein bisschen länger, bis sie realisiert hat, dass sie sich wieder frei bewegen kann. Während sie zurück auf die Bank neben Julia rutscht, fährt sie sich mit den Fingern durchs Haar, um es in Ordnung zu bringen.

      „Puh, da bin ich aber wirklich froh, dass die Presse genau im richtigen Moment aufgetaucht ist“, sagt Daniela und wirkt ehrlich erleichtert. Neugierig schaut sie in Richtung des Eingangs, kann dort jedoch niemanden stehen sehen. Verwirrt runzelt sie die Stirn. „Wo ist denn der Journalist? Ich sehe keinen“, fragt sie Julia.

      Die folgt ihrem Blick und sieht sich scheinbar suchend im Lokal um. Dann zuckt sie die Schultern. „Hm, vermutlich habe ich mich getäuscht“, meint sie leichthin.

      Thekla grinst. Sie wirft Julia einen anerkennenden Blick zu: „Respekt, meine Liebe. Andere haben schon für weit weniger überzeugende Vorstellungen einen Oscar erhalten!“

      Daniela

      Es ist schon fast 21 Uhr, als Daniela den uralten grünen Mercedes ihrer Schwiegereltern auf den Hof im Langenklint lenkt. Eigentlich hätte sie ihren freien Abend, an dem sie die Beaufsichtigung der Kinder und Eriks kranker Eltern ausnahmsweise einmal ihrem Ehemann überlassen hat, gerne noch ein bisschen ausgeweitet. Doch nachdem sie im Ziegenstall die furchtbar leckere Currywurst verspeist hatte, die unter Eingeweihten auch „Werksforelle“ genannt wird, weil sie aus der gleichen Produktion stammt wie das legendäre Kantinengericht des nahen Autobauers, gelang es ihr kaum noch, ihre Augen offen zu halten. Schließlich war sie bereits seit fünf Uhr auf den Beinen!

      Ihr Tag hatte damit begonnen, dass sie die Kühe fütterte und den Stall säuberte. Anschließend hatte sie das Frühstück bereitet für ihren Mann Erik, ihre vier Kinder sowie ihre Schwiegereltern, die hinten auf dem Hof in einem eigenen Wohnhaus, dem sogenannten Altenteil leben. Daniela hatte dafür sorgen müssen, dass ihre drei Töchter Sarah, Vicky und Madeleine sowie ihr Sohn Malte den Weg aus dem Bett ins Badezimmer fanden, und zwar in der dafür festgelegten Reihenfolge, die sich nach dem jeweiligen Stunden- beziehungsweise Busfahrplan richtet. Zwischendurch hatte sie ihren dementen Schwiegervater, der am Küchentisch saß und lautstark nach seinem Kaffee und einem Schinkenbrot verlangte, mit dem Gewünschten versorgt. Normalerweise kümmert sich ihre Schwiegermutter beim Frühstück um ihn, doch heute war Alfons ihr vermutlich entwischt, denn er war besonders früh dran und ohne seine Frau bei ihnen aufgetaucht. Kurz darauf hatte ihr Mann Erik mit verschlafenem Gesicht in der Küchentür gestanden und vorwurfsvoll nach seinem Lieblingshemd gefragt. Sie hatte ihm erklären müssen, dass sie es zwar gewaschen, aber noch nicht gebügelt hatte, woraufhin er beleidigt von dannen gezogen war, ohne sich im mindesten dafür zuständig zu fühlen, den Kaffee aufzuwischen, den sein Vater auf der Wachstuchdecke verschüttet hatte, als er die Tageszeitung umständlich aufgeschlagen hatte.

      Auch nach dem Frühstück, als ihr Mann und die Kinder glücklich vom Hof gerollt beziehungsweise gegangen und ihre Schwiegereltern in ihr eigenes Haus zurückgekehrt waren, hatte es keine Verschnaufpause gegeben. Daniela hatte sich um die Buchhaltung des Betriebs gekümmert, Futtermittel bestellt, die Kühe gemolken und zwischendurch ihren Schwiegervater mehrfach davon abhalten müssen, sich auf den Trecker zu setzen und die Gülle aus dem Kuhstall, die sie am folgenden Tag zur nahegelegenen Bio-gasanlage bringen wollte, auf den Feldern zu entsorgen. Ihre Argument, dass sie das Land erstens schon vor vielen Jahren an Hinnerk Schmidt verpachtet hatten und zweitens das Ausbringen von Gülle heutzutage in den Wintermonaten verboten ist, hatte ihn überhaupt nicht interessiert. Die Diskussion über dieses Thema hatte sie im Laufe des Vormittages noch fünf weitere Male führen müssen. Dann war es auch schon Zeit fürs Mittagessen gewesen, das ihre Schwiegereltern aus alter Gewohnheit stets pünktlich um halb eins einnahmen, während ihre Töchter um eins, halb zwei und Viertel nach zwei aus der Schule kamen und dann einen riesigen Kohldampf hatten, der umgehend gestillt werden wollte. Malte, ihr Ältester, macht eine Lehre als Tischler und isst auswärts, sodass sie sich um seine Verpflegung glücklicherweise nicht mehr kümmern muss.

      Nachmittags hatte Daniela nach der Hausaufgabenbetreuung der beiden Jüngsten und einigen Hilfestellungen für die vierzehnjährige Madeleine, die zu bequem gewesen war, selbst nachzudenken, noch einmal nach den Kühen sehen und eine Tränke reparieren müssen. Kurz, bevor sie sich um siebzehn Uhr auf den Weg in die Stadt gemacht hatte, hatte sie es sogar noch geschafft, ein paar von Eriks Hemden zu bügeln. Zwar fand sie, dass er das eigentlich auch selbst können musste, aber da er das nicht fand und sie eine Neuauflage ihrer morgendlichen Diskussion am folgenden Tag um sein nicht einsatzbereites Lieblingshemd fürchtete, hatte sie es um des lieben Friedens willen erledigt. Ihr Einknicken vor seiner Bequemlichkeit hatte sie vor sich selbst damit gerechtfertigt, dass er ihr versprochen hatte – wenn auch nur widerwillig – an diesem Abend auf die Kinder aufzupassen und ihnen das Abendbrot zu bereiten. Zu diesem Zweck wollte er sogar früher aus seiner Versicherungsagentur nach Hause kommen. Das hatte zwar nicht geklappt – jedenfalls war er zum verabredeten