Stefan Landfried

Blutdienst


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      Er grinste und drehte sich zur Tonne mit dem kalten Wasser um. Er steckte seinen Kopf hinein und als er ihn wieder herauszog, sah er direkt um einiges frischer aus.

      »Ich gehe nur schnell meine Sachen holen. Wir treffen uns am Tor«, sagte er mit begeisterter Stimme. Ich nickte und ging weiter in Richtung Marktplatz. Dort war um diese Zeit noch nicht viel los. Einige der Händler, die ich dort sah, waren ebenfalls bei der Feier gewesen und sahen auch entsprechend mitgenommen aus. Mühsam bauten sie ihre Stände auf und verschnauften immer mal wieder, da ihr Kopf wohl noch nicht ganz auf ihren Schultern saß.

      Ich ging am Marktplatz vorbei und weiter in Richtung Tor. An einer Seitenstraße hielt ich inne. Ich sah den dicken, unfreundlichen Wirt von gestern, wie er sich mit einer jungen Frau stritt. Während er sie anschrie und danach trachtete, sie zu schlagen, machte sie abwehrende Bewegungen und versuchte wimmernd, etwas zu erklären. Als ich ein paar Schritte näherkam, drehte der Wirt sich erschrocken um. Die junge Frau erschrak ebenfalls und ich konnte nun ihr Gesicht sehen.

      Sie war wohl so alt wie ich und einen Kopf kleiner. Sie hatte braunes Haar, das zusammengebunden war. Ihr Kleid war an der Brust etwas aufgerissen und sie hatte einen roten Handabdruck auf der Wange. Ihre Hände hielt sie vor ihren Bauch, so, als ob er wehtäte.

      Der Wirt höhnte: »Was willst du hier? Bist du ein edler Retter, der nun die Frauen von Karpgat schützt?« Er verschränkte seine Arme und sein Gesicht zeigte eine herausfordernde Miene.

      Ich blickte von ihm wieder zu der jungen Frau und fragte sie: »Hat dieser Mann dir Gewalt angetan?«

      Sie senkte ihren Blick und sagte nichts.

      »Wie ich mit meiner Tochter verfahre, hat dich nicht zu interessieren«, schaltete der Wirt sich ein.

      »Eure Tochter?« Ich glaubte nicht recht zu hören. Wie es aussah, schlug er seine Tochter und verlangte von ihr, sich zu entblößen. Wer weiß, was er noch mit ihr angestellt hat. Eine unsägliche Wut stieg in mir empor.

      Ich baute mich nun direkt vor dem Wirt auf und funkelte ihn wütend an. »Ich werde für eine kurze Weile fort sein. Wenn ich wiederkomme, werde ich deine Tochter befragen und ich werde sie mir genau anschauen. Wenn ich eine neue Verletzung entdecke, werde ich deinen Körper über den gesamten Marktplatz verteilen.«

      Diese Worte machten den dicken Wirt rasend vor Wut. »Wer glaubst du denn zu sein? Ich zerquetsche dich wie eine Schabe!«

      Mit diesen Worten gab er mir einen Stoß und holte zu einem Schlag aus. Ich duckte mich darunter weg, griff seine Beine und schleuderte ihn zu Boden. Blitzschnell warf ich mich auf ihn und schlug ihm zweimal heftig ins Gesicht. Das genügte, ihn benommen zu machen, sodass ich mich gefahrlos zu ihm runterbeugen konnte.

      »Mein Name ist Sigvart Fenris. Ich bin die Leibwache von Jarl Thortryg. Das solltet ihr im Gedächtnis behalten, fetter Mann«, sprach ich so drohend wie möglich.

      Ich stellte mich wieder auf und ging zur Tochter des Wirts.

      »Wie heißt du?«

      Mit ängstlichem Blick schaute sie zu mir auf. »Wey… Weylef, Herr.«

      »Ich bin nicht dein Herr. Mein Name ist Sigvart. Von heute an wird er dir nichts mehr tun, Weylef.«

      Ich drehte mich, um und setzte meinen Weg fort. Nach ein paar Schritten blieb ich stehen und wandte meinen Kopf zurück. Mit ernster Stimme sprach ich: »Und falls doch … hast du ja gehört, was ich mit ihm mache.«

      Ich ging weiter und blickte nicht mehr nach hinten.

      Am Tor wartete Borg bereits. »Wo hast du gesteckt?«, wollte er etwas ungeduldig wissen.

      Ich grinste nur und ging an ihm vorbei. Zusammen traten wir den Weg zum Hof meiner Eltern an. Der Weg führte uns durch ein kleines Waldstück und an einem Bachlauf entlang.

      Wir waren bereits über die Mittagssonne hinweg gewandert und bekamen Hunger. Borg nahm etwas Trockenfleisch aus seiner Tasche und ich holte ein Stück Käse und Brot, das ich mir in der Halle eingesteckt hatte, aus meiner Tasche. Wir saßen auf einem Ast direkt am Wasser und genossen die Stille und das einfache Plätschern des Bachs.

      Borg sah mich fragend an. Bereits nach wenigen Augenblicken hielt ich es nicht mehr aus. »Warum starrst du mich so an, Borg?«

      Borg schien wie aus einem Traum herausgerissen. »Ähm, ich würde gern wissen, was du deiner Familie erzählen wirst? Erzählst du nur die schönen Sachen wie, dass wir gewonnen haben und du glorreich gekämpft hast? Oder erzählst du auch von deinen Schmerzen, den endlosen Märschen und dem schlechten Essen? Wirst du die Männer erwähnen, die du getötet hast und die du sterben sehen hast?«

      Das war eine sehr gute Frage, über die ich mir noch keine Gedanken gemacht habe. Manchmal war ich von Borg wirklich überrascht. Ich schaute in das Wasser und dachte eine Weile darüber nach, während ich mir ein weiteres Stück Käse in den Mund schob und es langsam kaute.

      Ich schluckte den Käse hinunter und drehte mich zu Borg. »Ich weiß es noch nicht. Ich glaube, mein Vater weiß sehr wohl Bescheid über die Schrecken des Krieges.«

      Borg nickte. Wir packten wieder alles zusammen und machten uns weiter auf den Weg.

      »Ich finde den Krieg gar nicht so schrecklich«, sprach Borg nach einer Weile. »Wenn man nicht darüber nachdenkt, was man tut, ist es auch nicht schwer.«

      Ich grinste matt. »Der Schrecken liegt auch nicht in der Schlacht, Borg. Manche Männer haben ein Problem damit, die Stille nach der Schlacht zu bekämpfen. Wenn dir noch mal alles durch den Kopf geht und du die einzelnen Gesichter noch einmal siehst. Dir Gedanken machst um das Was-wäre-wenn. Diese Sachen lassen einen Mann nicht mehr schlafen und berauben ihn seiner guten Gefühle.«

      Borg ging schweigend neben mir her. Es kam mir so vor, als ob ich ihn denken hören könnte. Nach einer längeren Strecke des Schweigens drehte er seinen Kopf und sah auf mich herab. »Da hilft wohl nur ein starkes Bier und eine gute Frau«, sagte er in vollkommen ernstem Ton.

      »Ja«, lachte ich. »Das sind wohl die einzigen Dinge, die immer helfen.«

      Die Bäume wichen einem lichten Hügel. »Wir müssen noch den Hügel hinauf«, sagte ich. »Von da aus sehen wir dann schon den Hof.«

      Der Hügel war nicht steil und auch nicht sonderlich hoch. Es war ein Leichtes, ihn zu besteigen. Oben angekommen sah ich das Haus meiner Kindheit. Ich war nie weit weg gewesen und doch kam es mir vor, als hätte ich eine Reise an den Rand der Welt unternommen.

      Vor dem Haus spielten zwei Kinder. Ich erkannte von weitem, dass einer von ihnen mein jüngerer Bruder Sigbart war. Bei den Göttern, der kleine Sigbart war gewachsen! Es dürfte nun sein dreizehntes Jahr sein. Den anderen Jungen kannte ich nicht. Schätzungsweise war er gerade mal fünf Winter jung.

      Borg und ich näherten uns dem Haus, das auf einem kleineren Hügel stand. Dahinter fing ein Hain an. Sigbart entdeckte uns und wusste wohl nicht recht, wer wir waren. Er rannte ins Haus, wohl um Mutter und Vater zu holen. Der andere Junge rannte Sigbart sofort hinterher. Ich hieß Borg zu warten und auch ich blieb mit ein bisschen Abstand zum Hof stehen. Vielleicht erkannten sie mich nicht und hielten mich für einen Angreifer.

      Mein Vater Horald kam aus dem Haus, mit einem Schwert in der Hand. Er ging ein paar Schritte auf uns zu, ohne etwas zu sagen. Ich spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.

      »Vater!«, rief ich.

      Horald ließ sein Schwert fallen und kam auf mich zu gelaufen. Auch ich ließ meine Tasche fallen und ging auf ihn zu.

      Hinter meinem Vater sah ich Sigbart heranstürmen. Er hielt eine Axt in der Hand und wollte auf mich losstürmen. »Er ist ein Betrüger!«, rief er.

      Er rannte an Vater vorbei und zielte mit der Axt auf meinen Kopf. Mein Vater konnte nicht mehr reagieren, also musste ich es tun. Ich wich zur Seite aus und versetzte Sigbart einen so harten Schlag an den Kopf, dass er zu Boden ging und die Axt aus der Hand verlor.