Ute Dombrowski

Verlogenes Versprechen


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Die Pflegedienstleiterin machte einen durchaus kompetenten Eindruck, doch das konnte auch nur der schöne Schein sein.

      „Ach, das habe ich Ihnen ja noch gar nicht erzählt und ich hoffe, das bleibt unter uns. In der Polizei scheint man auch nicht sehr sorgsam mit den Mitarbeitern umzugehen. Da muss sich ein angeschossener Polizist tatsächlich selbst um eine Betreuung kümmern und es aus eigener Tasche bezahlen. Das tut mir sehr leid.“

      Bianca und Hannes war sofort klar, dass sie Ferdinand meinte. Hatte er es doch wirklich geschafft, einen Pfleger zu beauftragen. Innerlich grinsten sie, äußerlich waren sie ganz cool.

      „Ja, es ist oft schwer“, sagte Hannes sachlich, „aber das ist ein Thema, über das wir in der Öffentlichkeit nicht reden sollen. Das bleibt bitte auch unter uns.“

      „Natürlich, ich bin verschwiegen“, flüsterte Cornelia und zwinkerte. „So, hier ist die Akte. Ich hoffe nochmals auf Ihre Verschwiegenheit, denn das sind Daten, die Sie eigentlich nicht sehen dürften.“

      Bianca nickte, nahm die Akte und begann zu lesen. Hannes sah ihr über die Schulter.

      „Rotraude Micker bekam nur ein leichtes Schmerzmittel?“

      „Ja, denn sie war noch sehr fit.“

      „Sie hatte Hilfe beim Aufstehen, bei der Morgen- und Abendtoilette und ab und zu bei Gängen außerhalb des Hauses?“

      „Wenn es dort eingetragen ist, war das auch so.“

      „Wie erklären Sie sich dann den plötzlichen Herzstillstand?“

      „Es ist Schicksal. Ich weiß, es klingt herzlos, aber alte Menschen sterben. Vielleicht hat sie sich über irgendetwas aufgeregt oder geärgert, aber das hat mit hundertprozentiger Sicherheit nichts mit den Dienstleistungen meiner Bienen zu tun.“

      „Passiert das öfter?“

      „Was bitte?“

      „Dass ein Mitarbeiter morgens kommt und dann der Klient ist tot?“

      „Selten, aber es kommt vor. Die meisten gehen leise.“

      Das war ein schönes Bild, aber Bianca ließ sich nicht davon täuschen.

      „Wie oft?“

      „Einmal bis dreimal im Monat. Es gibt aber auch Monate, wo niemand stirbt.“

      „Gut, kommen nur Ihre Mitarbeiter in Kontakt zu den Menschen?“

      „Viele haben ja gerade deshalb einen Pflegedienst, weil sie allein sind. Sie haben wenig Kontakte nach außen. Manchmal haben die Familien keine Zeit, aber oft ist es auch so, dass sie mit den Krankheiten ihrer Familienmitglieder nichts zu tun haben wollen. Da erleichtern die Kosten für den Pflegedienst das Gewissen.“

      „Danke für Ihre Offenheit. Wenn Ihnen noch etwas zu Ohren kommt, melden Sie sich bitte.“

      Cornelia nickte und setzte wieder ihr Lächeln auf. Mit großen Gesten komplimentierte sie die Kommissare aus der Tür. Bianca schnaufte, als sie im Auto saß.

      „Die ist aalglatt. Hinter ihre Fassade kann niemand schauen. Wir müssen irgendwie an ein paar Klienten rankommen und sie befragen.“

      Hannes wusste, dass Bianca weiter ermitteln würde, doch er fürchtete sich vor den Konsequenzen. Er kannte Violettas Ruf und die Staatsanwältin würde einer uneinsichtigen Kommissarin wie Bianca das Leben zur Hölle machen. Er seufzte.

      Bianca, die wusste, was er dachte, sagte: „Ich mache das allein, dann bekommst du keinen Ärger. Tu ein­fach so, als wüsstest du von nichts. Außerdem haben wir ja einen super Undercover-Klienten, der die Leute aushorchen kann, im Einsatz.“

      Sie grinsten und freuten sich auf Ferdinands Nachrichten. Nach Feierabend begann Bianca sich vor der Aussprache mit Eric zu fürchten. Als sie zuhause die Mailbox abhörte, hatte der Staatsanwalt ihr eine Nachricht hinterlassen: „Habe noch einen Termin in Frankfurt und bleibe im Hotel, weil ich morgen direkt ins Gericht muss. Wir sehen uns dann abends. Gehen wir schön essen?“

      Bianca verdrängte den Gedanken aus ihrem Kopf, dass er womöglich bei IHR sein konnte.

      10

      Janosch hatte auch heute wieder das Haus von Ramona Zackig beobachtet. Er war fest entschlossen, noch einmal mit ihr zu reden und sie um Hilfe anzuflehen. Ihm war es egal, ob er womöglich beim Testen eines noch nicht zugelassenen Medikaments sterben würde, aber er wollte nichts unversucht lassen.

      Gegen Mittag klingelte er und war sich sicher, dass die Frau zuhause war. Vergeblich wartete er auf das Summen des Tores. So blieb er auf der Straße stehen und kam sich wie ein dummer Junge vor. Immer wieder drückte er den Klingelknopf, aber nichts tat sich. Eine Viertelstunde später hörte er das Knattern eines Rollers und sah Ramona Zackigs Sohn in die Einfahrt einbiegen. Der Junge stoppte neben Janosch und nahm den Helm ab.

      „Sie sind immer hier, nicht wahr?“

      „Ja, ich wollte gerade …“

      „Macht meine Mutter nicht auf? Dann ist sie sicher im Arbeitszimmer. Kommen Sie ruhig mit herein, ich sage Bescheid, dass Sie da sind.“

      „Das ist nett“, erwiderte Janosch und ging mutig hinter dem Jungen her, der jetzt aufs Grundstück fuhr.

      Drinnen wartete er und sah Janosch freundlich an.

      „Ich bin Kevin, setzen Sie sich, ich suche meine Mutter.“

      „Ich bin Janosch.“

      Der Junge tippte sich an eine unsichtbare Mütze und verschwand. Janosch setzte sich auf einen Stuhl im Eingangsbereich und wartete. Er schaute sich um, war aber wenig fasziniert vom Wohlstand, den man selbst im Flur nicht übersehen konnte. Er war selbst nicht arm und hatte Geld genug, nur seine Chance es auszugeben verflüchtigte sich von Minute zu Minute. Mit jedem Atemzug, den er tat, kam er dem Tod ein Stück näher. Mit diesem Bewusstsein war er bereit, um eine Behandlung zu kämpfen.

      Zehn Minuten waren vergangen, als er hörte, wie sich eine Tür öffnete. Einen Augenblick später stand Ramona mit einem abweisenden Blick vor ihm.

      „Was wollen Sie schon wieder hier?“

      „Bitte hören Sie mich an“, flehte Janosch, denn Ramona zeigte erbarmungslos in Richtung Ausgang.

      „Ich habe Ihnen gesagt, wenn es etwas gibt, melde ich mich. Das, was Sie gerade tun, nennt man Belästigung. Mein Sohn hat Sie fälschlicherweise hereingelassen, aber das wird nicht noch einmal vorkommen. Bitte gehen Sie jetzt!“

      Ihre Stimme war emotionslos, jedes Wort drang wie ein Eiszapfen in Janoschs Seele ein.

      „Warum sind Sie so herzlos?“

      „Herr Brickmann, ich bin nicht herzlos, aber was denken Sie sich denn? Sie dringen in mein Haus ein, meine Privatsphäre, und wundern sich, dass ich Sie wegschicke? Es gibt kein Medikament, was Ihnen helfen kann. Ich bin auch keine Ärztin im eigentlichen Sinne, sondern ich forsche an einer Krankheit, die furchtbar und gewaltig ist. Ich bin froh, wenn ich ab und zu mal ein winziges Schrittchen vorankomme. In Ihrem Falle ist es noch ein weiter Weg, denn Ihre Form des Krebses ist aggressiver als alles, was ich bisher gesehen habe. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Bitte verlassen Sie mein Haus, sonst rufe ich die Polizei.“

      Niedergeschlagen drehte Janosch sich um und ging durch die Tür nach draußen. Tränen rannen über seine Wangen. Er fühlte sich, als hätte die Frau ihm ins Gesicht geschlagen. Das Tor stand bereits offen und er wollte gehen, da kam die Limousine, die er schon einmal gesehen hatte, hereingefahren und er musste zur Seite springen. Janosch sah genau in die Augen des Fahrers, bei dem es sich um jenen Mann handelte, der in Erbach in dem flachen Gebäude verschwunden war.

      Während Janosch das Grundstück verließ, hielt das Auto vor dem Haus und der Mann stieg aus. Er schaute dem ungebetenen Gast hinterher und stieg die Stufen zur Tür hinauf. Janosch schlich zu seinem eigenen Auto, das gegenüber parkte und fuhr heim,