Ute Dombrowski

Verlogenes Versprechen


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wollen würde, er könnte es nicht. Niemals würde er einer Frau zumuten, mit seiner Krankheit zu leben. Er wollte kein Mitleid, weil er in der letzten Zeit gelernt hatte, dass es oft nur geheuchelt war. Niemand wollte Geschichten über Schmerzen und Leiden hören. Und er, Janosch, wollte niemandem zur Last fallen. Irgendwann würde er in einem Bett liegen, sabbern, stinken und sterben. Wer, zum Teufel, würde so etwas aushalten?

      Kopfschüttelnd startete Janosch den Wagen und fuhr heim. Er war erschöpft, hatte Durst, trank ein großes Glas kaltes Wasser in einem Zug leer und bereute es direkt, denn er musste ins Bad rennen und sich übergeben.

      „Scheiße“, stöhnte er und seine Stimme klang merkwürdig dumpf in der Kloschüssel. „Wenn ich nicht am Krebs verrecke, werde ich verhungern.“

      Janosch schloss die Augen, legte den Arm auf die Klobrille und den Kopf auf den Unterarm. So saß er fünf Minuten, dann konnte er endlich wieder aufstehen und ins Wohnzimmer gehen. Er legte sich auf die Couch und wartete auf Konrad.

      8

      Bianca wurde ihr merkwürdiges Gefühl nicht los, dass an Ronald Mickers Verdacht etwas dran sein könnte. Mit Ungeduld hatte sie den Bericht aus der Gerichtsmedizin erwartet. Endlich rief Dr. Jonn an und sie eilte zu ihm. Hannes hatte sich gemeldet, dass er noch in Frankfurt vorbeischauen würde, denn der Pflegedienst hatte dort viele Klienten. Er wollte die Kollegen fragen, ob es dort in der letzten Zeit Beschwerden gegeben hatte.

      „Guten Morgen!“, schmetterte Bianca dem Gerichtsmediziner entgegen.

      „Du hast ja gute Laune. Sei nur nicht sauer, wenn ich sie dir jetzt verderbe.“

      „Warum das? Hast du nichts gefunden? Ist die alte Dame wirklich einfach nur gestorben?“

      „So leid es mir tut, es macht den Anschein, als irre sich der Sohn. Sie starb an einem plötzlichen Herzversagen. Jedoch in einem stimme ich ihm zu: Sie war kerngesund, bis auf ihre Knochen, aber das gibt es im Alter öfter. Ihr Herz war in Ordnung, es hat nur aufgehört zu schlagen.“

      „Das hört sich an, als wäre es ein schöner Tod, aber es macht mir auch Angst. Ich gehe einkaufen oder ins Kino und dann hört mein Herz auf zu schlagen? Ich kann niemanden auf meinen Tod vorbereiten? Alle trifft es völlig überraschend? Ich kann nicht einmal den Film zu Ende schauen? Und im Supermarkt zwischen der Käsetheke und dem Waschmittel zu sterben, stelle ich mir nicht schön vor.“

      „Liebe Bianca, du stirbst nicht. Dass du den Schuss überlebt hast, beweist, dass du noch nicht dran bist. Dennoch kann es jedem passieren. Ohne Vorwarnung. Ohne Ansage vom Meister mit der Sense: Bitte halten Sie sich bereit, Sie sterben in sieben Minuten.“

      Ein Schauer lief über Biancas Rücken, denn das Gespräch war für sie alles andere als lustig. Sofort waren die Bilder des einstürzenden Hauses in ihrem Kopf und ihr Gesicht verdüsterte sich. Dr. Jonn wusste, woran sie dachte.

      „Das kam auch unerwartet, aber es ist ähnlich einem plötzlichen Herzversagen. Wir können nie wissen, wann er uns holt.“

      Jetzt musste die Kommissarin an den Mann vom Rheinufer denken und erzählte dem Gerichtsmediziner davon.

      „Das finde ich noch schlimmer.“

      „Man weiß nicht, ob man den nächsten Tag überlebt.“

      Bianca nickte.

      „Du gehst abends ins Bett und bist nie sicher, ob du an nächsten Morgen wieder aufstehst. Und dann ist der Mann allein. Nicht, weil er ein Einsiedler ist, im Gegenteil, er hätte schon gerne Menschen um sich, doch er will sie nicht belasten. Die Familie weiß nicht, wie sie mit der Krankheit umgehen soll. Darum meldet sich seine Schwester auch so wenig wie möglich. Ihre Kinder könnten ja Fragen stellen und sie selbst müsste sich mit dem nahenden Tod ihres Bruders auseinandersetzen. Ich möchte solche Gedanken auch gerne verdrängen.“

      „Das kann ich gut verstehen. In meinem Job wäre das nur ungünstig.“

      Sein Lächeln vertrieb die bösen Gedanken, es war voller Wärme, und das war in Anbetracht der kühlen, sachlichen Umgebung schon eine Leistung. Bianca fand den Weg zurück zu Rotraude Micker.

      „Dann bleibt es beim natürlichen Tod, obwohl ich ein ungutes Bauchgefühl habe.“

      „Ja, aber du kannst trotzdem ein bisschen nachforschen, vielleicht wurde doch nachgeholfen. Die Unterlagen sind schon in der Staatsanwaltschaft. Euer Exemplar liegt auf deinem Schreibtisch, wenn du wieder im Büro bist.“

      Bianca nickte erneut und verließ die Gerichtsmedizin. Sie machte sich entschlossen auf den Weg zur Staatsanwaltschaft, um zu schauen, wer für den Fall zuständig war. Eric war nicht erreichbar, aber sie hatten am Abend zuvor schon geklärt, dass es nicht sein Fall war.

      Am Empfang erfuhr sie, dass sich eine neue Staatsanwältin damit beschäftigte. Die Kommissarin lief durch die Flure, bis sie vor einer offenen Tür stand. Am Schreibtisch saß eine umwerfend schöne Frau Anfang vierzig und wollte gerade einen Stapel Akten zum Regal bringen.

      Auf einem Schild neben der Tür stand: Violetta Cherney-Ströckwitz. Das Blut fror in Biancas Adern und sie hörte auf zu atmen. Die Frau mit den wallenden blonden Locken hatte sie noch nicht gesehen, also ging die Kommissarin einen Schritt zurück. Sie zitterte.

      Konnte das möglich sein? War das tatsächlich Erics Frau? Hatte sie sich nur verlesen oder eine Fata Morgana war ihr erschienen? Wusste Eric davon?

      Bianca schüttelte sich, holte tief Luft und schaute noch einmal auf das Schild. Es war keine Fata Morgana. Der Name stand dort in schwarze Buchstaben gemeißelt und es zerriss ihr das Herz. Wie konnte sie gegen eine solche Frau gewinnen? Dass hier gar kein Spiel gespielt wurde, fiel ihr in dem Moment nicht ein. Unerbittlich klopfte ihr Herz und sie fühlte sich klein und hässlich.

      Sie trat erneut einen Schritt zurück und rief sich zur Ordnung. Es würde eine ganz einfache Erklärung dafür geben, dass sie ausgerechnet jetzt vor ihrem lebendig gewordenen Alptraum stand. Mit erhobenem Kopf klopfte sie und die Frau am Schreibtisch sah sie freundlich an.

      „Guten Morgen, man sagte mir, dass sie die zuständige Staatsanwältin im Fall Rotraude Micker sind.“

      „Ja, das bin ich. Kommen Sie bitte näher“, sagte eine sanfte Stimme, die vor Gericht sicher jeden aus dem Konzept brachte. „Wer sind Sie denn?“

      „Ich bin Bianca Verskoff von der Kripo Eltville.“

      Die Augen der Frau wurden für einen winzigen Moment schmaler, aber dann lächelte sie wieder. Bianca spürte, wie starr und angespannt sie sein musste und sah sich im Büro um. Alles war ordentlich und sauber, die Einrichtung neutral, ohne Schnörkel. Eine einzige große Grünpflanze schaukelte neben dem gekippten Fenster im Luftzug. Violetta trug ein dunkelblaues Kostüm, eine weiße Bluse und Schuhe mit halbhohen Absätzen.

      „Ich bin Violetta Cherney-Ströckwitz. Bitten nehmen Sie doch Platz.“

      Hatte sie den Namen Ströckwitz extra betont? Bianca setzte sich an die andere Seite des Schreibtisches. Sie konnte sich nicht wehren: Sie mochte diese Frau. Eine unglaubliche Welle von Sympathie durchflutete ihren Körper.

      „Sie sind Erics Freundin, nicht wahr?“, sprach die sanfte Stimme und zeigte eine Reihe wunderbarer weißer Zähne. „Ich bin mit ihm verheiratet.“

      Das war alles so unwirklich, dass es Bianca schwindelig wurde.

      Ohne Ankündigung wechselte die Staatsanwältin das Thema: „Sie kommen wegen der Anzeige, die Ronald Micker gemacht hat, in der er behauptet, dass seine Mutter eines nicht natürlichen Todes gestorben ist und dafür soll der Pflegedienst verantwortlich sein.“

      „Ja“, antwortete Bianca mit kratziger Stimme. „Ich habe mir seine Beweggründe angehört und fand seinen Verdacht durchaus glaubwürdig.“

      „Das finde ich ganz und gar nicht.“

      „Ach …“

      Bianca wusste nicht, was