Birgid Windisch

Gefahr im Odenwald


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dass du den Führerschein gemacht hast“, lachte sie ihn breit an. „Wenn ich noch dicker werde, passe ich fast nicht mehr hinter das Lenkrad!“

      Oma schaltete sich ein: „Ach Lenchen, hast du eine Ahnung, du bist ja erst im achten Monat, da geht noch was!“ Sie lächelte sie liebevoll an. Erschrocken sah ihr Lene in die Augen. „Echt? Mir würde das schon reichen so.“ Wernher streichelte sie vorsichtig über den Bauch. „Dann hast du endlich mal was auf den Rippen und ich habe noch mehr von dir!“ kniff er sie zärtlich in die Seite. „Hey mein Schatz, lass meinen Speck in Ruhe, sonst fühl ich mich sonst gleich noch dicker“, brummelte Lene, gespielt beleidigt und Wernher sah seinen Schatz voller Liebe an. Sie konnte ihn nicht hinters Licht führen - er wusste, dass sie gar nicht in der Lage dazu war, wegen solcher Kleinigkeiten beleidigt zu sein. Behutsam legte er den Gang ein und fuhr los. Horst und Oma verdrehten die Köpfe, um einen Blick zurück zu werfen und womöglich noch einmal Hans zu entdecken, da rief Lene schon aufgeregt: „Da, seht mal!“ Wie auf Kommando, fuhren alle Köpfe in Richtung, Lenes deutenden Zeigefinger. Hinter einem Busch sahen sie Hans hervorlugen. „Wenn das ein Fremder gewesen wäre, würde er uns nicht so heimlich belauern“, meinte Wernher. „Das ist genau seine Art, immer schön aus dem Hinterhalt. Gerade heraus kann er nicht, weil er ein feiger Hund ist!“, zischte er wutentbrannt durch die Zähne und Lene überlief eine Gänsehaut bei seinen Worten.

      Kapitel 3

      Das Adam-Otto-Vogel-Haus

      Daheim angekommen, zogen sich Helga und Horst sogleich erschöpft in die Küche zurück, wo sie sich auf die Eckbank fallen ließen. Lene stellte derweil die Kaffeemaschine an, um ihre Oma wiederzubeleben, die einen arg mitgenommenen Eindruck auf sie machte.

      „Lene? Kannst du mal kommen“, rief Wernher aus dem Wohnzimmer. Lene lief schnell hinüber und sah Wernher neben dem Telefon stehen. „Schau mal, es blinkt, ist das der Anrufbeantworter, wie du das Ding nennst, oder das Telefon?“ Lene nahm den Hörer in die Hand und lächelte ihn liebevoll an. „Das ist der im Telefon integrierte Anrufbeantworter, mein Schatz. Und zwar hat jemand angerufen in unserer Abwesenheit und auf das Band gesprochen.“ „Auf das Band?“ Wernher sah sie verständnislos an. „Ja, früher war da ein kleines Tonband drinnen und deshalb sagt man heute noch so, obwohl es inzwischen ein kleiner Chip ist, ein winziges Kärtchen sozusagen“, erklärte Lene. „Oh, Mann“, stöhnte Wernher und rollte mit den Augen. „Das kapier ich nie.“ Sie drückte auf das Knöpfchen: „Horch einfach, du musst es ja nicht verstehen, wie es funktioniert!“ Wernher neigte den Kopf und hörte konzentriert zu, was die Stimme aus dem Kästchen sagte: „Eine neue Nachricht“, erklang eine blecherne Frauenstimme. „Nachricht eins – Sonntag, 17. November 2018 – 11 Uhr.“ Laut erklang die Stimme des Bürgermeisters: „Hier ist der Bürgermeister, ich würde gern mit Wernher Bache sprechen. Würden sie sich bitte morgen im Rathaus melden? Ich habe gehört, dass sie Experte sind, für alte Bauten aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Wir renovieren das alte Adam-Otto-Vogel-Haus und sind auf Schwierigkeiten gestoßen. Könnten sie bitte morgen früh, zu einer kleinen Krisensitzung ins Rathaus kommen? Wir treffen uns um 9 Uhr im Sitzungssaal. Falls sie nicht kommen können, sagen sie bitte kurz Bescheid!“ Wernher sah das Kästchen aufgeregt an. „Natürlich komme ich morgen!“ Lene legte ihm die Hand auf den Arm und meinte beruhigend: „Bleib ruhig, er hört dich doch nicht. Es ist eine Aufzeichnung.“ „Aufzeichnung? Es ist doch kein Bild“, sah Wernher sie verwirrt an. „Aufzeichnung nennt man auch Aufnahmen von Tönen zum Beispiel“, meinte Lene erklärend, bemerkte aber, dass sie die Verwirrung nur vergrößerte. „Dieses Gerät nimmt auf, was der Anrufer sagt, wenn niemand zuhause ist und der Anrufer ist nicht mehr am Telefon und kann dich auch nicht hören.“ „Aha“, machte Wernher erleichtert. „Praktisches Ding!“

      Zu Wernhers Zeit waren in Mömlingen 62 Herdstätten gewesen. Damals wurden noch, anstatt der Einwohner, die Herdstätten gezählt. Die Sterblichkeit war dazumal, besonders im Kindesalter, noch sehr hoch und die Einwohnerzahl variierte zu sehr, als dass man sie genau hätte festhalten können.

      „Wie kommt es eigentlich, dass du als Experte für alte Bauten giltst?“ wollte Lene wissen. „Mein Schatz, damals war ich natürlich kein Experte, aber es war sehr hilfreich, wie heute wahrscheinlich auch noch ist, wenn man möglichst viel selbst machen konnte. Handwerker waren schwer zu bekommen und so half man sich eben gegenseitig. Einer konnte gut mauern, ein anderer verputzen oder ein Dach zimmern und so mauerte der eine beim Hausbau mit und dafür zimmerte der andere das Dach und da ich immer mitgeholfen habe, kann ich von allem ein wenig. Außerdem weiß ich genau, wie die alten Häuser früher gebaut wurden und heutzutage hat man zwar noch Bilder davon und Forschungen, aber außer mir hat damals keiner gelebt und es ganz genau gesehen und die alten Techniken angewendet.“ „Du hast das aber hoffentlich niemandem gesagt“, sah Lene ihn erschrocken an. „Ich bin doch nicht blöd“, meinte Wernher begütigend. „Ich denke, ich muss eher aufpassen, dass euch Weibsleuten nichts herausrutscht. Damals konnten die meisten Weiber nicht die Gosche halten und ich denke, heute ist es nicht viel anders“, grinste er Lene an. Lene gab sich gespielt empört, musste aber zugeben, dass er recht hatte. Von Wernhers Herkunft wussten nur wenige handverlesene Freunde, die absolut vertrauenswürdig waren. Nicht auszudenken, wenn es publik würde. Wahrscheinlich würde es gar niemand glauben und eher denken, sie wären Betrüger, oder Schlimmeres. Nein, es durfte nicht an die Öffentlichkeit geraten. „Na, dann pass nur auf, wenn du mit den Gemeindemitgliedern, die restaurieren, redest, dass DIR nichts rausrutschst!“, grinste Lene süffisant. Wernher lächelte selbstgefällig in sich hinein. Diese Lene meinte immer noch, ihn beschützen zu müssen, dabei war doch ganz klar, dass sie das gar nicht konnte. Naja, er wollte ihr nicht ihre Illusion nehmen. „Ich denke, dass Jos Mann bei der letzten Gemeinderatssitzung von meinen Fähigkeiten berichtet hat, als es um das alte Haus ging“, meinte Wernher nachdenklich.

      Nachdem sie Oma und Horst mit Kaffee wiederbelebt und alle zusammen fast einen ganzen Kuchen vertilgt hatten, meinte Lene mit vollen Backen: „Morgen geht Wernher aufs Rathaus. Sie brauchen ihn für das Adam-Otto-Vogel-Haus.“ Oma lächelte freundlich: „Da bist du genau der Richtige, Wernher – wenn du dich nicht mit alten Häusern auskennst, wer dann?“ Lene freute sich, dass ihre Oma stolz auf ihren angeheirateten Schwiegerenkel war und pflichtete ihr sofort bei: „Ja, Oma, das ist er. Er kann einfach alles, mein Wernher!“ Der wurde ganz rot bei so viel Lob, das war er überhaupt nicht gewöhnt und Lene sah ihm an, wie unbehaglich er sich dabei fühlte, aber da musste er durch. In ihrer Familie wurde er nun mal geliebt und wertgeschätzt und in der jetzigen Zeit, durfte man das auch ruhig spüren. Am nächsten Tag meldete sich Wernher im Rathaus, gleich als es für Besucher geöffnet wurde. Der Bürgermeister kam lächelnd auf ihn zu: „Das nenne ich zuverlässig und motiviert. Gleich zu Beginn der Öffnungszeit, das lobe ich mir.“ Wernher meinte verlegen: „Der frühe Vogel fängt den Wurm, oder Herr Bürgermeister?“ Der Bürgermeister nickte und schob Wernher in sein Büro. „So Herr Bache, so heißen sie doch, oder?“, fragend sah er Wernher an. Dieser nickte zustimmend. „Das ist mein Name und in unserer Familie ist es Tradition, die Häuser in der alten Bauweise zu errichten.“ „Aha“ - der Bürgermeister klang interessiert. „Wo kommen sie eigentlich her?“

      „So genau, kann ich das leider nicht beantworten“, wand sich Wernher unbehaglich. Er wollte keinesfalls lügen, aber die Wahrheit konnte er auch nicht sagen und so hatte er mit Lene beschlossen, so ehrlich wie möglich zu sein, ohne allzuviel preiszugeben. „Ich habe leider mein Gedächtnis verloren und weiß nur, dass mich Lene hier im Buchbergwald gefunden hat, wo ich hilflos lag. Da ich ein wenig die afrikanische Sprache beherrsche, vermute ich, dass ich aus Afrika geflohen bin. Aber merkwürdig ist, dass ich ebenso den hiesigen Dialekt fehlerfrei beherrsche und mit der alten Bauweise der Häuser aus dem 15. und 16. Jahrhundert vertraut bin. Deswegen vermuten wir, dass meine Vorfahren aus dem Odenwald kamen und ihre Häuser in der alten Bauweise errichteten und dies immer wieder vom Vater auf den Sohn weitergegeben haben. Anders können wir es uns nicht erklären“, meinte Wernher verlegen. „Aber das ist doch wunderbar!“ Der Bürgermeister klang begeistert. „Genauso einen Mann brauchen wir! Ihre Herkunft ist nicht wichtig. Mir kommen sie sogar sehr vertraut vor und kein bisschen fremd. Ich wollte sie daher bitten, bei