Peter Wolff

Vendetta Colonia


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ich gerne. Noch ein Wasser?“

      „Nein, ich muss zurück ins Büro.“

      „In Ordnung, sehen wir uns wieder?“

      „Mir ist noch nicht nach Ausgehen, Werner. Versteh' das bitte nicht falsch, aber...“

      „Schon gut, ich verstehe“

      „Danke“

      „Ich melde mich bei Dir, sobald ich etwas passendes gefunden habe“

      „Danke, Werner. Und einen schönen Tag noch.“

      Anmutigen Ganges verlässt Clarissa Kramer das Lokal.

      „Mein lieber Mann! Die ist aber noch taufrisch, was?!“ kommentiert der Mann hinter dem Tresen das eben Gesehene.

      „Bätes, mach' mir noch ein Kölsch.“, entgegnet Werner Schmitz.

      09

      Bis Anfang der 1970er Jahre wächst die Zahl der nach Deutschland kommenden Gastarbeiter weiter an.

      Das Konzept besteht ursprünglich darin, überwiegend junge Männer aus rückständigen Regionen zu rekrutieren und sie befristet zu den vergleichsweise hohen deutschen Löhnen arbeiten zu lassen. Anschließend würden sie als die sprichwörtlichen gemachten Männer in ihre Heimat zurückkehren.

      Wenngleich viele nach Ablauf ihres Vertrages heimkehren, nimmt die Zahl derjenigen zu, die bleiben. Sie holen ihre Familien nach Deutschland.

      Für einen wachsenden Anteil der Arbeitseinwanderer steht eine kurzfristige Rückkehr in die Heimat nicht mehr auf der Tagesordnung.

      Auch und nicht zuletzt, weil die Gastarbeiter in Deutschland überproportional gut verdienen.

      Ihre Erwerbsquote liegt daher deutlich über und ihre Arbeitslosenquote unter dem deutschen Durchschnitt.

      Mit Bezug auf die Entlohnung ist es für die Gastarbeiter in den 1960ern von Vorteil, dass sie überproportional häufig in Großbetrieben beschäftigt sind, welche üblicherweise höhere Stundenlöhne zahlen als Kleinbetriebe. Das liegt daran, dass die Gastarbeiter vor allem in Branchen wie zum Beispiel der Eisen- und Metallerzeugung, dem Bergbau und der chemischen Industrie beschäftigt sind, welche von Großbetrieben dominiert sind (23).

      Auch Borna Krupcic profitiert von den guten Löhnen bei Ford, Monat für Monat kann er einen beträchtlichen Betrag zurücklegen. Was die Zukunft für sich und seine Familie betrifft, kann er es sich mittlerweile durchaus vorstellen, in Deutschland sesshaft zu werden.

      Wenngleich die Illusion, eines Tages zurückzukehren, bei ihm, wie bei vielen anderen Gastarbeitern auch, wach bleibt, sucht er bereits nach kurzer Zeit ein Zuhause und zieht schließlich aus der Gastarbeiterbaracke in eine Wohnung nach Köln-Chorweiler.

      Nach und nach richtet er sein neues Heim ein und hat dabei immer im Hinterkopf, dass seine Familie bald zu ihm zieht.

      Noch bleiben ihm nur die Telefonate nach Jugoslawien.

      „Hallo Papa, was gibt es Neues in der Heimat?“

      „Hier wird im Moment viel gebaut, Du würdest unser Viertel kaum wiedererkennen.“

      „Na, so schlimm wird es wohl nicht sein.“

      „Gut, das war vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber es tut sich was in der Heimat.“

      „Das muss es auch.“

      „Tante Dunja kommt die Tage zu Besuch. Wir haben ihr Dein Zimmer hergerichtet.“

      „Ihr habt mich wohl schon vergessen, was?! Das ging aber schnell.“, lacht Borna.

      „Aus den Augen, aus dem Sinn...“

      „Ja, ja. Ich habe meine Wohnung schon ein wenig eingerichtet und mir einige kleine Möbel gekauft. Zum Teil auch gebrauchte Stücke von einem Kollegen, der nach Jugoslawien zurückgegangen ist.“

      „Schön.“

      „Trotzdem – Ihr fehlt mir alle so, Papa.“

      „Du fehlst uns auch, Junge. Deine Frau schläft schon, soll ich sie wecken?“

      „Nein, lass mal. Ich habe gestern kurz mit ihr telefoniert, als Du unterwegs warst.“

      „Ja, ich weiß.“

      „Ich werde jetzt auch ins Bett gehen, morgen um 04:30 klingelt der Wecker.“

      „Ich wünsche Dir eine gute Nacht, mein Sohn.“

      „Danke Papa. Laku noc.“

      10

      Alfredo Bugno sitzt im Speisesaal der Casa di Cura. Zwölf Uhr, Mittagessen. Eine kleine Minestrone, dann Spaghetti all' arrabiata, als Dessert ein Erdbeereis.

      Mit dem Essen im Pflegeheim ist er durchaus zufrieden. Auch die Arbeit in der Behindertenwerkstatt macht ihm Spaß.

      Mit seiner Tätigkeit bei Fiat zwar nicht zu vergleichen, aber immerhin ist er weiter handwerklich tätig.

      Er repariert Fahrräder aus dem Fundus des Heims, wird auch bei Reparaturen im Heimgebäude ab und an miteingebunden und entwickelt sich im Laufe der Monate quasi zum „Hausmeister“ des Heims. Alfredos vielfältige handwerkliche Fähigkeiten werden durchaus geschätzt.

      Die Tics, die ihn immer häufiger heimsuchen, fallen hier nicht weiter ins Gewicht, dass er infolge der Zuckungen länger für seine Arbeit braucht, ist in der Werkstatt des Heims egal.

      Die Umstände seines Umzugs ins Pflegeheim hat Alfredo Bugno noch keinesfalls überwunden.

      Er hat die letzten Monate so erlebt, als wäre ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden.

      Seinen Arbeitsplatz bei Fiat hat er verloren. Hatte sein Chef, Mario Stroppa, nach Ausbruch der Erkrankung nicht mehrmals betont, dass er Möglichkeiten sieht, ihn anderweitig in der Firma einzusetzen? Was hat Stroppa wohl zum Umdenken bewegt?

      Alfredos Vermieter hat wie aus heiterem Himmel Eigenbedarf angemeldet und ihm die Wohnung gekündigt. Obwohl der Mann mehrere Mehrparteien-Miethäuser besitzt. Sehr ungewöhnlich, denkt sich Alfredo.

      Dass Guiseppe Scirellis hinter all' dem steckt, ahnt Alfredo Bugno nicht einmal.

      Dieser hat ganze Arbeit geleistet. Als bei seinem Cousin das Tourette-Syndrom diagnostiziert wird, setzt er alle Hebel in Bewegung, den jungen Mann aus dem öffentlichen Leben zu entfernen.

      Nachdem er Fiat-Fertigungsleiter Mario Stroppa unmissverständlich klar gemacht hat, dass er seinem Cousin die Kündigung auszusprechen hat, setzt er Alfredos Vermieter unter Druck, indem er ihm damit droht, sämtliche Objekte, die er besitzt, im Hinblick auf Beschädigungen und Sicherheitsrisiken zu kontrollieren.

      Beide beugen sich der Macht des Scirelli-Clans und funktionieren so, wie es in Guiseppes perfiden Plan passt.

      Alfredo Bugno wird das Ansehen, wird den Ruf der Famiglia nicht beschmutzen.

      11

      Werner Schmitz nimmt der Aufbau der neuen Sportredaktion sehr in Anspruch. Er führt viele Gespräche, ist sehr akribisch in der Auswahl seiner potenziellen Mitarbeiter.

      Trotzdem bleibt die Zeit, sich intensiv um eine Wohnung für seine neue, junge Bekanntschaft und deren Vater zu kümmern.

      Er beschränkt sich dabei auf Objekte in den westlichen Stadtteilen Köln – schließlich wohnt er in Ehrenfeld und wer weiß: Vielleicht wird es sich ja irgendwann als praktisch erweisen, dass Clarissa Kramer in einem angrenzenden Stadtteil lebt...

      Dank der Kontakte des aufstrebenden Journalisten ist schon bald etwas Passendes für die Kramers gefunden: eine schöne Zweizimmerwohnung in der Piusstrasse