Peter Wolff

Vendetta Colonia


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      Anfang der 60er Jahre erkrankt Amanda Kramer an Tuberkulose.

      Einer Krankheit, die am häufigten die Lunge befällt und in den 60er Jahren weltweit die tödlichste Infektionskrankheit ist.

      Die Beschreibung des Erregers Mycobacterium tuberculosis durch Robert Koch war 1882 ein Meilenstein der Medizingeschichte. Die Tuberkulose wird deshalb auch Morbus Koch genannt (16).

      Tuberkulose ist bereits in den 60er Jahren durchaus heilbar. Allerdings bildet sich infolge der Behandlung bei Amanda Kramer Wasser im Gehirn, ihr Zustand ist kritisch.

      Clarissas Mutter liegt im St. Elisabeth-Krankenhaus in Köln-Lindenthal, ihr Ehemann Horst besucht sie jeden Tag, auch Clarissa selbst ist beinahe täglich vor Ort.

      Eines Nachts wird Clarissa um 01:30 Uhr plötzlich wach. Ohne erkennbaren Anlass sitzt sie plötzlich aufrecht im Bett und weiß nicht, warum. Sie kann sich nicht erinnern, etwas Schlimmes geträumt zu haben, auch sind keine lauten Geräusche vernehmbar, die ein Aufwachen hätten verursachen können.

      Clarissa schläft schnell wieder ein und wird gegen 07:00 vom Läuten des Telefons geweckt.

      „Hallo?“, spricht sie verschlafen in den Hörer.

      „Mit wem spreche ich denn da?“

      „Hier spricht Clarissa Kramer.“

      „Doktor Wolter am Apparat, St.Elisabeth-Krankenhaus.“

      „Ja?“, Clarissa beschleicht eine schlimme Vorahnung.

      „Frau Kramer, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter diese Nacht gegen 01:30 verstorben ist.“

      Clarissa laufen Tränen über das Gesicht, sie ist kaum fähig, das Gespräch fortzuführen.

      „Es tut uns sehr leid, Frau Kramer, aber wir konnten am Ende nichts mehr für sie tun.“

      „Um 01:30...“, stammelt Clarissa, mehr zu sich selbst. Ich komme gleich ins Krankenhaus.“

      „Ist gut, Frau Kramer. Wollen Sie Ihre Mutter noch einmal sehen?“

      „Das weiß ich noch nicht.“

      Als sie den Hörer auflegt, spürt Clarissa, wie ihr Vater ihr von hinten die Arme um den Körper legt. Horst Kramer hat das Gespräch mitangehört.

      „Amanda ist tot, nicht wahr?“

      Clarissa dreht sich zu ihrem Vater um und beide weinen bitterlich.

      06

      Im ersten Jahrzehnt nach dem letzten Weltkrieg überwindet die Bundesrepublik rasch die anfänglich hohe Arbeitslosigkeit und erreicht Ende der 1950er Jahre bereits Vollbeschäftigung. Neben der rasant wachsenden Wirtschaft tragen der Eintritt geburtenschwacher Jahrgänge in den Arbeitsmarkt, die Verlängerung der Ausbildungszeiten, die Verkürzung der Wochenarbeitszeiten, der Anstieg des durchschnittlichen Renteneintrittsalters und der Aufbau der Bundeswehr zu den Engpässen am Arbeitsmarkt bei. Schließlich stoppt der Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961 den Zustrom von Arbeitskräften.

      Die Arbeitskräfteknappheit stellt angesichts weiter steigender Nachfrage das größte Hemmnis für eine Ausweitung der Produktion bei stabilen Preisen dar. Aus der Sicht der Arbeitgeber und der Bundesregierung liegt es daher nahe, diesen Bedarf durch ausländische Arbeitnehmer zu füllen, um die Unternehmensgewinne zu erhalten.

      Ergo verfolgt die deutsche Bundesregierung Anfang der 60er Jahre die Politik, südeuropäische Arbeiter temporär in die Bundesrepublik zu holen, um die heiß laufende Arbeitsnachfrage in der Bundesrepublik zu kühlen.

      Der Nachfrage aus der Bundesrepublik steht ein entsprechendes Angebot südeuropäischer Staaten gegenüber. So geht die Initiative für die Anwerbeabkommen stets von den Anwerbestaaten selbst aus, welche sich dadurch Vorteile versprechen.

      Von der Arbeitnehmerentsendung erhofft man sich vielerorts eine Entlastung des eigenen Arbeitsmarktes, eine Kanalisation ohnehin vorhandener Arbeitsmigration, einen Import von Know-how und dringend benötigte Devisen.

      Auf deutscher Seite wird die Gastarbeiterpolitik als eine Art Entwicklungshilfe und Beitrag zur europäischen Integration begriffen.

      Ein erstes Anwerbeabkommen, welches den Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft lindern soll, wird am 22. Dezember 1955 mit Italien geschlossen. Anfang der 60er Jahre folgen schnell weitere Vereinbarungen mit Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Als Konsequenz dieser Abkommen kommt es zur ersten großen Einwanderungswelle in die noch junge Bundesrepublik.

      Die Zuwanderung südeuropäischer Gastarbeiter kommt Anfang der 60er Jahre zunehmend ins Rollen.

      Die Zahl der Ausländer in der Bundesrepublik erhöht sich zwischen 1961 und 1967 von 686.000 auf 1,8 Millionen.

      Letztendlich stellen die Jugoslawen und schließlich die Türken die größten Kontingente.

      Viele der Gastarbeiter, die in den 1960er Jahren in Deutschland kommen, stehen schon am nächsten Tag auf der Baustelle oder am Fließband (17).

      Köln spielt bei der Anwerbung von "Gastarbeitern" eine entscheidende Rolle. Neben München ist die Stadt am Rhein der Ort, von wo aus die ankommenden ausländischen Arbeitskräfte mittels sogenannter Sammeltransporte in die ganze Bundesrepublik verteilt werden.

      Während die italienischen, griechischen, türkischen und jugoslawischen Arbeiter am Münchener Hauptbahnhof ankommen und durch die dortige Weiterleitungsstelle betreut werden, nimmt man die spanischen und portugiesischen "Gastarbeiter" am Bahnhof Köln-Deutz in Empfang (18).

      In der Domstadt selbst herrscht bedingt durch die hohen Verluste im zweiten Weltkrieg und durch die boomende Wirtschaft in den 50er und frühen 60er Jahren zu dieser Zeit ein großer Bedarf, gleichzeitig aber auch ein Mangel an Arbeitskräften. So rekrutiert man die dringend benötigten Mitarbeiter nicht nur aus der Umgebung Kölns, aus entlegenen Regionen wie der Eifel und dem hohen Westerwald, sondern auch aus dem vornehmlich südeuropäischen Ausland (19).

      Hauptbahnhof Köln. Borna Krupcic ist nach der langen und anstrengenden Fahrt endlich in der Metropole am Rhein angekommen. Er steigt aus dem völlig überfüllten aus München kommenden Zug aus und schaut sich auf dem Bahnsteig um. Er hat den Freund des Vaters lange nicht gesehen, dieser erkennt ihn jedoch, der umher eilenden Menschenmenge zum Trotz, direkt.

      „Borna!“

      „Herr Krastic....erst einmal: Danke!“

      „Ab heute Filip. Und danken brauchst Du mir nicht, es ist doch selbstverständlich, dass ich Dir helfe.“

      „Sehr gern, Filip. Ich möchte Dir trotzdem danken.“

      „Du wohnst erst einmal bei mir, bis ein Zimmer für Dich im Betriebswohnheim eingerichtet ist. Schon morgen kannst Du in der Firma anfangen.“

      Filip Krastic hat seine Frau und seinen achtjährigen Sohn nachgeholt, die Familie bewohnt eine kleine Zweizimmerwohnung.

      Auch wenn die beiden Männer am nächsten Morgen zeitig aufstehen müssen, wird es ein langer Abend in Köln-Merkenich. Schließlich gibt es einiges aus der Heimat zu erzählen, zudem will Borna vieles rund um seine neue Arbeit und das Leben in Deutschland erfahren.

      Um 05:00 schellt unbarmherzig der Wecker. Ein kurzes Frühstück und die beiden Männer machen sich auf zur Arbeit.

      Mit einem Kapital von nur 28.000 US-Dollar gründet Henry Ford am 16. Juni 1903 in Detroit die Ford Motor Company. Erster Unternehmenssitz in Deutschland ist Berlin. Am 28. Oktober 1929 unterzeichnet der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer den Vertrag über den Bau des Ford-Werkes auf einem 170.000 Quadratmeter großen Gelände in Köln-Niehl, das ursprünglich für eine Jahresproduktion von bis zu 250.000 Fahrzeugen ausgelegt sein soll und dessen Errichtung 12 Millionen Reichsmark kostet. Der Unternehmenssitz wird 1930 von Berlin nach Köln verlegt, wo Henry Ford am 2.Oktober