Peter Wolff

Vendetta Colonia


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alle Nicht-Kölner: Als Kölner Klüngel, Kölscher Klüngel oder einfach Klüngel wird in Köln ein System auf Gegenseitigkeit beruhender Hilfeleistungen und Gefälligkeiten bezeichnet.

      "Man kennt sich und man hilft sich." So definierte der ehemalige Bundeskanzler und Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer den kölschen Klüngel (24).

      Der Begriff Klüngel ist im Kölner Raum durchaus positiv besetzt, im Sinne von "eine Hand wäscht die andere", über Beziehungen verfügen oder "vernetzt" sein.

      Werner Schmitz jedenfalls ist in den 60er Jahren in Köln bestens vernetzt: Ein Anruf bei der richtigen Stelle und er kann Horst und Clarissa Kramer die freudige Nachricht überbringen. Zwei Monate Wartezeit nehmen die Kramers für die günstige wie gemütliche Wohnung gern in Kauf.

      Nachdem das Wohnungsproblem gelöst ist, intensivieren Werner und Clarissa ihren Kontakt. Sie treffen sich regelmäßig, er nimmt sie mit auf diverse Sportveranstaltungen, zunehmend wird Clarissa auch Werners Begleitung bei gesellschaftlichen Anlässen.

      Werner lebt noch in einem kleinen Appartement in der Lichtstraße, einem alten Arbeiterviertel in Ehrenfeld, im Nebenhaus seines Elternhauses.

      Er hat sich nach dem Krieg vornehmlich um seine Karriere als Journalist gekümmert und genießt darüber hinaus nach wie vor die Kochkünste seiner Mutter im Nebenhaus, die ihm auch die Wäsche macht. Als er diese einmal mehr in einem großen Kopfkissenbezug abholt, stellt ihn Mutter Elsa zur Rede.

      „Und, hast Du das Mädchen von der Domplatte wiedergesehen?“

      „Clarissa? Aber ja doch!“

      „Das freut mich. Du wirst auch nicht jünger und so langsam wird es Zeit, dass Du mal mit einer jungen Dame sesshaft wirst. Oder willst Du ewig in dem kleinen Appartement neben Deinen Eltern wohnen bleiben?“

      „Wollt ihr mich loswerden?“

      „Aber nein, das weißt Du doch. Nur, jetzt, wo Du einen sicheren Arbeitsplatz hast und gutes Geld verdienst, denk' doch auch einmal an Dein Privatleben.“

      „Das tue ich, Mama. Und gerade in den letzten Wochen umso mehr.“

      „Wegen Clarissa?“

      „Sei nicht so neugierig, Mama.“

      12

      Als Borna Krupcic in Novisad aus dem Zug steigt, staunt er nicht schlecht: Beinahe die gesamte Familie erwartet ihn. Sicher, mit seinen Eltern, seinen Geschwistern und natürlich mit seiner Ana und den zwei Kindern war zu rechnen. Aber dass auch seine Tanten, Onkel Cousins und Cousinen samt ihren Familien nahezu komplett erschienen sind, um ihn zu begrüßen, lässt Borna Krupcic beinahe die Fassung verlieren. Er weint hemmungslos, nimmt einen nach dem anderen in den Arm und hat Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. „Zahvaliti“, „Danke.“ schluchzt er mehrmals.

      Bornas Eltern haben den Hinterhof ihres kleinen Häuschens bunt geschmückt, das Radio spielt heimische Musik, aus der Küche riecht es herrlich nach regionalen Köstlichkeiten.

      Nach und nach gesellen sich auch Nachbarn zu der feiernden Familie, es wird ein langer Abend.

      „Borna, erzähl' doch mal, wie es Dir so ergangen ist“, ergreift Zlatko, ein guter Freund Bornas, das Wort.

      „Wo soll ich anfangen, Zlatko? Es sind so viele neue Erfahrungen, so viele neue Menschen, die ich kennengelernt habe.“

      „Und die Arbeit?“, fragt ein Freund der Familie.

      „Ich arbeite bei Ford, einem großen Werk in Köln. Jeden Tag bis zu zehn Stunden. Schichtdienst, mal fange ich früh an, mal spät. Ich bin da in der Fertigung beschäftigt, ich montiere Autoteile. Man muss dort sehr schnell arbeiten, das kannte ich bisher nicht. Ich habe mich aber ganz gut daran gewöhnt mittlerweile.“

      „Und wie gefällt Dir die Stadt?“, möchte ein anderer Gast der Krupcics wissen.

      „Die Stadt...wie soll ich sagen, irgendwie besonders ist sie. Die Leute sind sehr offen und es wird viel gelacht. Man feiert auch viel. Und an Karneval...“

      „An was ?!“ fragt Zlatko.

      „Karneval. Das ist ein Fest in Köln, einmal im Jahr, meistens im Februar. Da verkleiden sich die Leute und ziehen durch die Straßen, sechs Tage lang!“

      „Warum machen die das?“

      „Das weiß ich auch nicht, aber die ganze Stadt feiert diesen Karneval sehr ausgiebig, Jahr für Jahr.“

      „Und wie hältst Du es ohne Dein geliebtes pivo aus? Ozujsko wirst Du ja in Deutschland kaum bekommen...“

      „Wisst Ihr, es ist mir beinahe unangenehm, es so deutlich zu sagen, aber in Köln gibt es ein Bier … dafür lasse ich selbst mein Ozujsko stehen.“

      „Nicht Dein Ernst?!“ echauffiert sich Onkel Nenad.

      „Es nennt sich Kölsch und man trinkt es aus kleinen Gläsern.“

      „Kleine Gläser?“

      „Ja, nicht mal die Hälfte von unseren Gläsern.“

      „Hahaha, Borna, bestellst Du dann immer drei auf einmal?“, Onkel Nenad gibt keine Ruhe.

      „Lacht Ihr nur, Ihr wisst nicht, was Ihr verpasst. Ich bringe nächstes Mal, wenn ich heimkomme, ein paar Flaschen mit, wenn ich mit Filip Krastic im Auto statt mit dem Zug fahre, vielleicht sogar ein „Pittermännchen.“

      „Ein was?!“ rufen gleich mehrere Zuhörer aus.

      „Ein Pittermännchen. Ein Zehnliterfass Kölsch.“

      „Und warum heißt das so?“

      „Keine Ahnung. Aber auch das werde ich bestimmt noch erfahren.“

      Es ist spät geworden auf dem Hinterhof der Krupcics.

      Borna geht in die Küche und hilft seiner Frau beim Aufräumen.

      So gut Borna die überraschende Feier anlässlich seiner Rückkehr auch gefallen hat – endlich ist er mit Ana allein.

      Er umarmt seine Frau mit Inbrunst, welche dieser ein leises „Aua“ entlockt.

      „Wie habe ich das vermisst.“

      „Und ich erst.“

      „Sobald es den Kleinen zuzumuten ist, kommt ihr nach.“

      „Ja, aber lass' sie erst einmal in ihrem gewohnten Umfeld ein bisschen größer werden.“

      „Natürlich, das haben wir ja so abgesprochen.“

      Borna küsst seine Frau leidenschaftlich und freut sich auf die bevorstehende Nacht im Ehebett.

      13

      Francesca Tardea, ältere Schwester von Amanda, reist alleine zur Beerdigung Amandas an.

      Der Rest der Familie bleibt in Italien – auch aus Trotz. Die Famiglia war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Amanda in der Heimat ihre letzte Ruhe finden soll, doch Horst Kramer hat sich anders entschieden.

      Der Kontakt Francescas zu ihrer Schwester hatte sich über die Jahre zunehmend reduziert. Seit Amanda in Deutschland lebte, telefonierten die beiden höchstens einmal im Monat miteinander, ab und an schrieben sie sich einen längeren Brief.

      Dass Francescas Schwester Italien für immer verlassen hat, konnten viele Mitglieder der Familie nicht verstehen.

      Der Clan der Scirellis und Tardeas ist wohlhabend, in Norditalien hoch angesehen, man verfügt über Grundbesitz und viele Familienmitglieder arbeiten in bedeutenden Positionen in Politik und Wirtschaft.

      Trotzdem hat sich Francescas Schwester Amanda dafür entschieden, ihr Leben an der Seite Ihres Mannes in Köln zu verbringen.

      Horst