Jochen Ruderer

Zwei Sommer


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die Tür aufging und Herr Böttcher mit der Wendung mitten in unser Laboratorium gelaufen kam. „Jungs, ich bringe euch heute eine Kollegin. Wir brauchen einen Raum, in dem wir einen kleinen Windkanal aufbauen können. Und ich denke, hier ist genug Platz für zwei Forschungsprojekte. Wir müssen nur schnell die Stühle auf den Hof räumen. Herr Schneider lässt sie morgen abholen.“ Er hielt kurz inne, als er unsere ungläubigen Gesichter sah. Dann wandte er sich um. „Ihr kennt doch Katrin aus der 10a, oder?“

      „Klar“, antworte Basti für uns beide. Dabei grinste er mich dermaßen auffällig an, dass ich verzweifelt wünschte, statt einer nutzlosen Liste mit coolen Sprüchen, lieber eine Tarnkappe zu besitzen.

      Die Begrüßung hatte ich verpatzt und danach wollte mir kein einziger brauchbarer Satz einfallen. Also schnappte ich mir wortlos die ersten beiden Stühle und fing an, sie auf den Hof zu schleppen. So konnte ich in Ruhe darüber nachdenken, was hier gerade geschah. Katrin Morgentaler sollte sich mit uns ein Labor teilen. Katrin Morgentaler war tatsächlich auch Teil der JuFo-Welt. Aber wieso? Oder besser: womit hatte ich das verdient? Katrin war das beliebteste Mädchen der ganzen Klassenstufe. Sie stand in allen Fächern auf Eins, war Klassensprecherin, Mittelstufensprecherin und Kapitänin der Volleyball-Schulmannschaft. Dazu sah sie aus wie ein Fotomodel. Lange braune Haare, riesige Rehaugen und über ihren Po oder ihre Brüste nachzudenken, geschweige denn sie in halbwegs verständlichen Worten zu beschreiben, wäre mir nur nach monatelanger Meditation in einem tibetanischen Mönchskloster möglich gewesen. Katrin Morgentaler war fester Bestandteil meiner erotischen Tag- und Nachtträume. Aber bis auf unsere Begegnung auf der Toilette hatte ich nie auch nur ein direktes Wort mit ihr gesprochen. Ich lächelte beim Stühle schleppen vor mich hin. Das würde sich jetzt ändern.

      Durch Katrins Ankunft bekam der Mikrokosmos unseres Labors eine Ordnung. Bisher hatten wir zwar pflichtbewusst unsere Messungen gemacht, aber unser ganzes Dasein war mir vollkommen sinnlos erschienen. Wir waren ziellos im Raum umhergewabert - jetzt hatten wir unsere eigene kleine Sonne, um die wir kreisen konnten. Vielleicht kreiste Basti etwas aktiver und ich war eine Art Trabant, ein Mond, der an Basti dranhing. Aber auch ich bekam meine Portion Sonnenlicht ab und alles war gut. Bisher hatte ich an diesem JuFo-Projekt teilgenommen, weil meine Mutter und Basti es wollten. Jetzt wollte ich es selbst. Nicht wegen der Wassertropfen auf dieser schiefen Ebene, die wenig mit meiner Busscheibe zu tun hatte. Wegen Katrin. Die echte Welt machte endlich den ersten Schritt auf mein Fantasie-Universum zu und ich war mehr als gespannt, wie weit die beiden sich annähern würden.

      Wir räumten für Katrin die hintere Saalhälfte frei, bewiesen unsere Tapferkeit an einem halb skelettierten Nagetier und schleppten für sie ein riesiges Windrad aus der Physiksammlung in den Keller. Als Lohn dafür durften wir von nun an regelmäßig ein paar Stunden mit Katrin verbringen.

      Am zweiten Tag schaffte dann auch ich es, eine Art Konversation mit ihr zu führen. Basti ließ sich gerade den Windkanal erklären, als sie darüber klagte, die Lichtverhältnisse im Keller seien wirklich schlecht.

      „Sind doch Nachtvögel“, sprach ich in den leeren Raum vor meinem Mund. Ich rechnete nicht mit einer Reaktion, aber die beiden drehten sich abrupt zu mir um. Basti hatte direkt wieder sein Grinsen angeknipst.

      „Was?“

      Katrin bedachte mich mit einem ausdruckslosen Blick, so als gälte es ein weiteres Versuchsobjekt zu beobachten.

      „Na, Eulen. Eulen sind Nachtvögel. Für die ist es gut, dass es hier dunkel ist.“

      „Aber ich will doch keine echten Eulen hier runter bringen.“

      Ich versuchte ein Lächeln, das mir allerdings hoffnungslos über die Unterlippe entglitt.

      „Ich weiß“, stammelte ich.

      „Das war ein Scherz!“, sprang Basti mir bei. „Pete macht ständig solche Sprüche. Er ist wirklich witzig.“

      Ich rückte meine Unterlippe zurecht und dachte sehnsüchtig an die Tarnkappe. Katrin betrachtete mich einen Moment lang still, ohne dass irgendetwas ihre Gedanken verriet. Zu meiner Verblüffung öffnete sie dann ihren Mund und schenkte mir ein großes, weißes Lächeln.

      Schwimmen

      Die kommenden Wochen gehörten eindeutig zu den besten meiner gesamten Schulzeit. In Mathe kam ich immer noch nicht mit, in Latein musste ich seit neustem sogar die Förderstunden besuchen und einer der Schul-Rambos hatte Spaß daran gefunden, mir ständig ein Bein zu stellen - aber das spielte alles keine Rolle. Wichtiger war: ich verbrachte regelmäßig Zeit mit Katrin Morgentaler. Sie stieg zwar nur an zwei oder drei Tagen pro Woche in unseren Keller herab, aber das genügte mir. Anfangs sprachen wir nur wenig und ausschließlich über Eulen, aber nach und nach gewöhnten wir uns aneinander. Ich hatte zwar immer noch Mühe nicht ständig auf die Wölbung ihrer Brust zu starren, aber immer öfter hielt ich ihrem Blick beim Sprechen stand. Irgendwann stellte sie mir dann tatsächlich eine Frage, die gar nichts mit Forschung oder Schule zu tun hatte.

      „Basti hat erzählt, du schwimmst auch beim KSK?“

      Ich nickte.

      „Welche Lage?“

      „Delphin.“

      „Er ist sogar Jahrgangsbester“, warf Basti ein.

      Katrin zog skeptisch die linke Augenbraue hoch.

      „Tatsächlich? Aber Basti ist doch bestimmt nen Kopf größer als Du?“

      „Du solltest ihn mal im Wasser sehen“, machte Basti weiter. „Pete hat eine unglaubliche Technik. Unser Trainer nennt ihn den Wasserfloh.“

      Katrin lachte laut auf und mein stolzes Lächeln rutschte leicht erdwärts. Aber dennoch schien sie ein wenig beeindruckt.

      „OK, Wasserfloh. Vielleicht musst Du mir diese Technik mal zeigen.“

      Und dabei hob sie die Augenbraue gleich noch mal. Ich war völlig gebannt von der Leichtigkeit dieser Bewegung. Wie in Trance antwortete ich: „Klar. Komm gerne mal mit zum Training.“

      „Ist das nicht nur für Jungs?“

      An dieser Stelle wusste selbst Basti nichts mehr zu meiner Verteidigung hervorzubringen.

      „Doch. Nur für Jungs. Die Mädchen trainieren eine Stunde früher.“

      „Na das mein’ ich doch“, versuchte ich die Situation zu retten. „Zum Mädels-Training. Du bleibst einfach nen Moment länger und ich zeige Dir, wie es geht.“

      Katrin lächelte entschuldigend. „Das würde ich wirklich gerne sehen. Aber ich kann nicht auch noch in den Schwimmverein. Ich geh schon viermal die Woche zum Volleyball - dazu jetzt noch das hier.“

      Das verstand ich natürlich. Außerdem spielte Katrin ja noch Geige im Schulorchester. Und sie hatte sicher auch sonst noch einige Termine. Doch anstatt es gut sein zu lassen, hörte ich mich zu meiner eigenen Überraschung sagen: „Dann gehen wir am Samstag. Da ist zwar Spaßbaden, aber wir finden schon ne Bahn.“ Und zu meiner noch größeren Überraschung war Katrin einverstanden.

      Meiner Mutter war irritiert, dass ich Samstags trainieren wollte, denn eigentlich begleitete ich sie an diesem Tag immer auf den Markt. „Ich dachte wir gehen ins Café Schwonke?“, versuchte sie es. „Vera kommt auch mit den Zwillingen.“ Aber ich war unnachgiebig. Und da im Juli die Vereinsmeisterschaften anstanden und selbst meine Mutter ahnte, dass es spannenderes für einen Sechzehnjährigen gab als zwei Muttis und zwei Achtjährige, war es ausnahmsweise sie, die nachgab.

      Basti kam um Punkt dreizehn Uhr. Wir waren erst um zwei verabredet und der Bus brauchte keine zehn Minuten zum Bad. Dennoch hatte er auf den frühen Treffpunkt bestanden. Dass die Verabredung für uns beide galt, hatte für keinen von uns auch nur einen Moment in Zweifel gestanden. Zu meiner Verwunderung trug er Sporthosen, T-Shirt und Laufschuhe. Verschwörerisch blinzelte er mich an.

      „Bereit Katrin Morgentaler im Bikini zu sehen?“

      Ich versuchte mir meine Aufregung