Ewa A.

Du in meinem Kopf


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Sam scherte sich nicht darum und amüsierte sich weiter auf meine Kosten. »Möglicherweise war er aber auch nur kurzsichtig und dachte, er würde dir in die Augen schauen.«

      »Klar«, stimmte ich sarkastisch zu. Noch immer angewidert von dem vergangenen Date schüttelte es mich. »Der Troll war widerlich.«

      »Hey, kann ja sein, dass ihre neuste Eroberung ein wirklich netter Kerl ist?«

      »Nie und nimmer. Ich sollte mich weigern, ihn zu treffen.«

      »Wann ist das Date?«

      Ich versuchte, mich an die morgendliche Unterhaltung mit meiner Mom zu erinnern. »Übermorgen, wenn ich mich recht entsinne. Also am Mittwoch soll ich den nächsten Trottel in Lucys Diner treffen.«

      »Dann hast du ja noch genügend Zeit, dich darauf vorzubereiten.«

      »Ja, gute Idee. Ich sollte mir vorher die Kante geben oder irgendwelche Pillen einwerfen, die mich das kommende Date des Grauens im Vollrausch und ohne jegliche Erinnerung überstehen lassen.«

      »Bloß nicht, sonst kann der Kerl mit dir anstellen, was er will und du merkst es nicht einmal.«

      »Ohw, stimmt. Fataler Denkfehler. Verdammter Mist!«

      »Ach, das überstehst du auch noch. Abgesehen davon besteht ja immerhin die Chance, dass es diesmal gar nicht so übel werden könnte.«

      Fassungslos schüttelte ich den Kopf. »Deine Fantasie möchte ich haben, echt, he.«

      »Dann sag deiner Mom doch einfach, dass du keinen ihrer aufgerissenen Kerle mehr treffen willst.«

      »Das schaffe ich nicht«, jammerte ich und widmete mich wieder Sams Gesicht auf dem Papier. »Ich habe es ja schon probiert, aber sie wird dann jedes Mal traurig, weil sie glaubt, mir nicht helfen zu können, und ich bekomme dann ein total schlechtes Gewissen. Sie meint, wenn ich einen Freund hätte, wäre ich glücklich.«

      »Wie kommt sie denn darauf?« Sam reckte den Kopf nach hinten, sodass da, wo zuvor ihr Scheitel neben meinem Zeichenblock gelegen hatte, ihre Augen auftauchten. Tiefe, grüne Seen staunten mich an. »Bist du das etwa – unglücklich?«

      Ich zögerte, weil ich mich das selbst schon zu oft gefragt hatte. Was machte Glück aus? Hieß glücklich sein, jeden Tag aus vollem Hals zu lachen? Sich in seiner Haut wohlzufühlen? Freunde zu haben? Dann war ich glücklich. Aber wenn es bedeuten würde, von anderen akzeptiert oder zumindest nicht als Freak bezeichnet zu werden, sich insgeheim nicht schlecht zu fühlen, weil man eben nicht wie alle anderen um einen herum war, dann … ja. Dann müsste ich mich als unglücklich bezeichnen. Denn dank einiger meiner Mitschüler fühlte ich mich als Außenseiterin, als Freak, als schleimiger Bodensatz der Highschool, obwohl ich das nicht wollte.

      Sam richtete sich auf, drehte sich zu mir und starrte mich voller Sorge an. »Hazel Penelope Brown, bist du etwa unglücklich?«

      »Nein. Nein, natürlich nicht. Schließlich habe ich die beste Freundin der Welt. Wie könnte ich da unglücklich sein?«, wehrte ich übertrieben theatralisch ab. Allerdings blieb mir der fahle Geschmack einer Lüge auf der Zunge kleben.

      Ein schiefes Grinsen trat auf Sams Gesicht. »Na, das will ich auch meinen. Außerdem gibt es wesentlich Schlimmeres als ein Blind Date, das von der eigenen Mutter arrangiert wurde: Zum Beispiel auf Geschichte zu lernen, was ich heute Abend leider noch machen muss. Also komm, gehen wir langsam heim.«

      Ich kniff die Augen zusammen. »Nur, wenn wir uns auf dem Heimweg noch Eiscreme besorgen.«

      »Überredet«, stimmte Sam zu und ich packte flink meinen Zeichenblock samt Stift in den Rucksack. Nebeneinander schlenderten wir in Richtung Ice Cream Factory davon. Wir alberten herum und dachten uns waghalsige Aktionen aus, mit denen ich mich aus dem Blind Date herauswinden könnte, als ich aus der Ferne das Geräusch von heranrollenden Skateboards wahrnahm. Ich sah mich um und entdeckte auf einem Weg, der aus einem anderen Eck des Parks entsprang und bald mit unserem zusammenlaufen würde, zwei Typen auf ihren Boards. Sie waren mir bekannt, denn beide spielten im Footballteam unserer Highschool, gehörten zu den coolen Leuten der Seniorstufe und waren somit ein Jahrgang über uns. Wie es für solche Typen, die auf der Erfolgswelle oben schwammen, üblich war, wurden sie von fast allen Mädchen der Stadt angehimmelt. Sam und ich schienen die Einzigen zu sein, die dem Charme der footballspielenden Neandertaler nicht erlagen.

      Auch meine Freundin hatte die beiden auf dem anderen Weg ausgemacht. »Hast du schon den neuesten Klatsch über Connor Ward und Brianna Cunningham gehört?«

      »Ehrlich gesagt, höre ich schon gar nicht mehr richtig hin. Ist doch immer das Gleiche bei denen: ständig irgendein künstliches Drama in ihrer On-Off-Beziehung. Wie oft haben die sich schon getrennt? Es ist ein Wunder, dass sie dabei den Überblick nicht verlieren.«

      Sam kicherte. »Wahrscheinlich führen sie eine Strichliste, um abzuchecken, was wieder fällig ist.«

      Heimlich linste ich zu den beiden Jungs hinüber und im selben Moment traf mich auch der Blick des überdurchschnittlich groß und kräftig gewachsenen, dunkelblonden Connors. Er dauerte nur einen Wimpernschlag und doch schaffte er es, in dieser Zeit und auf die Entfernung mich zu verblüffen. Ehrlich, nicht eine Farbtube in meinem Aquarellkasten könnte es mit dem außergewöhnlichen Blauton seiner Augen aufnehmen. Er war weder richtig blau noch grün und doch schien er irgendwie auch beides zu sein. Ein helles Türkis, ja, das war die Farbe seiner Augen.

       Connor

      Ich stieg gerade auf mein Skateboard und wollte mit meinem Freund Ethan zusammen nach Hause brettern, als ich hinter mir einen Ruf hörte.

      »Hey, Connor, warte!«

      Ich blieb stehen und sah mich um. Es war Benji, ein zehnjähriger Junge, den ich von unserem Skatepoint kannte.

      »Mann, was will denn der kleine Krüppel jetzt schon wieder?«, maulte Ethan neben mir.

      Ich ignorierte meinen Kumpel und grinste Benji freundlich entgegen. Er war wirklich noch ein bisschen klein für sein Alter, aber dafür umso entschlossener. Tapfer versuchte er, trotz eines zu kurz geratenen Beines mit dem Board so schnell wie möglich zu uns hinüberzuskaten und währenddessen noch ein paar neue Flips einzubauen, die ich ihn heute gelehrt hatte. Sie glückten ihm nur mittelmäßig und doch freute ich mich darüber, fühlte Stolz in mir aufsteigen.

      »Hey, Connor«, hechelte er nochmals, als er mit einem wackligen Absprung vor unseren Füßen landete. Er schob sein zu lang geratenes Shirt hoch und angelte etwas aus seiner Hosentasche, das er mir eine Sekunde später in seiner ausgestreckten Hand hinhielt. »Hier, für dich. Mein Glücksstein«, sprach er und grinste schief.

      Ethan drehte sich mit einem Stöhnen von uns fort und rollte auf seinem Board davon. Ich gab mir Mühe seinen Laut zu übertönen, um es dem Kleinen nicht noch peinlicher zu machen.

      »Hey, das ist echt cool von dir, Benji. Aber du musst mir deinen Glücksstein nicht schenken. Ich brauche ihn nicht.«

      Er grinste noch immer. »Doch, jeder braucht Glück. Ich will, dass du ihn nimmst. Du hast mir in den letzten Wochen unheimlich viel beigebracht und … Und ... du warst die erste Zeit nach unserem Umzug nach New Stamford mein einziger Freund hier.«

      Nach dem gestammelten Satz konnte ich das Geschenk nicht mehr ablehnen und nahm ihm den erdbraunen Klumpen mit einem Nicken ab. Der Stein war kugelrund wie eine Murmel, hatte weiße ineinander verschlungene Linien und wog für seine geringe Größe überraschend schwer in meiner Hand.

      »Er ist von meiner Grandma. Sie ist eine bekannte Schamanin und hat mir diesen besonderen Moqui geschenkt, weil er Glück bringt, und jetzt schenke ich ihn dir.«

      Überrascht sah ich von dem ungewöhnlichen Stein auf. »Bist du dir sicher, dass du ihn hergeben willst?«

      »Klar doch«, sprach Benji und lachte, dass seine dunkelbraunen Augen funkelten. »Dank dir habe ich hier jetzt viele Freunde gefunden. Sie halten mich für total cool und wollen von mir die Skatetricks lernen, die du mir beigebracht hast.