Ewa A.

Du in meinem Kopf


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Ich umschloss den Glücksstein mit meiner Faust, die ich sacht auf seiner kleinen aufschlagen ließ.

      »Nichts zu danken, Bro«, entgegnete der Kleine.

      »Okay, dann mach´s gut, Benji«, verabschiedete ich mich von ihm, steckte den Stein in meine Hosentasche und skatete Ethan hinterher. Er hatte einen ziemlichen Vorsprung hingelegt, doch bald hatte ich ihn eingeholt.

      »Mann, Alter« empfing mich mein Freund. »Nicht nur, dass deine Schnalle dich betrügt, jetzt gibst du dich auch noch mit verkrüppelten Indianerkindern ab.«

      »Ey, du bist nicht nur ein Idiot, sondern obendrein ein rassistisches Arschloch. Also behalt in Zukunft solche Sprüche besser für dich, sonst vergesse ich, dass du mein bester Freund bist.«

      »Selbst wenn ich mir die Sprüche verkneife, bist du trotzdem ein Weichei. Serviere Brianna endlich ab, Mann. Selbst die Jungs im Park reden schon darüber, dass sie dich mit Dylan betrogen hat. Nicht nur die von unserer Schule wissen Bescheid. Begreif es endlich!«

      »Hör zu, Ethan, das geht niemanden etwas an - nicht mal dich«, grollte ich und nahm immer mehr Speed auf. Ich bretterte den geteerten Weg entlang und hörte plötzlich ein Lachen aus der Nähe. Es waren zwei Mädchen aus einer unteren Jahrgangsstufe, die auf einem anderen Pfad liefen, der sich mit unserem weiter vorn verbinden würde. Ich erkannte sie an ihren Frisuren. Während die eine einen roten Lockenkopf hatte, reichte der anderen ihre hellbraune Mähne bis zum Hintern. Letzte stach deswegen immer aus der Menge hervor. Auch wegen ihrer seltsamen Kleider, die verwaschen und voller Farbkleckse waren. Einerseits wirkte sie zwar cool, aber andererseits auch etwas abgerissen und irgendwie schmuddelig. Der Gedanke, dass ausgerechnet die beiden etwas von der Auseinandersetzung zwischen Ethan und mir mitbekamen und noch mehr Gerüchte über Brianna und mich verbreiten könnten, war mir zuwider. Aus diesem Grund raste ich weiter und hoffte, mit genügend Abstand zu ihnen ein unbelauschtes Gespräch führen zu können.

      »Das ist eine Sache zwischen Brianna und mir. Es interessiert mich nicht, was andere glauben, zu wissen«, zischte ich Ethan leise zu.

      Inzwischen hatte er auf seinem Board ebenso Stoff gegeben, um mit mir mithalten zu können. »Sollte es aber, als Kapitän der Footballmannschaft. Wenn du mit Brianna nicht Schluss machst oder Dylan eine aufs Maul haust, könnten die Jungs vom Team – ach, was rede ich, von der ganzen Schule – dich nicht mehr für voll nehmen. Du musst etwas tun, Alter!«, hackte er außer Atem nach.

      Stinkwütend sah ich zu meinem Freund, der nun wieder neben mir fuhr. »Warum? Brianna hat mir geschworen, dass nichts zwischen ihr und Dylan gelaufen ist. Und das ist alles, was für mich zählt. Ich vertraue ihr und du solltest mir vertrauen. Du bist mein Freund und ich dachte, du stehst hinter mir.«

      Wir verließen den Park und bogen nacheinander in unsere Straße ab, die in Queens lag, ein Viertel New Stamfords, in dem die Reichen und Mächtigen ihre protzigen Villen gebaut hatten.

      »Mann, das ... das tue ich doch auch. Ich wollte nur … Versteh doch, nicht nur die Jungs vom Team, alle von der Schule schauen zu dir auf, aber nach der Sache mit Dylan … Echt, Mann, du solltest zeigen, dass ein Mädchen so nicht mit einem Kerl umgehen darf. Ich sag dir, wenn du nichts unternimmst, kommst du rüber wie ein Waschlappen und das wirst du früher oder später büßen. Willst du das etwa?«

      Ich bremste mein Board hart aus. »Soll ich dir sagen, was ein Waschlappen ist? Ein Typ, der auf das Geschwätz dummer Leute hört und nicht auf das, was seine Freundin ihm erzählt. Nur ein Schisser zieht den Schwanz ein und steht nicht zu seinen Freunden, wenn es unbequem wird. Also komm mir nicht auf die Tour. Oder soll ich dich das nächste Mal auch hängen lassen und allen die Wahrheit erzählen, dass es keine Schlägerei auf einem Konzert war, sondern dein Dad, der dir wie schon so oft das Gesicht blau und grün poliert hat?«

      Beschämt kam Ethan neben mir zum Stehen und wich meinem drohenden Blick aus. »Nein, Mann. Tut mir leid, du hast ja recht. Ich … ähm …«

      Ethan wirkte auf einmal total niedergeschlagen. Ich begann mir Sorgen zu machen, weil ich ihn noch nie zuvor so erlebt hatte. Aber gerade als ich ihn fragen wollte, ob er mir was Wichtiges zu sagen habe, winkte er ab. »Ach, vergiss es. Wir sehen uns dann morgen früh.«

      Da es mehr wie eine Frage klang, nickte ich. Mit hängenden Schultern fuhr Ethan in die nächste Auffahrt und auf das Haus seiner Eltern zu. Ich skatete noch ein Stück weiter die Straße bergauf. Ein paar Minuten später betrat ich die große Eingangshalle von meinem Zuhause. Dad stieg gerade in einem Smoking die Treppe herunter, als ich die Tür hinter mir schloss.

      »Aha, da bist du ja endlich. Solltest du nicht besser lernen, als mit dem Skateboard in der Gegend herumzufahren? Schließlich willst du nach Harvard und nur ein guter Quarterback zu sein, selbst mit einem Sportstipendium in der Tasche, reicht nun mal nicht aus, um ein Spitzenanwalt zu werden.«

      »Ja, Dad«, ächzte ich und hoffte, seiner Predigt zu entkommen.

      »Junge, was ist? Glaubst du, ich hätte all das hier geschenkt bekommen?« In einer Bewegung breitete er die Arme aus, als präsentiere er mir zum ersten Mal seinen Besitz. Dabei war das seine liebste Geste, wenn er mir diese selbstherrlichen Reden hielt. »Dafür musste ich hart arbeiten. Um die Kanzlei deines Großvaters übernehmen zu dürfen, verlangte mein Vater von mir, besser als alle seine Partner zu sein. Nur aus diesem Grund blieb der Name Ward der erste auf dem goldenen Türschild. Und das ist er bis heute, weil ich jeden Tag aufs Neue beweise, dass ich es verdiene, an erster Stelle zu stehen. Selbst heute Abend, wo andere ihren Feierabend mit einem Drink genießen, gehe ich mit deiner Mutter zu einem Geschäftsessen. Wenn du diese Kanzlei führen und deinen derzeitigen Lebensstandard halten willst, musst du mehr als hundert Prozent geben, Junge.«

      Während mein Vater die letzte Stufe erreichte, wollte ich mich die Treppe aufwärts an ihm vorbeidrängen. Doch er packte mein Handgelenk und hielt mich auf.

      »Connor, es ist nur zu deinem Besten. Das weißt du doch, oder? Auch wenn wir dich die Community Highschool von New Stamford besuchen lassen, weil wir unsere Wurzeln in dieser Gemeinde respektieren, musst du dich danach dennoch für eine der führenden Universitäten des Landes qualifizieren. Um beruflich anerkannt und erfolgreich zu werden, führt daran kein Weg vorbei.«

      Groß, schlank und dank seiner morgendlichen Trainingseinheiten noch immer mit einer sportlichen Figur gesegnet stand mein fünfzigjähriger Vater vor mir. Seine dunkelblonden Haare, die ich von ihm geerbt hatte und von denen kein einziges an einem falschen Ort lag, waren zwar von silbernen Fäden durchzogen, doch nach wie vor entsprach sein gesamtes Wesen genau jenem Ideal, das er sein wollte, worauf er sein Leben ausgerichtet hatte: das des smarten, erfolgreichen Anwalts. Das Schlimme war, dass er glaubte, ich wolle genauso wie er werden. Obwohl ich ihm gegenüber nie diesen Wunsch geäußert hatte, setzte er ihn voraus. Sicherlich wollte ich gerne ein vermögendes, angesehenes Gemeindemitglied werden und den Namen Ward weiterhin in Ehren halten, wie er und auch sein Vater es getan hatten. Aber wollte ich ebenso dem Erfolg und der stetigen Anerkennung hinterherhecheln? Sollte in meinem Leben wie in seinem nur Macht und Reichtum zählen? Die Gesellschaft maß einen Mann daran. Aber gab es nicht noch mehr im Leben? Oder war das wirklich alles, auf was es hinauslaufen würde? Hatte man nur Freunde, um zu Macht und Ansehen zu erlangen, oder bekam man gar nur welche, wenn man wenigstens eins davon besaß? Wären Ethan und Brianna auch dann noch meine engsten Freunde, wenn ich nicht mehr der erfolgreiche Quarterback der Stamford High und der Sohn eines geachteten Anwalts wäre? Ich wollte darüber gar nicht weiter nachdenken. Um mich schnellsten von meinem Dad und seinen endlosen Motivierungssprüchen loszueisen, sagte ich das, was er hören wollte.

      »Ja, schon gut, Dad. Ich habe es verstanden. Ich strenge mich an, versprochen.«

      »Guter Junge.« Strahlend ließ er meinen Arm los und klopfte mir auf die Schulter, was für mich das Zeichen zum Abgang war.

      Schnell stieg ich die Treppe hinauf, um mich in meinem Zimmer verkrümeln zu können. Kaum hatte ich jedoch einen Schritt in den Flur gemacht, tauchte Mom auf. Sie verließ gerade ihr Schlafzimmer und war, wie ich es nach Dads Ansage erwartet hatte, bis in die Haarspitzen aufgedonnert. Natürlich trug sie ihre blondierten Wellen hollywoodmäßig perfekt