Ewa A.

Du in meinem Kopf


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und dennoch genau das weibliche Gegenstück zu ihm. Kontinuierlich verfolgte sie das Ziel, die modische, gepflegte Anwaltsfrau zu sein, die ihren Mann tatkräftig unterstützte und sich nebenbei noch in der Gemeinde engagierte. So saß sie nicht nur im Kirchengemeinderat, sondern führte auch den Frauenverein von New Stamford an und mischte bei zahlreichen Projekten für Hilfsbedürftige mit. Jeden Morgen aß sie ihre Ananas und zog anschließend ihr Yogaprogramm durch, um ihre schlanke Figur zu erhalten und fit zu bleiben. Mom und Dad glichen sich sowohl in ihren Ansichten als auch in ihren Erwartungen, sodass es schon unheimlich war. Zugegeben, andernfalls hätten sie es wohl auf Dauer auch nicht miteinander ausgehalten.

      »Connor« flötete sie und ihre rot geschminkten Lippen bildeten ein zufriedenes Lächeln. »Briannas Mutter hat mich angerufen und mir erzählt, dass ihr euch wieder vertragen habt. Gute Entscheidung! Du solltest sie dir wirklich warmhalten und nicht die Zeit mit anderen Mädchen vergeuden. Brianna wird sicherlich genau diese Art von Frau, die du später an deiner Seite haben möchtest: Wohlerzogen, elegant und klug.«

      Überrascht runzelte ich die Stirn. »Ich vergeude die Zeit mit anderen Mädchen? Hat Brianna das erzählt?«

      Die schmal gezupften und nachgefärbten Brauen meiner Mutter hoben sich zu eleganten Bögen. »Sie sagte, du hättest anderen mehr Aufmerksamkeit geschenkt und sie hätte sich dadurch vernachlässigt gefühlt. Erst als sie sich einem anderen Jungen zugewandt hatte, hättest du wieder Interesse an ihr gezeigt.«

      Ich brummte leise vor mich hin. War ja klar, dass Brianna unseren Streit auf diese Tour unseren Müttern verklickerte und ich dabei schlechter als sie wegkam. Aber damit musste ich wohl leben. Wenn ich Brianna, das hübscheste und begehrteste Mädchen der Highschool, als Freundin behalten wollte, musste ich mich auch bei ihr ins Zeug legen.

      Ich zwang mich zu einem Grinsen. »Hab es kapiert, Mom. Keine anderen Mädchen.«

      Meine Mutter lächelte stolz. »So ist es recht, mein Schatz. Ich denke, Brianna passt nämlich wunderbar in unsere Familie. Findest du das nicht auch? Eine Verbindung zwischen den Wards und den Cunninghams wäre doch eine Sensation in New Stamford. Du als Sohn des erfolgreichsten Anwalts des Orts und Brianna als Tochter des Bürgermeisters, die Hochzeit wäre ein Traum.«

      Eine ätzende Hitzewelle kroch mir den Nacken hoch und das Strahlen meiner Mutter wurde mir nahezu gruselig. »Mom, ich denke, um über eine Hochzeit zu reden, ist es noch zu früh. Viel zu früh.«

      Sie legte mir ihre kühlen Finger auf die Wange. »Ja, ja natürlich. Nichtsdestotrotz sollte man früh genug wissen, was man will, und darum kämpfen. Vergiss das nicht.«

      Die Motivation, noch länger breit zu grinsen, ging mir aus. Ich wollte nur noch weg. Hastig nickte ich ihr zu. »Sicher. Hab einen schönen Abend, Mom, und amüsiere dich.« Ganz der brave Sohn hauchte ich ihr einen Kuss auf die Wange und eilte, ohne mich nochmals nach ihr umzusehen, in mein Zimmer.

      Ich schloss die Tür, pfefferte mein Board ins Eck und warf mich rücklings auf mein Bett. Einen tiefen Atemzug später trieb mich das Gefühl zu ersticken wieder in die Höhe. Ich hielt es in diesen vier Wänden nicht länger aus. Es schien, als kämen sie näher und näher, als schrumpfte der Raum vor meine Augen. Die Luft zum Atmen wurde immer weniger. Panisch verharrte ich auf dem Bett sitzend. Einerseits wollte ich davonrennen. Andererseits hatte ich jedoch Angst, erneut meinen Eltern in die Hände zu laufen. Hatten sie endlich das Haus verlassen? Ich lauschte. Ihre Stimmen hallten leise zu mir hinauf und kurz darauf das Verschließen der Haustür.

      Wie der Blitz stürmte ich aus meinem Zimmer, die Treppe hinunter, durch die Eingangshalle und aus dem Haus.

      Ich rannte und rannte, genoss die Luft in meinen Lungen, die sich endlich wieder weiteten. Jetzt war ich frei. Endlich frei. Ohne darüber nachzudenken, joggte ich die Straße weiter bergauf, bis ich meinen Lieblingsplatz erreicht hatte – Longshaw Peak. Ein mit riesigen Steinbrocken abgesicherter Fußweg führte an dem Abhang entlang bis zu einem höhergelegenen, kleinen Wald auf der linken Seite. Atemlos kletterte ich einen der kantigen Felsen hinauf und ließ mich an dem Rand nieder. Meine Füße baumelten in der Luft und ich versank im Anblick des rotglühenden Sonnenuntergangs. Gelassenheit stieg allmählich in mir auf. Ich lauschte dem Abendgezwitscher der Vögel, die in den unzähligen hohen Bäumen unter mir ihre Nester gebaut hatten. Das älteste Viertel von New Stamford, welches den Namen Bakersbridge trug, ruhte unterhalb des Hangs. Mit seinen kleinen abgewohnten Häusern und den überwucherten Gärten wirkte es wie aus einem antiken Bilderbuch. Die Menschen, die dort wohnten, gehörten nicht zu den Vermögenden der Gemeinde, das wusste jeder. Und doch schien es, dort friedlicher als in meinem Viertel zu sein, wo die Häuser so viele Zimmer hatten, dass man sich in ihnen verlief, wo die Gärten großen, seelenlosen Golfplätzen glichen. Auch wenn um die alten, kleinen Häuser Unkraut wucherte, die Bäume und Sträucher ohne Gärtner ins Unendliche wuchsen, schienen diese Heime mit Wärme und Geborgenheit gefüllt zu sein. Dort unten gab es keine kalten Paläste aus Glas, Beton und Edelstahl, die mit ihrer Sterilität jegliches Gefühl von einem Zuhause vernichteten. War das wirklich so? Waren diese Menschen dort unten glücklich – glücklicher als ich?

      Nachdenklich zerrte ich Benjis Glücksstein aus meiner Tasche und betrachtete ihn. Schwer und rund lag der murmelartige Stein in meiner Hand. Gedankenverloren fuhr ich mit meiner Fingerkuppe über die weißen Linien, die ihn zierten.

      Ich hatte doch alles, was sich ein Kerl meines Alters wünschen konnte, und doch spürte ich eine Leere in mir, wo keine sein sollte. Meine Eltern erfüllten mir jeden Wunsch, ich konnte so viel Geld ausgeben, wie ich wollte. Ich sah gut aus, war gesund und sportlich. Jeder in der Schule wollte mein Freund sein. Wenn ich es darauf anlegen würde, könnte ich jedes Mädchen haben. Selbst bei den Lehrern war ich angesehen. Ich war der beste, begabteste und beliebteste Footballspieler der Stadt. Kurz gesagt, es gab keinerlei Grund, weshalb ich nicht glücklich sein sollte. Vielleicht erwartete ich zu viel vom Leben? Vielleicht war ich bloß ein verwöhnter, undankbarer Sohn reicher Eltern? Was stimmte bloß nicht mit mir? Was war mit mir nur los?

      Voller verzweifelter Wut umschloss ich den Stein und in einem Impuls schleuderte ich ihn mit einem Schrei von mir fort. Ein gutes Stück seiner Flugbahn konnte ich noch verfolgen, aber dann verlor ich ihn aus den Augen. Er ging in dem Mosaik aus Häusern und Bäumen unter.

      Niedergeschlagen, als hätte mich der Wurf unendliche Kraft gekostet, erhob ich mich. Ich sprang von den Felsen auf den Weg hinunter, doch gerade als meine Füße aufsetzten, gaben meine Beine nach. Es wurde schwarz um mich. Ich glaubte, mein Bewusstsein zu verlieren, wie auch mein vermeintliches Glück.

      2. Dinge, die man nicht begreifen kann

       Hazel

      Ich lief mit Sam unter den hohen Eichenbäumen, die unsere Straße säumten. Ein Rascheln erklang im dichten Laub über uns und im nächsten Moment streifte plötzlich etwas Hartes meinen Arm. Das Au lag mir schon auf der Zunge, als mich aus dem Nichts ein Schlag voller Wucht zu Boden presste. Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen und ein Schwindelgefühl überfiel mich. Taumelnd fand ich mich auf den Knien hockend wieder, mitten auf dem Gehweg.

      »Hazel, sag mal, was machst du denn? Bist du gestolpert?« Sam musterte mich verdutzt.

      Ich musste ziemlich bescheuert aussehen, so, auf allen vieren. Benommen wartete ich darauf, dass die Welt endlich aufhörte, vor meinen Augen zu kreiseln. »Nein, eigentlich nicht. Irgendetwas hat mich umgehauen.«

      »Wie? Dich hat was umgehauen?«

      »Keine Ahnung, es kam aus den Bäumen. Hast du das Rascheln nicht gehört?« Ich suchte nach dem Etwas, das auf meinem Arm einen brennenden, roten Streifen hinterlassen hatte und in der Nähe liegen musste.

       Fuck. Wo bin ich plötzlich? Hä? Auf einer Straße? Ich war doch gerade noch oben, am Longshaw Peak. Wie ... Wie kann das sein? Hm, mir wurde schwarz vor Augen. Wahrscheinlich bin ich gestürzt, den Hang runtergerollt und hier gelandet. Verdammt weit weg gelandet. Ist ja irre ...

      Ich erstarrte. Wer hatte da gesprochen? Das war nicht Sam. Die