Ewa A.

Du in meinem Kopf


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Ey, echt, du bist so ein mieser Arsch.

       Hm, aber vielleicht wach ich dann auf, wenn du stirbst.

       Vergiss es, den Gefallen zu verrecken mach ich dir nicht. Eher melde ich mich beim Leichtathletikkurs an.

       Vielleicht tut es ja auch eine Ohnmacht.

       Nein! Bist du blöd? Wer weiß, was dann mit meinem Körper passiert. Außerdem könnte es ja sein, dass auch dein Geist ohnmächtig wird. Oder stirbt. Vor allem, wenn dein eigener Körper schon den Abgang gemacht hat.

       Fuck! Jaa, du könntest recht haben.

      Die Dämmerung hatte sich über New Stamford gelegt. Ich hatte den Longshaw Peak noch nicht erreicht, als hinter mir eine Sirene ertönte. Ein Rettungswagen kam mit wirbelndem Blaulicht und ohrenbetäubendem Sirenengeheul den Weg hochgebraust. Ohne abzubremsen, donnerte er an mir vorüber und ich musste mich mit einem Sprung ins Gras in Sicherheit bringen.

      Scheiße, ich glaube, die haben deinen Körper gefunden. In meinem Kopf herrschte Totenstille.

       Connor? Bist du noch da? Hast du mich gehört?

      Ja, habe ich. Er räusperte sich. Kannst du bitte nachsehen, ob sie wirklich wegen mir gekommen sind?

      Connors Stimme war anzuhören, dass es ihm gerade den Boden unter den geistigen Füßen fortgezogen hatte. Und auch ich spürte seinen Schock, der mir durch alle Glieder jagte. Das Gefühl traf mich unerwartet, sodass ich schlucken musste. Klar, wer wollte seinen eigenen Unfall sehen. Ehe ich mich zurückhalten konnte, hatte ich die Worte schon gedacht: Schon okay, Connor, ich habe auch Angst vor dem, was wir dort oben finden könnten.

       Ich habe keine Angst. Geh einfach.

      Für einen Augenblick senkte ich die Lider, verbot mir, etwas zu denken und trottete weiter. Plötzlich durchbrach lautes Motorgeheul die Abenddämmerung. Abrupt blieb ich stehen und sah mich um. Ein Sportwagen peste in einem Affentempo an mir vorbei.

       Meine Eltern.

      Meine Beine bewegten sich, obwohl ich das gar nicht beabsichtigt hatte. Doch ich kämpfte nicht dagegen an. Klar wollte Connor zu ihnen, schauen, was mit ihm dort oben geschehen war. Ich überließ ihm meinen Körper, denn instinktiv wusste ich, dass er sowieso nichts anderes zugelassen hätte. Ehrlich, so schnell war ich noch nie gerannt. Nie hätte ich vermutet, dass meine Beine dazu überhaupt in der Lage waren. Meine Lungen brannten wie Hölle und mir floss der Schweiß in Strömen den Rücken hinunter, aber dem schenkte Connor keine Beachtung. Er trieb meinen Körper über seine Grenzen hinaus an und als wir im Blaulicht des Krankenwagens zum Stehen kamen, zitterten meine Beine wie verrückt.

      Connor erfasste die Lage mit einem nervös umherirrenden Blick. Ein Polizeiwagen war ebenfalls vor Ort. Zwei Sanitäter verfrachteten eilig eine Trage, auf der ein Körper bewegungslos unter einer Decke ruhte, in den Rettungswagen. Doch, ob es wirklich Connors war, konnte ich nicht zweifelsfrei erkennen. Eine Sauerstoffmaske bedeckte das Gesicht des Verletzten, doch die dunkelblonden Wellen, die in kurzen Strähnen unter dem Kopfverband hervorkrochen, verrieten mir, dass es nur Connor Ward sein konnte. Mein Blick huschte zu seinen Füssen, die in schwarzen Sneakern steckten.

       Fuck! Das sind meine Schuhe. Das bin ich ... Scheiße, Mann! Das ... das ist kein Traum! Das ist echt. Ich liege wirklich da.

      Mein Herz klopfte wild in meiner Brust und selbst wenn meine Atmung es zugelassen hätte, hätte ich nicht gewusst, was ich sagen oder denken sollte. Es hätte die Situation nicht besser gemacht. Ich überließ Connor weiterhin die Führung meines Körpers, denn ich hatte ohnehin das Gefühl, nur eine machtlose Zuschauerin zu sein.

      Er ließ den Blick über die wenigen Menschen schweifen, die sich neben dem Rettungswagen eingefunden hatten. Da standen zwei Cops, während der eine Aufnahmen von den Felsen machte, sprach der andere mit zwei jungen Joggerinnen und machte sich Notizen. Ich kannte die beiden Mädchen aus der Highschool. Mit bestürzten Mienen hielten sie sich gegenseitig samt ihren gezückten Smartphones in den Armen. Ein anderer Mann, der einen Hund an der Leine führte, verfolgte kritisch das Treiben der Sanitäter. Neben ihm tröstete ein großer, schlanker Smokingträger mit ergrauten Schläfen, eine Blondine im Abendkleid. Im grellen Blaulicht entdeckte ich in dessen Gesichtszügen nicht nur eine tiefe Betroffenheit, sondern auch die Ähnlichkeit mit Connor. Das Gesicht der Frau konnte ich dagegen nicht erkennen, da sie es an die Brust des Mannes gebettet hatte. Ihre Schultern bebten, während sie immer wieder laut schluchzte. Das Paar, das Connors Eltern sein musste, stand vor dem Sportwagen, der an uns vorüber gerast war.

      Mom? Dad? Ich dachte, sie sind bei einem Geschäftsessen. Wie sind sie so schnell hierher gekommen?

       Die beiden Mädchen sind mit uns auf der Highschool. Sie kennen dich. Ich tippe, dass sie oder der Spaziergänger die Polizei gerufen haben und die deine Eltern verständigten.

      Neben den beiden befand sich ein weiterer Sanitäter, der sich mit Connors Vater unterhielt. Zwischendurch nickte er immer wieder und nachdem seine Kollegen die Bahre mit Connor im Krankenwagen verstaut hatten, stieg er ebenfalls ein. Mit Sirene und Blaulicht rauschten sie davon.

      Gebannt starrte Connor zu seinen Eltern – und ich mit ihm. Ob ich wollte oder nicht, wurde ich Zeugin, wie sein Vater den Rücken seiner Mutter streichelte und leise auf sie einsprach. Ich kam mir vollkommen fehl am Platz vor, als würde ich etwas Intimes beobachten, das nicht für mich bestimmt war. Im selben Moment setzten sich meine Füße in Bewegung und steuerten geradewegs die Wards an. Panik brach in mir aus und innerlich schrie ich: Nein, Connor. Halt! Stopp! Was tust du da? Ich kann nicht zu deinen Eltern gehen, sie kennen mich doch gar nicht.

      Vehement stoppte ich den Lauf meiner Füße, die sich ohne mein Zutun in Bewegung gesetzt hatten.

       Ich ... Ich weiß. Aber ... ich muss zu ihnen. Du musst zu ihnen, ihnen sagen, dass es mir gut geht.

       Bist du wahnsinnig? Ihr Sohn wurde gerade mit dem Rettungswagen fortgebracht. Wie soll ich da vor sie hinstehen und ihnen erklären, dass mit dir alles okay ist?

       Sag ihnen einfach, dass ich hier, in deinem Körper, in dir drinstecke – mit dir.

      Klar, und das glauben sie mir auch sofort. Wirkt ja auch nicht das kleinste Bisschen irre. Du Irrer!

       Bitte, Hazel, wir müssen das tun. Wir müssen zumindest versuchen, ihnen die Sache zu erklären.

       Wie soll ich ihnen das erklären, wenn wir es uns selbst nicht mal erklären können. Ich kann ja nicht mal glauben, was hier gerade passiert.

      Erneut versuchte Connor meine Beine wieder in Gang zu setzen, doch ich wehrte mich.

       Nein! Auf gar keinen Fall werde ich dir gestatten, zu ihnen hinüber zu watscheln und sie dumm anzuquasseln. Das ist mein Körper und ich werde nicht zulassen, dass er wegen dir in der Psychiatrie landet.

      Plötzlich nahm ich einen tiefen Atemzug und öffnete meinen Mund. Das laute »Mom!«, entwischte mir, aber für das »Dad!«, war ich schnell genug und klatschte mir noch rechtzeitig die Hand auf den Mund, sodass es nur ein ersticktes Gemurmel wurde. Die Sache mit meinen Füßen lief dagegen völlig aus dem Ruder. Wir näherten uns Connors Eltern in einem seitlich schleppenden Galopp, da ich noch immer mit Connor um die Gewalt über meine Füße rang. Nebenbei bemühte ich mich, unser Vorwärtskommen aufzuhalten, indem ich meinen Oberkörper zurückbog. Doch das alles brachte nichts, Connor war außer Rand und Band. Mein Glück war, dass niemand meine irren Verrenkungen und vermummten Rufe im Dunkeln mitbekam, denn die Wards bedankten sich bei den Mädchen und dem Hundehalter, die Connors Körper vermutlich entdeckt hatten.

      Connor!, rief ich im Geiste. Connor, hör auf! Lass uns logisch an die Sache rangehen. Ich rede mit deinen Eltern,