Narcia Kensing

Glutroter Mond


Скачать книгу

frage mich, wer den Schuppen so getauft hat, sollten die dummen Städter doch eigentlich nie eine Gruft von innen gesehen haben. Diejenigen vom Volk V23 verbrennen die Toten jenseits der Brücke. Nun, vielleicht trug der Laden schon zu Glanzzeiten der Stadt diesen Namen. Ich kann mir kaum vorstellen, wer unter normalen Umständen auf die Idee gekommen wäre, in diesem Kellerloch eine Bar zu eröffnen. Aus heutiger Sicht kann ich es fast verstehen. Das Cave ist ein illegaler Umschlagplatz für Tauschwaren aller Art, die zumeist von hinter der Barriere hereingeschmuggelt werden. Als Bar im eigentlichen Sinn versteht sich der Laden nicht, obwohl es manchmal selbstgebrannten Schnaps aus Mais oder Kartoffeln von jenseits der Brücke zu trinken gibt. Heute ist so ein Tag, aber ich habe kein Glas bestellt. Dazu sind mir meine Tauschwaren zu schade. Ich bin auf der Suche nach etwas anderem.

      Die Dame auf dem Hocker neben mir lehnt sich lasziv über den Tresen. Mein Blick streift sie nur flüchtig. Ich hege kein Interesse an niederen Menschen. Sie hat den Reißverschluss ihres gelben Einheitsanzuges für Frauen ungebührlich weit heruntergezogen, sodass ich den Ansatz ihrer Brüste sehen kann. Ihr Haar ist lang und braun. Wenn sie sich nach vorne lehnt, ergießt es sich über das fleckige morsche Holz des Tresens. Sie sieht mich schon die ganze Zeit über lüstern an. Wann merkt sie, dass sie mir auf die Nerven geht? Wären nicht so viele Leute hier, hätte ich ihr längst eine Kugel in den Kopf gejagt. Eigentlich ist mir meine Munition zum Zwecke der Aggressionsbewältigung zu schade, aber heute hätte ich mir vorstellen können, eine Ausnahme zu machen. Stattdessen versuche ich, das Weibsbild einfach zu ignorieren. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Wo ist dieser Idiot? Er sagte, er käme gegen 21 Uhr hierher. Ich möchte die beiden Batterien nicht umsonst mit mir herumgeschleppt haben, wenn ich dafür heute kein Euphoria bekomme. Nicht, dass ich selbst Interesse an Drogen hätte. Dieses Zeug zeigt bei mir schlichtweg keinerlei Wirkung. Ich kann nicht einmal nachvollziehen, wie es sich anfühlt. Die Menschen berichten häufig von Glücksgefühlen - für mich nur ein bedeutungsloser Begriff meines Wortschatzes. Ich beabsichtige, das weiße Pulver wiederum gegen etwas anderes einzutauschen. Aber wie soll ich das machen, wenn dieser Bastard heute nicht aufkreuzt?

      Das Gedränge in der Bar macht mich unruhig. Ich komme nicht sehr oft hierher, und ich habe den Ort als weniger überlaufen in Erinnerung behalten. Heute sind mindestens dreißig Leute hier. Wahrscheinlich wegen des Schnapses, der hier heute ausgeschenkt wird. Großartig. Da habe ich mir für meinen Tausch den bestmöglichen Tag ausgesucht.

      »Möchtest du nichts trinken?«

      Ich fahre zusammen und reiße den Kopf ruckartig herum. Das Weib neben mir hat es gewagt, mich anzusprechen! Wie zufällig berührt sie mit ihrem Knie das meine. Ich rücke ein Stück beiseite.

      »Nein, ich möchte nichts trinken«, knurre ich sie an. Auch sie weicht ob meines harschen Tonfalls zurück. Ich weiß, dass ich ziemlich überzeugend klingen kann. Meine Stimme ist recht tief, und Sienna hat mir einmal gesagt, mein Blick sei der einer Schlange. Irgendwann habe ich ihn mir antrainiert, um aufdringliche Menschen fernzuhalten. Okay, nicht nur deshalb. In dieser Welt ist es einfach von großem Vorteil, ein harter Hund zu sein. Das liegt mir in den Genen, dafür kann ich nicht einmal etwas.

      Rasch drehe ich mich wieder um und beobachte das Treiben in der Bar. Bar, wirklich lächerlich. Der selbstgezimmerte Tresen ist alles, was entfernt an eine Bar erinnert. Niemand kommt hierher, um etwas zu trinken, zumindest nicht an normalen Tagen, an denen es keinen Schnaps gibt. Wer auf der Suche nach illegalen Waren oder käuflicher Liebe ist, ist hier genau richtig. Ob man es glaubt oder nicht, selbst die V23er sind nicht unbestechlich. Sie sind gefühlskalte Bastarde, ja, aber die Triebe scheinen ihnen erhalten geblieben zu sein. Ich verziehe den Mund zu einem Grinsen. Widerwärtiges Pack. Sie glauben tatsächlich, sich den Rest der Welt Untertan machen zu können. Tja, meine Lieben, aber mit euren abartigen Mutationen und zahlreichen genetischen Fehlern könnt ihr das vergessen. Weshalb sollte es euch besser ergehen als mir und meiner Sippe.

      Hinter dem Tresen steht ein junger Mann. Er ist nicht der Barkeeper, so einen gibt es hier überhaupt nicht, nur ein hässlicher stinkender Wichtigtuer, der mich anstarrt. Ich funkle ihn böse an, aber anders als bei dem Weib scheint er sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Erst jetzt fällt mir auf, dass er nicht der einzige ist, der mich so unverhohlen mustert. Ich falle in diesem Raum auf wie ein bunter Hund. Die V23er kleiden ihre Laborratten in Einheitskleidung - blau für die Männer, gelb für die Frauen. Meine schwarze Lederkleidung will nicht recht zu ihrem Look passen. Ob sie mich für einen V23er halten? Immerhin tragen nur diese schwarze Anzüge. Zumindest glauben die dummen Menschen das. Natürlich könnte ich ihre Vermutungen bezüglich meiner Herkunft bestärken, indem ich einfach meine Jacke ausziehe. Das hübsche Tattoo auf meinem linken Unterarm ähnelt dem Mal der Genmutanten bis ins Detail. Aber heute ist mir nicht danach, Menschen zu verarschen. Deshalb behalte ich meine Jacke an. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Ich möchte endlich meine Batterien eintauschen und dann so schnell wie möglich von hier verschwinden. Diese Stadt jagt mit einen kalten Schauder über den Rücken.

      Die Tür oberhalb der Treppe knarrt. Durch das Gemurmel der anderen Besucher höre ich Schritte auf den ausgetretenen Stufen. Meine Sinne sind schärfer als ihre.

      Nur Sekunden später taucht jemand im Eingang auf. Die Bar befindet sich unterhalb der Erdoberfläche, wenn man sie betreten möchte, muss man eine etwa zehn Yards lange Treppe hinabsteigen, die von außen durch eine unscheinbare, stets unverschlossene Tür gekennzeichnet wird. Das Cave befindet sich in Midtown, südlich des Parks. Praktisch für mich, denn mein Fluchtweg bis zum Tunnel ist nicht lang, erst recht nicht für einen trainierten und körperlich gesunden Acrai wie mich. Diese Tatsache beruhigt mich ein wenig, denn mit einer Horde V23er möchte ich es nicht aufnehmen müssen. Und von denen gibt es hier für meinen Geschmack eindeutig zu viele.

      Der Mann bleibt einen Augenblick lang im Eingangsbereich stehen und sieht sich um. Ich lächle schief, denn das ist der Kerl, nach dem ich gesucht habe. Endlich. Ich rühre mich nicht, soll er mich doch selbst entdecken. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass sein Name Jeff ist, vermutlich jedoch nur ein Deckname. Ich habe in der Vergangenheit schon einmal Geschäfte mit ihm abgewickelt. Ein hässlicher Vogel, der in seinem blauen Einheitsanzug wirklich lächerlich aussieht. Er sitzt an ihm wie eine Wurstpelle.

      Endlich bleibt sein Blick auf mir haften, seine dunklen Augen fixieren mich. Auch er lächelt kurz, ehe er sich einen Weg durch die Menge bahnt. Er schiebt sich zwischen mich und die Dame, die inzwischen ein neues Opfer gefunden hat. Der Typ, dem sie schöne Augen macht, scheint jedoch mehr Interesse an ihr zu hegen als ich, was sie offensichtlich dazu veranlasst hat, den Reißverschluss noch ein Stück tiefer zu ziehen.

      »Cade?«, fragt mich der Drogendealer. Ich erspare mir ein Nicken. Wer sollte ich wohl sonst sein, so unauffällig ist meine Erscheinung nun auch wieder nicht. Für die Dauer eines Herzschlags frage ich mich, weshalb ich mir diese lästige Tauscherei überhaupt antue. Ich hätte den Kerl in einer stillen Ecke umlegen und seine Ware einfach an mich nehmen können. Aber meine Sippe besteht darauf, dass wir verdeckt und unauffällig agieren. Also tue ich ihnen den Gefallen.

      »Hast du den Stoff?«

      Ich ziehe die beiden Batterien, eine jede etwa so lang wie mein Finger, ein Stück weit aus der Tasche meines Ledermantels, bevor ich sie wieder darin verschwinden lasse. Ein widerlicher Geruch nach Staub und Schweiß weht mir entgegen, wenn Jeff sich bewegt. Ich lehne mich ein wenig zurück, wobei der Hocker unter mir bedenklich knarrt. Flüchtig irrt mein Blick zur Seite. Wir werden beobachtet. Nicht, dass ich befürchte, mich könnte jemand bei illegalen Geschäften erwischen, denn aus diesem Grund ist schließlich jeder hier, aber ich hasse es, wenn Menschen mich anglotzen. Ich wünsche mir, das Cave so schnell wie möglich zu verlassen.

      Jeff grinst mich an und offenbart eine Zahnlücke. Ich verspüre den Wunsch, sie zu vergrößern. »Zehn Gramm. Wie gewünscht.«

      Er öffnet den Reißverschluss seiner Brusttasche. Ich sehe mich meinem Ziel näher denn je. Er zieht eine kleine durchsichtige Plastiktüte hervor. Darin ist weißes Pulver. Ich habe keine Ahnung, woher er das Euphoria hat, und es ist mir auch egal. Der Stoff wird durch Destillation einer Pflanze gewonnen, deren Namen ich nicht kenne. Es ist ein kompliziertes Verfahren. Ich weiß sicher, dass die Pflanze nicht im Stadtgebiet wächst.