Narcia Kensing

Glutroter Mond


Скачать книгу

muss. Ich habe mit Jeff schon früher Geschäfte abgewickelt, er wurde mir von jemandem empfohlen, bei dem ich damals Kupferdrähte ertauscht habe.

      Ich strecke gerade meine Hand aus, um den Plastikbeutel entgegenzunehmen, als das Weib neben uns sich wieder zu Wort meldet.

      »Ist das etwa Euphoria?!« Ihre Stimme ist so laut, dass absolut jeder im Raum mitbekommen haben dürfte, was Jeff mir andrehen will. Sie beugt sich zu uns herüber. Reflexartig reiße ich meinen Arm zur Seite. Ich unterschätze manchmal, wie schnell und stark ich bin. Der Knöchel meines Handgelenks trifft die Frau an der Schläfe, sie taumelt zurück. Ich wollte sie zum Schweigen bringen, obwohl ich weiß, dass es dazu ohnehin längst zu spät ist. Mögen im Cave auch viele Dinge ihren Besitzer wechseln, Euphoria dürfte eine nicht allzu alltägliche Tauschware sein. Manche Einwohner sind süchtig danach, und sie würden über Leichen gehen, ein Gramm davon zu erhaschen.

      Die Frau stürzt und stößt sich den Kopf am Tresen. Das Gesicht des Mannes, den sie zuvor bezirzt hat, verzerrt sich zu einer Grimasse des Zorns. Er holt aus und schlägt mit der Faust in Richtung meines Kopfes. »Du schlägst eine Frau?«, kreischt er beinahe hysterisch.

      Er rechnet nicht damit, dass mein Reaktionsvermögen das seine um ein Vielfaches übersteigt. Mühelos ducke ich mich unter seinem Hieb hinweg. Ich springe vom Hocker und trete den Mann, den ich auf nicht älter als zwanzig Jahre schätze, gegen das Schienbein. Er heult auf wie ein Wolf und lässt sich zu Boden sinken, direkt neben seine sittenlose Freundin, die benommen auf dem Rücken liegt und die Augen verdreht. Inzwischen sind alle Gespräche im Raum verstummt. Ruhe herrscht jedoch allenfalls für die Dauer eines Lidschlags, ehe Tumult ausbricht.

      Jeff erwacht als erster aus der Starre. Mit drei langen Sätzen stürmt er zur Treppe zurück. Verdammt! Er hat meinen Stoff! Hätte das dumme Weibsstück nicht den Mund halten können? Ich stoße ein tierhaftes Knurren aus und setze an, Jeff zu folgen, doch dazu kommt es nicht mehr. Ehe er auch nur einen Schritt auf die unterste Treppenstufe setzen kann, ruft der Mann hinter dem Tresen ein unüberhörbares Jetzt, woraufhin die Tür am oberen Treppenende aufgerissen wird. Tageslicht und frische Luft strömen ins Cave. Die Helligkeit blendet mich. Jeff bleibt abrupt stehen, ich wäre beinahe mit ihm zusammengeprallt. Der Kerl hinter dem Tresen war ein Spitzel der V23er! Weshalb habe ich das bloß nicht bemerkt? Er hätte früher oder später ohnehin Alarm geschlagen, ob die blöde Kuh nun gewesen wäre oder nicht. Weshalb führen sie ausgerechnet heute eine Razzia durch? Ich komme so selten hierher!

      Schwere Stiefel poltern die Treppe hinunter, die schwarzen Silhouetten mehrerer Männer schieben sich in das Kellerloch. Es gibt keinen anderen Ausgang, wir sind alle gefangen. Ich kenne keine Panik, denn das ist eine menschliche Reaktion, was jedoch nicht heißt, dass mir mein Herz nicht bis zum Hals schlagen kann.

      Jeff macht auf dem Absatz kehrt und schiebt sich an mir vorbei, zurück in den Raum hinein. Es ist ein dummer Reflex, aber ich folge ihm. Verloren bin ich ohnehin. Ich schließe mit meinem Leben ab, das war's also. Meine irdische Hülle wird hier und heute ihrem Ende entgegentreten.

      Schreie ertönen, schrill und unangenehm. Einige Menschen versuchen sich an den V23ern vorbei nach draußen zu schieben, doch das ist ein sinnloses Unterfangen. Sie blockieren den Ausgang. Ich hechte hinter den Tresen, leider bin ich nicht der einzige, der auf diese Idee gekommen ist. Meine Kleidung ist nicht die eines Städters, das genmutierte Pack hat mich vermutlich bereits entdeckt und identifiziert. Ich trauere weniger meinem sterblichen Körper hinterher als viel mehr dem Geheimnis, das ich ihnen heute verraten habe. Sollte man mich entdecken, werden sie wissen, dass es eine undichte Stelle innerhalb ihrer Barriere gibt. Meine ganze Sippe ist somit in Gefahr.

      Jemand tritt mir in den Rücken. Ich denke nicht, dass es Absicht, sondern im Gedränge schlichtweg unvermeidbar war, dennoch fahre ich herum und greife dem Kerl in den Nacken. Kraftvoll schleudere ich ihn von mir weg, er fliegt über den Tresen und landet mit einem dumpfen Aufprall irgendwo dahinter, direkt den Ordnungshütern vor die Füße. Dann fällt der erste Schuss, dass Geschrei um mich herum wird noch lauter. Von meinem Platz aus kann ich nicht erkennen, was im Cave vor sich geht. Mich streift der Gedanke, mein Versteck zu verlassen, ihnen tapfer entgegen zu springen und zumindest einem von ihnen noch das Genick umzudrehen, ehe sie mich erschießen. Aber ich bleibe sitzen.

      »Alle raus!«, brüllt jemand, ich vermute, er gehört zu den V23ern. »Draußen wartet eine Einheit, die euch nach illegalen Substanzen durchsucht.« Seine Stimme klingt kalt und befehlsgewohnt. Sie duldet keinen Widerspruch, und das Geschrei senkt sich zu einem Gemurmel herab, durchbrochen von gelegentlichen Schluchzern.

      Ich höre ein Poltern auf der Treppe, der Raum scheint sich zu leeren. Es wundert mich, dass die Polizisten so hart durchgreifen, immerhin stammen alle von ihnen als illegale Substanzen betitelten Waren ursprünglich aus ihren eigenen Reihen. Wie sollten die armen Schlucker dieser Stadt sonst daran gekommen sein? Ich nehme an, dass nur junge V23er - von ihren Untertanen ehrfürchtig als Oberste bezeichnet - Luxusgüter gegen Liebesdienste tauschen, denn die älteren von ihnen sind genauso wenig wie ich dazu imstande, Emotionen zuzulassen. Diese Polizisten gehören vermutlich zu denen, deren Verwandlung einige Jahre zurückliegt. Dem System ergeben durch und durch. Pfui.

      »Hier liegt eine bewusstlose Frau«, sagt jemand. »Sie scheint einen Schlag gegen den Kopf abbekommen zu haben.«

      Ich höre ein Geräusch, als würde jemand einen Körper über den Boden schleifen.

      »Bring sie zur medizinischen Station«, antwortet eine Frau. Ihre Stimme ist ebenso kalt wie die ihres Kollegen. »Ihr beiden durchsucht den Raum, ich gehe wieder hinaus. Es stinkt bestialisch hier. Mal sehen, wie viele wir heute überführt haben.« Höre ich einen Anflug von Schadenfreude in ihrem Tonfall? Nein, unmöglich, so etwas fühlen die Mutanten nicht. Ihre Schritte verhallen auf der Treppe, am oberen Ende knarrt die Tür.

      Es dauert noch einige Atemzüge, ehe das Unvermeidbare eintritt. Ich hocke auf dem Boden hinter dem Tresen, doch jederzeit zum Sprung bereit. Ich spüre, wie Hass und Abneigung durch mich hindurch fließen und mich dazu zwingen, die Zähne zu blecken. Bin ich auch nicht imstande, etwas anderes zu fühlen - Hass funktioniert immer. Reine Selbstbeherrschung hält mich davon ab, auf die Beine zu springen und ein Massaker anzurichten, sogar mit bloßen Händen. Ich bereue, meine Schusswaffe im Auto gelassen zu haben. Sie hätte es mir erspart, den V23ern die Augen auszukratzen und mir die Finger dabei schmutzig zu machen.

      Neben mir kauert noch ein anderer Mann, der am ganzen Leib zittert. Ich werde mir seiner Anwesenheit erst jetzt bewusst. Dann schiebt sich ein Schatten über uns, einer der Polizisten tritt hinter den Tresen. Er packt den zitternden Typen am Kragen seines Einheitsanzuges und zerrt ihn auf die Beine. Unsanft stößt er ihn Richtung Ausgang.

      »Nach draußen!«, brüllt er ihm entgegen.

      Der Mann winselt und stürzt zur Treppe. Weichei. Hat er Angst vor der Knarre des Polizisten? Ein V23er wird sie nicht gegen einen Menschen verwenden, sollte sein eigenes Leben nicht in Gefahr sein. Die schlimmste Strafe, die den Verbrechern in dieser Stadt droht, sind ein paar Tage unter Arrest. Ha ha. Irgendwie ironisch, wo doch die ganze Stadt genau genommen unter Arrest steht. Ob der Polizist mir gegenüber ebenso zögerlich mit seiner Waffe ist, dessen bin ich mir hingegen nicht so sicher.

      Ich erhebe mich vom Boden, langsam. Es soll schließlich spektakulär wirken, dass ich einen halben Kopf größer als dieser Mistkerl bin. Seine Augen kleben auf mir und ich glaube, für die Dauer eines Herzschlags einen erschrockenen Ausdruck darin gesehen zu haben. Dann ist der Augenblick verflogen, seine Augen verengen sich.

      »Ich brauche Verstärkung!«, brüllt er aus voller Kehle, während er eine glänzend schwarze Pistole aus dem Halfter seines Gürtels zieht. Der Lauf ist auf meine Brust gerichtet, aber ich lasse mir keine Furcht anmerken. Die habe ich ohnehin nicht, um ehrlich zu sein. Die Angst vor dem Tod habe ich mir schon vor sehr langer Zeit abgewöhnt. Ich bedauere lediglich, diesen äußerst attraktiven und gottgleichen Körper aufgeben zu müssen, sollte eine Kugel ihn durchbohren. Ich hatte mich gerade an ihn gewöhnt.

      Sekunden später höre ich wieder Poltern auf der Treppe. Ich fauche und reiße den Kopf herum. Ich mache keinen