Elin Bedelis

Pyria


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schockiert starrte sie seinen Rücken an und ballte die zitternden Finger zu Fäusten. Auch die Prinzessin schien aufgehorcht zu haben. Sie hatte dunkle Schatten unter den Augen, die selbst in der Farblosigkeit hier zu sehen waren. Sah Leén selbst etwa auch jetzt schon so aus, als habe sie tagelang nicht geschlafen? Vielleicht, so fühlen tat sie sich allemal. »Was soll das denn heißen?«, fragte die Königstochter alarmiert und beide Mädchen erwarteten bangend eine Antwort.

      Machairi blieb stehen und drehte sich zu ihnen um. Es hätten ebenso gut Funken von den schwarzen Augen stieben können. »Ich bin nie dort gewesen. Hört auf mit der Panik. Beide! Das zieht den Ärger an.« Der scharfe Unterton klang hier ebenfalls stärker aus seiner Stimme als sonst. Es war wahrlich faszinierend und in diesem Falle geradezu furchteinflößend. Kurz machten sie sich klein unter dem tadelnden Blick, den er ihnen zuwarf, dann drehte er sich um und ging weiter.

      Korys Lippen bebten und sie sah aus, als würde sie im nächsten Moment in Tränen ausbrechen. Ihre Augen schwammen und Leén sah gerade noch rechtzeitig, dass sie Anstalten machte, sich hinzusetzen. Hastig griff sie nach dem Arm der Prinzessin und zog sie weiter. Sie mussten weitergehen, das hatte sie in der Wüste gelernt. Es war bezeichnend, dass Hareths Wüste gegen diesen Ort geradezu einladend wirkte, obwohl sie gedacht hatte, dass es keine unangenehmeren Voraussetzungen geben konnte. Sie war nicht bereit herauszufinden, wie viel schlimmer die Unterwelt werden konnte, denn Machairis Anspannung war zwar subtil, aber trotzdem vorhanden. Er versteckte sie noch besser als damals, als er den Drachenbiss zu verbergen versucht hatte, aber seit sie hier waren, war er noch wachsamer und wirkte fast besorgt. Vielleicht äußerte sich dieser Zustand darin, dass er Antworten gab, wo er sonst geschwiegen hätte. Er war eben doch nicht vollkommen. Dämon oder nicht, er hatte zumindest ein wesentliches Maß Menschlichkeit und damit musste es möglich sein, ebenso stark zu sein, wie er es war.

      Leén beschloss, dass sie ihm wohl oder übel vertrauen mussten, wenn sie nun schon hier waren. Das Einzige, was sie tun konnten, war, ihm kein Klotz am Bein zu sein. Es konnte doch nicht so schwierig sein, sich ebenso zusammenzureißen wie er. Schließlich musste er die niederdrückende Schwere hier ebenso fühlen. Mit diesem Beschluss zog sie Kory mit sich und brachte sich selbst neuen Antrieb.

      Diese neue Motivation aufrechtzuerhalten, war anstrengend und wurde hart auf die Probe gestellt, doch irgendwann tauchten vor ihnen dunkle Schatten auf, die zuvor nicht dort gewesen waren. In einer Welt aus Graustufen war das schwer festzumachen, aber je näher sie kamen, desto mehr glaubte sie, dass es sich um eine Art Dorf handeln mochte. Lebten Dämonen in Dörfern? Wie viele Dämonen gab es überhaupt?

      Leén wusste nicht, worauf sie da zusteuerten. Klar war nur, dass Befestigungen bedeuteten, dass dieser Ort bevölkert war oder es zumindest gewesen war. Das war unvorstellbar. Sie hatte sich die Unterwelt als eine einzige große Folterkammer mit Lavaflüssen und einer Menge Feuer vorgestellt. Dämonen als entstellte Menschen oder unwirklich perfekte Menschen wie Machairi würden die Folter ausführen und über alldem hätte ein Thron gestanden, von dem der Herr der Unterwelt das Leiden überwachte. Ein Dorf passte in dieses Bild nicht hinein.

      Bald schon konnte man die ersten Häuser von den anderen abgrenzen und als sie noch etwas näherkamen, konnten sie hinter jenen Gebäuden eine gewaltige Mauer emporragen sehen. Bedrohlich erhob sich das Bauwerk über die Ebene und schon von Weitem wollte man am liebsten die Flucht ergreifen. Andererseits wollte Leén ohnehin schon die ganze Zeit die Flucht ergreifen und immerhin sah es aus, als kämen sie ihrem Ziel so näher. Kory wimmerte leise und stemmte sich mehr und mehr gegen Leén, sodass sie bald Schwierigkeiten hatte, die Prinzessin zum Weitergehen zu bewegen. Der Anstrengung war Leén nicht gewachsen und als das Mädchen sich schließlich endgültig auf den Boden sinken lassen wollte, konnte sie sie nicht daran hindern. »Komm schon«, bat Leén sie flehend. »Mach es uns doch nicht noch schwerer.« Aufzugeben war keine Lösung, das musste ihr doch klar sein.

      »Was immer hinter dieser Mauer liegt, ist nichts für mich«, hauchte die Prinzessin, starrte angstvoll auf die Mauer und kauerte sich weiter am Boden zusammen. »Es ist furchtbar hier«, wimmerte das Mädchen und von ihrem Stolz war nichts mehr übrig.

      Leén seufzte und hockte sich vor ihr hin. »Die Ewigkeit hier zu verbringen ist doch auch keine Lösung, oder?« Sie streckte eine Hand aus. »Wenn wir wieder zurückwollen, müssen wir jetzt weitergehen.« Es kostete sie ein riesiges Maß an Beherrschung, sich ein Lächeln abzuringen, aber ihr Überlebenswille hatte endlich wieder angeschlagen. Sie wollte nicht für alle Ewigkeit in dieser grausigen Melancholie feststecken und es würde ihr gelingen, einen Weg zu finden. Machairi hatte zumindest einen Plan und wenn der nicht funktionierte, würde sie eben auf etwas anderes zurückgreifen müssen. »Wirklich etwas zu verlieren haben wir nicht, oder?«

      Koryphelia schniefte und sah erneut der Mauer entgegen und zu Machairi, der immerhin stehen geblieben war und auf sie wartete. Interessiert musterten seine schwarzen Augen die beiden Mädchen und wie so oft fragte sich Leén, was er wohl dachte. Korys Tränen fielen auf den staubigen Untergrund und wurden sofort davon verschlungen. Kein feuchter Fleck blieb zurück und nichts zeugte davon, dass vor wenigen Sekunden ein Tropfen zu Boden gefallen war. Nicht einmal Fußspuren hatten sie hinterlassen. Was ein verfluchter Ort. Vielleicht war es innerhalb befestigter Mauern besser als in dieser trostlosen Endlosigkeit. Zögernd schob Kory die Finger in Leéns Hand und ließ sich auf die Füße ziehen. Noch immer unglücklich, aber vielleicht etwas weniger entmutigt ging sie weiter und immerhin dieses Hindernis war für den Moment überwunden.

      Die Häuser entpuppten sich aus der Nähe als Ruinen. Manche waren einfach leerstehend, ohne Türen in den Angeln und mit gähnend leeren Fenstern. Bei anderen war der Dachstuhl eingefallen und ins Innere gebrochen und bei wieder anderen stand nicht mehr als das Fundament und kleine Umrisse ließen erahnen, dass dort mal ein Haus gewesen sein mochte. Direkt vor der Mauer lag das kleine Dorf und als sie zwischen den Häusern entlangschlichen, fühlte Leén sich unangenehm beobachtet von den leblosen Ruinen und dunklen Ecken. Sie biss sich auf die Lippe, um nicht zu fragen, wer hier gelebt hatte. Jedes Geräusch, so wunderschön es auch durch die Luft getragen werden mochte, konnte sie verraten. Wer wusste schon, was in diesen alten Gemäuern lauerte? Ein eiskalter Schauer nach dem anderen rann ihr über den Rücken und auch Koryphelia ging nun wieder von sich aus schnell genug. Sie konnte es wohl genauso wenig abwarten wie Leén, endlich dieses Nichts zu verlassen, und sie wollte sicher nicht allein zurückbleiben.

      Aus der Nähe war die Mauer noch höher, als sie aus der Ferne ausgesehen hatte. Bestimmt hundert Schritt ragte das Bollwerk vor ihnen in die Höhe, aus so ebenem Stein erbaut, dass es aussah, als wäre sie aus einer einzigen Felsmasse geschliffen worden. Dunkle Mächte mussten am Werk gewesen sein, um dieses Ungetüm zu schaffen. Welche Seite sollte diese Mauer wohl vor der anderen schützen? Widerwillig beeindruckt legte Leén den Kopf in den Nacken und blickte den schwarzen Stein empor. Es machte ihr erst richtig bewusst, dass es hier Dinge gab, die in ihrer Welt undenkbar gewesen wären, obwohl es auch dort Magie und Unglaubliches gab. Das Beunruhigende daran war, dass sie den Bedrohungen der Unterwelt so vollkommen unvorbereitet gegenüberstanden. Warum hatte sie nicht wenigstens mehr Zeit gehabt, um ihr Licht zu trainieren? Das wiederum schien weiter fort denn je. Je näher sie der Mauer gekommen waren, desto dunkler war es geworden, und anstatt sie geradewegs in die Ohnmacht zu schicken, lähmte es Leén.

      In Sichtweite eines Tores, das ebenso düster wie das Gestein vor ihnen lag, blieb Machairi stehen. Leén trat neben ihn, um sein Gesicht sehen zu können. Grimmige Entschlossenheit lag auf seinen Zügen und leider schien sich auch ein Hauch von Sorge dazuzugesellen. Wenn selbst er seine Besorgnis nicht verbergen konnte, war etwas im Argen. Ihre Sorge wuchs noch weiter an, als der Schatten nun endlich das Wort an seine Begleiterinnen richtete, denn es klang die Anspannung in der wundervollen Vielschichtigkeit seiner Stimme mit. »Die Stadt jenseits dieser Mauer ist trügerisch. Lasst euch nicht ansprechen, antwortet nicht und lasst euch nicht auf Versprechungen, Drohungen oder Bitten ein. Es ist eine Stadt der Lügen, die sich nicht um Wahrheit schert.« So eindringlich und vor allem ausführlich hatte sie Machairi niemals sprechen hören. Er hatte sich zu ihnen gedreht und sah sie beide so ernst mit seinen schwarzen Augen an, dass Leén erschauderte. Sie würde die Schönheit darin niemals ganz verstehen. Selbst hier war sie noch da, wo es doch nichts zu geben können schien, was in irgendeiner