Elin Bedelis

Pyria


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strich sie über die reglosen Nüstern, während schon wieder Tränen über ihr Gesicht rannen. Sie konnte und wollte nicht glauben, was ihre Finger eindeutig spürten. »Puki!«, rief sie verzweifelt und ihre Stimme klang schrill und verzerrt. Zitternd streichelte sie weiter über den reglosen Drachenkörper, suchte nach Körperwärme, nach einem Zeichen von Atem oder einem Herzschlag. Nichts. Vorsichtig hob sie das kleine Tier hoch und hielt ihn sich direkt ans Ohr, in der Hoffnung, vielleicht doch etwas zu hören. »Puki!«, rief sie nochmal. Sie brauchte seine Augen, seine Sinne und seine tröstende Nähe, denn die Kälte des kleinen Körpers schien in sie einzudringen und sich um ihr Herz zu legen. Schniefend drückte sie den leblosen Spítha an sich und schluchzte schon wieder. Noch lächerlicher erschienen ihr ihre Tränen der vergangenen Nacht nun. Sie hatte geschlafen, als er sie gebraucht hatte. Allein war er gestorben, während sie direkt neben ihm gelegen und geschlafen hatte.

      Weinend wippte sie auf dem Bett, den toten Drachen an sich gepresst, und schluchzte. Wie hatte das passieren können? Wie hatten sie das zulassen können! Alle hatten sie im Stich gelassen und endlose Wut kochte auf. Auf sie alle! Gwyn war schuld, dass der kleine Drache qualvoll verendet war, und die bescheuerte Dorfmutter mit ihren leeren Versprechen hatte ihre Zeit verschwendet. Die Hatschi und ihre sinnlose Magie waren mit ihrer geheuchelten Sorge eine Katastrophe, genauso wie Mico, der sich geweigert hatte, ihr zu helfen. Er war ein verfluchter Magier! Sicher hätte er es gekonnt. Hätte Gina ihre bescheuerten Späße gelassen, wäre sie nicht mit Spítha hingefallen und vielleicht hatte ihm das den Rest gegeben. Sie war auch sauer auf Puki, der mit seinem Theater das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, sodass sie sich nicht um Spítha gekümmert hatte, als er sie gebraucht hatte, und natürlich war sie sauer auf M. Der Messerdämon, der doch sonst jedes Problem lösen konnte, war nur auf seine eigenen Vorhaben fokussiert und darauf, die verzogene Prinzessin zu entführen. Spítha hatte für seinen bescheuerten Plan sein Leben gelassen und es interessierte den Dämon nicht einmal! Schluchzend und zitternd vor Angst, Wut und Schmerz hockte Vica auf dem Bett und nahm gar keine Notiz von dem Ding, das gegen ihr Bein kullerte. Sie weinte und verfluchte alle, die sie im Stich gelassen hatten. Wut kochte in ihr, auf alle, die sie ihre Freunde schimpfen sollte. Am meisten jedoch war sie wütend auf sich selbst.

      Als Puki endlich wiederkam, saß sie noch immer auf dem Bett und klammerte Spítha an ihre Brust. Wie eine ausgeleierte Puppe hing er in ihren Armen und obwohl der taube Schmerz nicht weichen wollte, waren die Tränen einfach plötzlich fort gewesen. Wie eingefroren hockte sie auf dem Bett und hatte sich dem Rauschen in ihren Ohren hingegeben. Alles war taub. Ohne etwas sehen zu können, konnte sie sich nicht einmal damit aus ihrer Starre ziehen. Der Horror, der sich gleichzeitig vor ihrem inneren Auge abspielte, war kaum auszuhalten und es gab nichts, was sie dagegen hätte tun können. Immer wieder malte sie sich die letzten Momente in Spíthas Leben aus, wie er verzweifelt ein letztes bisschen Rauch ausstieß oder ein gequältes Geräusch von sich gab, bevor seine Augen leer wurden und er die Welt der Lebenden verließ. Sie bemerkte das Wiesel kaum, das nichtsahnend und satt auf dem Fensterbrett hockte und sie überrascht musterte. Ekelhaft abfällige Gedanken drängten sich in Vicas Kopf. Dass er sicher froh war, seinen Nebenbuhler los zu sein, und dass er den Drachen ohnehin nie gemocht hatte. »Wo bist du gewesen?«, fauchte sie und schnitt sich damit selbst noch schlimmer ins Herz. »Bist du jetzt zufrieden?«, schrie sie, bevor sie es verhindern konnte. Was war nur in sie gefahren? Das Schuldgefühl, dass sich ohnehin schon in ihr aufbäumte, wurde noch etwas grausamer und sie wollte sich entschuldigen.

      Wäre Puki ein Mensch gewesen, hätte er vielleicht verstanden, dass sich ihr Schmerz nur an ihm entlud, weil sie verzweifelt war, nicht, weil sie ihn wirklich für schuldig gehalten hätte. Vielleicht wäre er zu ihr gegangen, hätte sie in den Arm genommen und trotzdem mit ihr getrauert. Dann hätte sie sich in einer späteren ruhigen Minute entschuldigen können und er hätte gesagt, dass er ihr nicht böse war und selbst vielleicht genauso reagiert hätte. Leider war Puki kein Mensch. Puki war ein Wiesel, das direkt nachdem sie sich endlich vertragen hatten von ihr angeschrien wurde und nur sah, wie sie einen kleinen Drachen gegen die Brust drückte. Wie sollte er verstehen, was geschehen war und warum Vica ihn so gnadenlos anfauchte? Sie konnte durch den ganzen Raum spüren, dass er verschreckt und verletzt war und bevor sie etwas sagen konnte, war er wieder in den Urwald verschwunden.

      Vica gab ein gurgelndes Geräusch von sich, weil kein echter Aufschrei herauskommen wollte. Wimmernd, fast jaulend hockte sie auf dem Bett und wusste weder ein noch aus. Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, vernahmen ihre Ohren einen Augenblick später ein Klopfen an der Tür. Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie es kaum schaffte, sich die Kapuze wieder auf den Kopf zu zerren, die noch immer auf ihren Schultern lag. Es hätte ihr unter diesen Umständen egal sein können, aber gerade war das Bedürfnis, sich zu verstecken, noch größer als sonst und so kauerte sie sich weiter zusammen und rang kläglich um ein wenig Fassung.

      Natürlich öffnete sich die Tür, obwohl sie niemanden hereingebeten hatte. Es war nicht M. Seine einzigartig leise und düstere Art hätte sie sofort erkannt. Außerdem war der wohl schon fort und hatte sie hier zurückgelassen. »Was bei allen Göttern ist hier denn los?«, fragte Micos Stimme etwas verdutzt und erneut ballte sich die Wut in Vica.

      »Verschwinde!«, schrie sie ihn an und wollte etwas nach ihm werfen. Er hatte ihr wirklich gerade noch gefehlt. Sie konnte ihn nicht ausstehen und er hatte seine Hilfe verwehrt. Um alles in der Welt konnte er ihr gestohlen bleiben! Am liebsten hätte sie ihm das Gesicht zerkratzt und mit einem kleinen Anflug Genugtuung erinnerte sie sich daran, dass Spítha das bereits getan hatte.

      »Heilige«, murmelte er und sie hörte, dass er noch einen Schritt näherkam. Dieser Magier wusste wahrlich nicht, was gut für ihn war.

      »Hörst du schlecht?!«, fuhr sie ihn an und ihre ohnehin schon schrille Stimme überschlug sich auch noch. Sie wollte gar nicht wissen, was sie für einen Anblick bot, und ihm gönnte sie die Genugtuung, sie so am Boden zu sehen, garantiert nicht.

      »Vica, pass auf, du zerquetscht es noch«, knurrte er und blieb direkt neben dem Bett stehen. Vielleicht klang sogar eine Spur von Sorge in seiner Stimme mit.

      Zu spät! Viel zu spät. Ein freudloses Lachen mischte sich mit einem Knurren. Der Laut, der dabei rauskam, war nur noch lächerlich. »Sein Name ist Spítha und auch du bist schuld, dass er tot ist!«, wollte sie schreien, aber es wurde mehr und mehr zu einem weinerlichen Flüstern. Verzweifelt klammerte sie sich noch etwas fester an den leblosen Körper.

      Mico seufzte. »Erstens hat er mich verunstaltet, nicht umgekehrt, zweitens war jedem klar, dass er nicht mehr lange hat und drittens sprach ich nicht von dem Drachen.« Ganz konnte er seinen genervten Tonfall nicht verbergen, aber er klang immerhin, als würde er sich Mühe geben. Vielleicht hatte er auch ernsthaft Angst, sie könnte ihn sonst erwürgen, denn sie war kurz davor. Trotzdem beugte er sich vor und sie spürte ihn in ihrer Nähe.

      »Hau ab.« Sie schlug nach ihm und sie traf, wo genau wusste sie nicht, aber es war auch egal. Er würde seine Greifer nicht an Spítha legen, aber er griff gar nicht nach dem leblosen Drachen. »Was wird das?«, quietschte sie, als seine Finger ganz kurz ihr Bein streiften.

      Erstarrt hockte Vica da und verstand nicht, was er tat. »Bevor du verdammtes Spiegelei machst, weil du eine Leiche zerquetschen willst … Wer weiß, wie stabil das Ding ist.« Musste er sich selbst jetzt noch über sie lustig machen? Besaß dieser Kerl Taktgefühl?

      »Spiegelei?!« Was wollte er von ihr? Ein Gedanke nahm in ihrem vernebelten Kopf Form an, aber sie war ob der Situation wesentlich langsamer als sonst.

      »Drachen haben zwei Herzen. Das zweite übernimmt, wenn das erste durchstochen ist und der Drache im Sterben liegt. Es hält sie lange genug am Leben, um ein Ei zu legen. Was hast du denn geglaubt, wo es ist?«, fragte er spitz und vertrieb den Nebel aus Vicas Gedanken ein wenig.

      Das hatte sie nicht gewusst. Spítha hatte nichts davon erzählt. Er hatte nicht einmal erwähnt, dass der Armbrustbolzen sein Herz durchstochen hatte, auch wenn er zwischenzeitlich erstaunlich klar gewesen war und sie ein paar Worte hatten wechseln können. Was passierte, wenn ein Drache an etwas anderem starb? Warum hatte er ihr nicht gesagt, dass er ein Ei legen würde? Warum hatte sie nicht gemerkt, dass es ihr buchstäblich in