Elin Bedelis

Pyria


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Aussehens. Machairi war ohnehin eine höchst rätselhafte Person. Stets schien er sehr genau zu wissen, was er tat, doch das führte auch dazu, dass er niemandem sonst Fehltritte durchgehen ließ. Alles hatte so zu laufen, wie er es geplant hatte. Niemals hätte sie ihm das sagen dürfen, aber es erinnerte sie stark an ihren Vater. Starrsinn war eine Eigenheit, die viele Mitglieder der Königsfamilie, teils auch Koryphelia selbst, an den Tag legten. Dabei waren Flexibilität und Nachsicht wichtige Tugenden. Zudem wirkte es, als habe gerade Machairi die nötigen Ressourcen und Talente, um Fehltritte ohne großes Risiko auszugleichen. Warum also war er so kleinlich mit denen, die ihm folgten?

      Unendliche Gedankenströme hielten die Prinzessin wach, als sie sich endlich in ihr Bett gekuschelt hatte. Auch wenn sie vom Training und der Reise müde war, konnte sie in Anbetracht des kommenden Tages nicht zur Ruhe kommen. Ständig sann sie wieder über die Unterwelt nach, jenen furchtbaren Ort, an dem ihre Götter ihr nicht zu helfen vermochten. Sie dachte an die Angst, die sie verspürte, und an den Messerdämon, über den sie eigentlich zu wenig wusste, um ihm an einen solchen Ort zu folgen. Auch über das Harethimädchen dachte sie nach, das noch mit ihnen kommen würde. Ihre eigenen Veränderungen trieben sie um und als sie es im Bett nicht länger aushielt, weil sie sich nicht nur schlecht vorbereitet, sondern auch uninformiert fühlte, stieg sie aus dem Bett, trat ans Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Friedliches Zirpen klang aus dem nahen Wald und noch immer drangen leise Stimmen und Musik durch die Nacht bis an ihr Ohr. Ob Rish ebenso wach lag wie sie? Das andere Mädchen wirkte stets überfordert, vielleicht gar ängstlich und keiner der anderen schien eine besonders hohe Meinung von ihr zu haben. Trotzdem hatte sie etwas bei oder an sich, was sie für diese Reise qualifizierte. Gegen wie viele Wesen der Unterwelt konnte Machairi kämpfen? Man brauchte keine allzu hohen Kompetenzen im logischen Denken, um zu wissen, dass ihre Reise in beunruhigend vielen Fällen zum Tod führen konnte.

      Von neuer Angst ergriffen ließ sich die Prinzessin von Cecilia auf die Knie sinken und begann zu beten. Wenn die Götter sie hörten, dann wohl an einem Ort wie diesem. Sie betete zu Zylon, dass er seinen Schutz über sie legen und sie mit den Kräften seiner Welt lenken möge. Sie betete zu Amila, dass ihr Verstand dort unten nicht vernebeln und zu Jico, dass ihr Körper der Belastung standhalten möge. Sie betete zu Mella, dass ihr Herz nicht verzagen und zu Bico, dass die Dunkelheit ihre Seele nicht korrumpieren möge. Koryphelia betete. Sie betete und betete, bis ihr die Augenlider schwer wurden und sie die Angst nicht mehr so sehr spürte. Die Götter waren nah an diesem Ort und irgendwann senkten sie sie sanft in ruhigen Schlaf.

      Es war nicht die Sonne, die das Mädchen mit dem ersten Licht des Tages wachkitzelte. Ein lautes Hämmern an der Tür ließ Koryphelia hochfahren. In einer äußerst unbequemen Position lag sie auf dem Boden und hatte für einen Moment das Gefühl, jeder Muskel in ihrem Körper sei verspannt. Stöhnend setzte sie sich auf und fuhr sich durch den Nacken.

      Erneut hämmerte jemand gegen die Tür. »Prinzessin?« Die Stimme des Magiers trug durch das unebene Holz der Tür. »Seid Ihr wach?« Immerhin einer, der ihren Titel anerkannte. Leider übertrieb er es zeitweise, sodass sie sich veralbert vorkam. Seufzend stand sie auf und streckte sich.

      »Ja!«, sagte sie laut und versuchte das Gewand zu ordnen, in dem sie geschlafen hatte. »Ich bin allerdings noch nicht fertig.« Es fehlte noch, dass er auf die Idee kam, hereinzukommen und sie in diesem Zustand zu sehen. Waren die Kleider, die man ihr gegeben hatte, auch leicht schmutzig vom Kampftraining und nicht besonders fein, waren sie doch besser als das Unterkleid, das sie in diesem Moment trug. Leider würde das orange Ding ihr in der Unterwelt im Wege stehen, aber eine Alternative hatte sie wohl nicht. Einzig das blaue Kleid, mit dem sie aus dem Palast geflüchtet war, befand sich noch in ihrem Besitz. Das eignete sich wohl noch weniger. Man musste sich zu behelfen wissen.

      Als habe er ihre Gedanken gelesen, erklang die Stimme erneut. »Darf ich eintreten? Ich habe neue Kleider für Euch!«

      Mit einem leisen Seufzen griff Koryphelia nach der Decke, die noch auf dem Bett lag und wickelte sich hinein wie in einen Morgenmantel. »Na gut«, antwortete sie und straffte sich, als die Tür sich öffnete. Der Cecilian wurde schrecklich entstellt von einer Narbe, die sich quer über sein Gesicht zog. So frisch wie sie noch war, konnte er immerhin hoffen, dass sie verblassen würde, wenn mehr Zeit verging, doch sie würde stets auf den ersten Blick auffallen. Er trat ein und verneigte sich angemessen. Über einem Arm trug er einige Bahnen Stoff, von denen ein Ärmel hinabhing. Jemand hatte die Gewänder schwarz gefärbt und Koryphelia spürte, wie sich etwas in ihr zusammenzog. Händler trugen schwarz, Adlige und reiche Männer und jeder, der mit Toten arbeitete. Eine Dame trug Farben und aufwändige Schnitte – je extravaganter desto besser und das nicht nur in Hareth. Das letzte Mal, das Koryphelia schwarz getragen hatte, war zur Beisetzung und Trauerzeit ihrer Mutter gewesen. Der Tod der Königin hatte das Leben der Prinzessin stark verändert und sie dachte noch oft mit Sehnsucht an die liebevolle Frau zurück, die ihre Mutter gewesen war. Ob sie vielleicht dort war? Welch absonderlicher Gedanke. Selbstverständlich war eine rechtschaffene Frau wie Königin Laurena an Zylons Tafel aufgenommen worden. Sie hatte ein Leben voller Ehrfurcht vor den Göttern gelebt und all ihre Pflichten erfüllt. Wie konnte ihre Tochter das anzweifeln?

      »Bitte beeilt Euch, Hoheit.« Der Magier riss sie aus ihren Gedanken und legte die Kleider auf das Bett. »Wir erwarten Euch draußen.« Kurz blieb er noch stehen, wie ein Diener, der weitere Befehle erwartete, und Koryphelia schloss erneut, dass man ihn in einem reichen Haushalt zum Diener erzogen hatte oder er anders mit der Oberschicht in Berührung gekommen war. Ein solches Verhalten gehörte bedauerlicherweise nicht zum Grundwissen eines Bürgers.

      »Danke«, sagte sie und der Cecilian verschwand mit einer weiteren Verneigung. Es hatte den willkommenen Nebeneffekt, dass sie sich wieder etwas mehr fühlte wie sie selbst. Vielleicht fehlte ihr der Respekt sogar, auch wenn es furchtbar nervenaufreibend sein konnte, niemandem in die Augen blicken zu können. Das Gefühl schwand, als sie sich in die Kleider zwängte. Sie sonderten einen ausgesprochen abstoßenden Geruch nach Färbemitteln ab und fühlten sich hart und schwer auf der Haut an. Außerdem war es kein Kleid, sondern nur eine Tunika, und entriss sie damit erneut der behaglichen Gewohnheit. Eine Hose mochte praktisch sein, war aber keineswegs damenhaft. Wenigstens war das Oberteil lang genug, um ihr fast bis zu den Knien zu reichen. Es war überraschend, dass die Zhaki solche Kleidung bereitliegen hatten, schließlich mussten sie diese gestellt haben. Sie bezweifelte, dass Machairi einen Satz Ersatzkleider für alle Beteiligten in seinen Manteltaschen hatte. Doch lange Ärmel und Schwarz schienen etwa das Gegenteil dessen zu sein, was in diesem Klima angebracht war.

      Eine unwillkommene Nervosität überkam die Prinzessin und paarte sich mit einer tiefen ruhelosen Anspannung, als sie aus dem Holzhaus trat und sah, dass sie bereits erwartet wurde. Die Harethi war in ähnliche Kleider gehüllt wie die Prinzessin selbst, auch wenn sie noch eine Tasche bei sich trug. Der Magier und die Faust standen wartend bei ihnen und der Messerdämon sprach in der Nähe mit Reolet, die heute weit weniger lächelte. Schweigen hüllte den Rest der Gruppe ein und die dunkle Haut der Harethi wirkte gräulich, weil sie so blass war. Koryphelia selbst gab sich Mühe, ihre Gedanken nun so weit wie möglich von ihrem Reiseziel fernzuhalten. So hatte sie es schon immer gemacht, wenn das Lampenfieber ihr sonst den Verstand geraubt hätte. Natürlich war dies kein Ball und die Palette an Fehlern, die sie machen konnte, viel größer, doch das Gefühl war sich dennoch ähnlich, auch wenn es albern wirkte.

      Als Machairi wieder zu ihnen trat, waren selbst die beiden, die sie nicht begleiten würden, blasser als gewöhnlich, und eine unheimliche Ernsthaftigkeit lag ihnen auf den Zügen. Noch einmal musterte der Messerdämon die beiden Mädchen genau. Ob er nach etwas Bestimmtem suchte? Es war schwer zu sagen, ob er es gefunden hatte, als er sich nach einem nervenaufreibenden Augenblick abwandte. »Wenn wir in drei Tagen nicht zurück sind, macht ihr euch auf den Weg zurück nach Kefa«, sagte er zu den beiden Cecilian, die das Glück hatten, nicht mit ihnen kommen zu müssen.

      »Humbug, wenn ihr nach drei Tagen nicht zurück seid, kommen wir euch holen!« Entschieden funkelte die Faust ihn an. »Du glaubst doch nicht, dass ich ohne dich nach Kefa zurückkehre und dem Fürsten erkläre, dass du in der Unterwelt verloren gegangen bist, oder?« Trotzig wie ein Kind schob sie das Kinn vor.

      »Ich gehe nicht verloren«, antwortete