Elin Bedelis

Pyria


Скачать книгу

das er seit Om’falo nicht mehr verlassen konnte.

      Als er die Hand hob, um zu klopfen, hatte er das seltsame Gefühl, einer anderen Person dabei zuzusehen. Irgendwie schien das unbestreitbare Angstgefühl dazu geführt zu haben, dass sein Verstand ihm vorgaukelte, er sei nicht mehr er selbst. Das war zwar vermutlich eigentlich ein schlechtes Zeichen, aber es führte dazu, dass er die Angst besser ertragen konnte. Außerdem ging ein plötzliches Gefühl von Gleichgültigkeit damit einher, Gwyn wusste schließlich, dass diese Aktion vermutlich damit enden würde, dass ihm ein Messer irgendwo aus dem Körper ragte.

      Trotzdem hallte das zaghafte Klopfen von Fingerknöcheln auf Holz durch den Flur und vermischte sich mit seinem Herzschlag. Das »Ja«, das kaum einen Moment später erklang, war selbst durch das Holz hindurch noch melodisch und klar. Es brachte Gwyns Knie fast zum Einknicken, während er die bebenden Finger um den Türknauf schloss. Noch einen Moment zögerte er, körperlich so angespannt, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Dann riss er sich ein letztes Mal zusammen und schob vorsichtig die Tür auf. Leise knirschte das Holz, als es den Weg freigab, und nur sehr vorsichtig schob Gwyn sich durch die Tür. Er fühlte den gnadenlosen Blick der schwarzen Augen und konnte es nicht über sich bringen, den Blick zu erwidern. Als sei er ein Soldat oder ein Diener in einem Schloss stand er gerade und neigte den Kopf, auch wenn alles in ihm am liebsten niederknien wollte. Leider brachte er unter dem eisigen Blick kein Wort heraus. Das war allerdings auch gar nicht nötig, denn erneut durchschnitt klare Melodik den Raum und fuhr Gwyn direkt in den Magen. »Schickt Mico dich?«, fragte der Schatten mit grausiger Kälte in der klaren Stimme und an seinem Tonfall hörte Gwyn, dass er die Antwort längst kannte.

      Vorsichtig schüttelte er den Kopf. »Nein«, wollte er sagen, aber es war kaum mehr als ein Flüstern. Kurz überlegte er, sogar eine förmliche Anrede hinterherzuschicken, aber er wusste, dass Machairi bei diesen Dingen sehr empfindlich reagieren konnte. Im Grunde konnte er dahingehend nur die falsche Entscheidung treffen.

      »Dann geh«, befahl Machairi und wandte sich ab. Er trat auf das Fenster zu, wie er es so oft tat, anstatt sich mit dem Geschehen im Raum zu befassen. Vielleicht, weil er sich der Wirkung seines Blickes so sehr bewusst war und das lieber sparsam einsetzte, aber in diesem Fall war Gwyn sich sicher, dass er ihm einfach signalisierte, wie unerwünscht er war.

      Für einen Moment verschlug es Gwyn erneut die Sprache. Er stand da und öffnete den Mund, ohne dass ein Wort herauskommen wollte. Der Drang, einfach zu gehen, war gewaltig. Überhaupt war stehen zu bleiben und sich einer direkten Aufforderung zu widersetzen genau das, was er gerade schwören wollte, nie wieder zu tun. Doch würde er keine andere Gelegenheit bekommen, bevor der Schatten in die Unterwelt verschwand, und dann war ohnehin alles so anders, dass der Feuerspucker nicht auf Normalität zu hoffen brauchte. Bevor er noch länger einfach nur schweigend hier stand, musste er also etwas unternehmen. »Nimm mich mit in die Unterwelt«, brachte er hervor, bevor er dazu kam, sich die Worte zurechtzulegen. »Bitte«, schickte er hastig hinterher und nur kurz zuckte sein Blick zu dem Mann am Fenster, bevor ihm der Anblick der schwarzen Kleider und des weißen Handschuhs erneut das Fürchten lehrte, besonders als ein Messer sich durch besagten Handschuh bewegte und Machairi sich zurückdrehte.

      Gwyn senkte den Kopf noch etwas weiter unter dem Blick, der ihn traf. Er spürte die Wut und die aufkommende Dunkelheit im Raum und seine Knie zitterten nun so sehr, dass man es mit Sicherheit sehen konnte und dass er sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Nichts als diese bodenlose kalte Wut schlug ihm entgegen und das war schlimmer, als erneut fortgeschickt zu werden.

      Die Angst wand sich in seiner Brust und schnürte ihm den Atem ab. Umso erstaunter war er, dass er trotz allem weitersprechen konnte, auch wenn er in dieser Situation nicht in der Lage war, zu reflektieren, ob jene Worte eine gute Idee waren, oder ob sie nicht vielleicht genau das Gegenteil bewirken würden. »Bitte«, wiederholte er. »Ich werde tun, was immer du sagst. Egal was es ist. Ich werde nicht noch einmal versagen wie in Om’falo.« Noch immer keine Antwort. »Ich habe mich von meinem schlechten Gewissen überwältigen lassen«, fuhr er fort und für einen kurzen Augenblick knickten seine Knie ein und er fing sich nur äußerst unelegant ab. Machairi ließ sich nicht von Betteln beeindrucken, da war es nicht sinnvoll, es trotzdem zu tun. Das hatte schon beim ersten Mal nicht funktioniert. Das tatsächlich Beeindruckende war, dass Gwyn noch immer seine Stimme hatte, ja, dass die Worte geradezu hervorsprudelten, als hätten sich seit Om’falo zu viele angestaut, die er zuvor gar nicht bemerkt hatte. »Das wird nicht noch einmal passieren«, versprach er und musste plötzlich gegen ein Schluchzen kämpfen. »Bitte lass mich mitkommen und es beweisen.« Nun flehte er doch. Seine Stimme war so weinerlich, dass er sich kaum selbst ernst nehmen konnte. Die Verzweiflung der letzten Tage erschlug ihn förmlich und die Vorstellung zu gehen, hier zu scheitern und in sein dunkles Zimmer zurückzukehren, wo nichts als noch mehr Verzweiflung wartete, war absurderweise noch furchteinflößender als Machairi.

      Der sah ihn etwas spöttisch an, aber es war nicht die übliche Form von Amüsement, die er früher häufiger gezeigt hatte, sondern Abfälligkeit. »Du verlässt nicht einmal das Zimmer, wenn ich es sage.« Das war ein gemeiner Einwand, weil es wahr war. Gwyn hatte es schließlich auch schon gedacht, aber was sollte er sonst tun?

      »Nur weil es die einzige Chance ist, dich zu überzeugen«, murmelte er und sah nun auch noch schuldbewusst auf den Boden. Niemals glaubte er, dass Machairi ihn von sich aus zurücknehmen würde. Er musste schon einiges leisten, um seine Fehltritte auszuradieren, und irgendetwas musste er doch tun.

      »Sehe ich überzeugt aus?« Es fühlte sich an, als blickten die schwarzen Augen ihm direkt in den Schädel und fast hätte Gwyn geglaubt, dass dieser Blick sogar schmerzhaft war. Außerdem sah er die blanke Messerklinge im weißen Stoff liegen, die sich ruhig auf ihn richtete. Nein, der Schatten sah nicht überzeugt aus. Natürlich nicht. Das hatte er vorher gewusst, aber es war sicherlich vielversprechender gewesen, es zumindest zu versuchen, als zu warten. Es führte allerdings auch dazu, dass ihm sein einziges Argument unter den Fingern zusammenfiel.

      Du konntest dich immer auf mich verlassen, wollte er sagen, aber sogar er wusste, dass das eine Lüge war. Eigentlich war es eher umgekehrt gewesen. Egal wie groß die Krise, Machairi konnte sie bewältigen. Egal wie groß der Ärger, Machairi konnte ihn beseitigen. Und egal wie groß der Fehler, Machairi konnte ihn ausbügeln. Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass der Messerdämon gute Absichten hatte oder das moralisch Richtige tat, aber man konnte sich darauf verlassen, dass er wusste, was er tat, und dass er niemanden von seinen Leuten freiwillig opferte. »Nein«, flüsterte Gwyn und nun hatte seine Stimme ihn wieder verlassen.

      »Wenn du mir das nächste Mal ungefragt auf die Nerven gehst, landest du unwiederbringlich in der Unterwelt.« Dieses Mal war die Drohung so konkret und eisig, dass sie Gwyn beinahe den Magen umdrehte. Schockiert sah er auf in Machairis Gesicht und fand so bodenlose Kälte, dass alles in ihm erfror. Da half auch die schönste Stimme nicht, eher im Gegenteil. »Raus«, sagte Machairi in leicht gesenktem Tonfall und bevor er wusste, was er tat, floh Gwyn.

      Er dachte nicht darüber nach, wo er hinrannte, aber selbst, wenn er es getan hätte, wäre die Wahl wohl nicht auf sein Zimmer gefallen. Die näherkommenden Wände konnte er jetzt nicht ertragen und so trugen seine Beine ihn aus dem Haus hinaus und durch das Dorf. Es war, als hätte sein Körper nur darauf gewartet, dass er endlich wegrannte. Es war seltsam befreiend zu laufen und er konnte nicht stehen bleiben. Eilig trugen seine bloßen Füße ihn durch den Urwald, immer weiter fort vom kleinen Dorf. Zweige schlugen ihm ins Gesicht und Bäume streckten ihre düsteren Äste nach ihm aus. Allerlei Kreaturen flohen vor ihm oder fauchten ihn an und kaum etwas davon drang zu ihm durch. Wie von Sinnen rannte er durch den Wald, sah nur immer wieder die eiskalte Drohung auf den Zügen des Dämons und fühlte, wie ihn Furcht, Verzweiflung und Schuld verfolgten.

      Gwyn würde sich nie daran erinnern, wie lange er gerannt war oder wann seine Beine einfach nachgaben. Er würde niemals verstehen können, welchen Weg er gerannt war und ob ihn eine innere Stimme hierhergezogen hatte oder ob es reiner Zufall war, dass er genau hier zusammenbrach. Alles, was er später wusste, war, dass er an einem Ort aufwachte, der nichts gleichkam, was er je gesehen hatte.