Elin Bedelis

Pyria


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      Als die Prinzessin sich im Stande sah, wieder aus dem Holzhaus, in dem man sie untergebracht hatte, zu treten, war es bereits erschreckend spät. Das sanfte Sonnenlicht des Abends war wahrlich viel angenehmer als die stechende Hitze des Tages. Koryphelia hatte mit ihrer hellen Haut große Probleme gehabt. Es war ihr ein Rätsel, wie die anderen Cecilian es aushielten, sich durch diese Hitze zu schlagen. Es war schlimmer als in Hareth und hier kam auch noch hinzu, dass es sich um eine garstig verwilderte Umgebung handelte. Sie musste zugeben, dass es sehr hübsch anzusehen war, doch war der positive Anblick von schwirrenden Insekten, weglosem Wald und natürlich beißendem Sonnenlicht überlagert. Wenigstens einen Hut hätte man ihr doch beschaffen können, oder etwa nicht?

      Ihre Gedanken an angemessene Kopfbedeckungen und über den primitiven Zustand des Dorfes waren durch die Aussicht, in die Unterwelt zu müssen, stark in den Hintergrund gerückt. Hätte ihr noch beim letzten Sonnenaufgang jemand gesagt, er wollte sie in die Unterwelt bringen, hätte sie vielleicht gelacht, vielleicht hätte sie die Flucht ergriffen und vielleicht hätte sie diese Person über Bord geworfen. Unter keinen Umständen hätte sie erwartet, dass sie ohne jede Widerrede zustimmen würde. Fast interessiert war sie nun an den infernalischen Tiefen aller Welten. Wie maliziös war jener Ort tatsächlich? Niemals hatte die Prinzessin mit jemandem gesprochen, der sich hinabgewagt hatte. Nicht die ältesten Werke der Bibliothek hatten eindeutige Belege aufzuweisen gehabt, nicht die arriviertesten Schriften vermochten Beweise für ihre Theorien über die Unterwelt zu liefern. Die Hoffnung, all die grausamen Dinge könnten allzu sehr pointiert sein, bestand immerhin. Koryphelia hatte in ihrer kurzen Zeit in Machairis Gegenwart bereits gelernt, dass Entscheidungen des Schattens unumstößlich feststanden. Freiwillig war sie hergekommen und wenn sie nun für diese Reise designiert war, würde sie sich dem stellen. Zudem fühlte sie sich verpflichtet, unter Beweis zu stellen, dass sie eminent nützlich sein konnte. Auch wenn ihr bisher nicht bis ins letzte Detail klar war, wie sie jenen Nutzen selbst erkennen sollte.

      Unter anderem deshalb hatte sie die Aufforderung der insolenten Faust angenommen. Ein marginales Grundwissen in diversen Verteidigungstechniken hatte sie bereits über die Jahre akquiriert. Sogar ihr Privatlehrer hatte sich dazu hinreißen lassen, ihr nach langem, höchst unköniglichen Drängeln einige tradierte Kampfstile vorzustellen. Die Umsetzung jener alten Überlieferungen war allerdings sowohl beim Lehrer selbst als auch bei Koryphelia am Talent gescheitert. Ein anderes Mal hatte sie einen jungen Soldaten überzeugen können, ihr ein paar wichtige Kampfschritte zu zeigen. Leider hatte ein doppelzüngiger Diener ihrem Vater davon berichtet und dem Soldaten waren infolgedessen Respektlosigkeit und unhaltbares Verhalten vorgeworfen worden. Die Strafe war so grausam ausgefallen, dass jeder Kontakt mit der Prinzessin von da an unter Soldaten gefürchtet war. So war die Prinzessin nun geradezu erleichtert, dieses Angebot des anderen Mädchens erhalten zu haben, weil sie endlich die Gelegenheit bekam, zumindest ein kleines Maß an Selbstverteidigung in der Praxis zu erlernen. Bedauerlich war nur, dass die Zeit dafür so gering ausfiel.

      Es galt also, keine Zeit mehr zu verlieren. Sicherlich würde es schwierig werden, wenn die Sonne erst vollends der Nacht Raum gegeben hatte. Das rothaarige Mädchen lehnte an einem mächtigen Baumstamm. Sie beobachtete eine Gruppe junger Zhaki-Männer dabei, wie sie unter Anleitung einer mittelalten Dame eine höchst skurrile Gerätschaft aufbauten. Der Nutzen der vielen Balken und Seile blieb der Prinzessin verborgen, aber da es sich vermutlich um eine profane Alltagsarbeit handelte, hielt sich die Neugierde des Monarchenkindes in Grenzen. Aufrecht und möglichst würdevoll trat sie auf das andere Mädchen zu. »Ich wäre dann bereit«, erklärte sie und lächelte verbindlich. Ein wenig grauste es ihr doch davor, die nächsten Stunden mit dieser impertinenten Person zu verbringen, aber der Aufenthalt an einem vermutlich garstigen Ort wollte ordentlich vorbereitet sein.

      »Ich hoffe, du hast dir nicht allzu viel Mühe gegeben, als du dir die Nase gepudert hast«, spottete die Faust, während sie voranschritt, um den Weg zum Übungsfeld zu weisen. »Es wird mir gehörig Spaß machen, dich in den Dreck zu werfen.«

      Das bezweifelte Koryphelia nicht. Ein Schatten wie die Faust empfand gewiss ein absonderliches Maß an Genugtuung, wenn sie die Möglichkeit bekam, ein Mitglied des Königshauses bloßzustellen. In diesem Zuge nahm die Prinzessin sich vor, es ihr nicht allzu leicht zu machen. Haltung zu bewahren war stets von allerhöchster Wichtigkeit. Trotzdem honorierte sie eine solch provokante Aussage nicht mit einer Antwort und folgte dem roten Wirbelwind über ein schmales Brett, das als Brücke über den Fluss fungierte. Eine wackelige Angelegenheit, fraglos. Dennoch schaffte es die Prinzessin, die mit einem guten Gleichgewicht gesegnet war, problemlos trocken auf die andere Seite. Die Sonne versank gerade jenseits des Dorfes und tauchte die Welt mehr und mehr in Zwielicht. Die sogenannte Trainingsfläche war allerdings weiter nichts als eine sehr zertrampelte erdige Wiese.

      »Nun gut.« Die Faust nahm eine militärisch anmutende Haltung ein und musterte ihre Schülerin streng. Ein Blick, den auch Koryphelias Lehrer gemeistert hatten. »Grundsätzlich musst du immer davon ausgehen, dass niemand dir etwas Gutes will. Wenn ich so an das Reiseziel denke, kann man denk ich sogar mit Sicherheit sagen: Alles will dich töten!«

      Das wagte Koryphelia in Frage zu stellen. Schließlich war man technisch gesehen im Normalfall bereits tot, wenn man in die Unterwelt gelangte. Außerdem empfand die Prinzessin es als reichlich kleingeistig, aus Prinzip nicht an ehrenhafte Absichten zu glauben. Möglicherweise war alles unter Generalverdacht zu stellen ein Nebeneffekt, wenn man unter dem Abschaum des Bienenstocks aufwuchs, auch wenn eine Prinzessin sich nicht selten mit linkischen Personen und pelzigen Zungen konfrontiert sah. Nichts davon sprach die Hochwohlgeborene aus.

      »Wir als Frauen müssen uns unseren Respekt meistens härter erkämpfen als die Mistkerle.« Grimmig grinsend warf die Faust die roten Locken zurück. »Deshalb schlage ich immer zuerst.« Etwas herablassend musterten die grünen Augen dann die Prinzessin und sie runzelte die Stirn. »Allerdings wirst du wohl keine Zeit haben, dir dort unten einen Ruf aufzubauen, aber es ist trotzdem ein gut gemeinter Rat, wenn ich so an die Schnösel denke, die dir unter den Rock kriechen wollen.«

      Bei allen Göttern, die Frivolität dieser Person war wirklich unglaublich. Mit jedem Wort hatte Koryphelia das Bedürfnis, sich zu verteidigen. Sie stellte sogar die Theorie auf, dass dies das eigentliche Ziel der Faust war: Sie so sehr zu beleidigen, dass sie sich wehrte. Nun, da konnte der Schatten lange warten. Wenn man als Thredians Tochter eines lernte, war es, herabwertende Tiraden über die eigene Person zu ignorieren, und Koryphelia würde ganz sicher nicht dazu übergehen, bei jeder Kleinigkeit mit Gewalt zu reagieren.

      Wieder musterte die Faust sie und seufzte schließlich. »Im Grunde geht es nur darum, die nächsten Schritte des Gegners vorauszusehen und selbst möglichst unberechenbar zu sein. Im Zweifelsfall musst du immer mehr austeilen als einstecken, im Idealfall wirst du gar nicht erst getroffen.« Sie stellte sich etwas breitbeiniger hin und federte auf und ab. Möglicherweise war die Hose, die das Mädchen trug, tendenziell besser geeignet als das Kleid, das Koryphelias zarte Figur einhüllte. Außerdem war sich die Prinzessin sicher, dass es Situationen gab, in denen beides unmöglich war. Wenn sie beispielsweise an den Dämon dachte, schien es wahrscheinlicher, dass sie überhaupt nicht dazu kommen würde, irgendetwas auszuteilen, aber gehörig einstecken würde. Selbstverständlich galt selbiges auch für die Faust selbst. Das rothaarige Mädchen konnte nicht behaupten, dass sie irgendeine Chance gegen den Dämon hatte. Nicht einmal Zedian, der die exzellente Ausbildung eines Prinzen erhalten hatte, hatte auch nur einen einzigen erfolgreichen Angriff gestartet.

      Die nächsten Stunden waren vielleicht die anstrengendsten ihres Lebens. Alles an dieser Situation war befremdlich. Niemals ließ die Faust eine Gelegenheit verstreichen, um diverse Sticheleien auszuteilen und auch Korys Schwachstellen nutzte sie gnadenlos aus. War die Prinzessin zu Anfang noch steif und darauf bedacht, sich dieser Übung würdevoll zu stellen, merkte sie selbst, wie ihr eigenes Verhalten ihr immer fremder wurde. Je häufiger der Schatten sie zu Boden warf, desto ehrgeiziger wurde sie, und in diesem Zuge legte sie auch ihre gewohnten Verhaltensmuster ab. Bald schmerzten ihr der Rücken und die Beine von unzähligen Stürzen und ihre Hände waren wund. Die Anstrengung trieb das Blut in ihren Kopf und Schweiß verklebte ihre blonden Haare, die inzwischen wirr und zerzaust in alle Richtungen standen. Niemals hätte ihr Vater sie so sehen dürfen. Doch trotz allem, trotz