Elin Bedelis

Pyria


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      »Das sagst du jetzt«, fauchte die Faust und man konnte ein Flackern von Angst darin hören.

      »Gina.« Die klare Stimme wurde noch eisiger und Koryphelia verfolgte die Situation etwas pikiert. »Du gehst nicht in die Unterwelt.« Der Befehl hatte so viel Nachdruck, dass mehr dahinterstecken musste als reines Prinzip. Vielleicht hatte er noch eine Aufgabe in Kefa für sie, wer wusste schon, wie weit ein Verbrecher wie er plante.

      »Wehe, du kommst nicht zurück«, knurrte sie und die Prinzessin wunderte sich, ob das wirklich eine Zustimmung gewesen sein konnte. Was sie allerdings viel mehr beschäftigte, war die Aussage, dass sie drei Tage brauchen konnten, um zurückzukehren. Ohne echten Grund hatte sie geglaubt, dass sie vielleicht einen Tag fort sein mochten. Wie groß konnten die Hallen von Ebos‘ Reich schon sein, auch wenn zahlreiche gequälte Seelen dort unten vegetierten?

      Es gab keinen echten Abschied, keine großen Worte, keine Umarmungen. Von dem Magier kam ein knappes »Viel Glück« und die Faust nickte ihnen mit bitterem Gesichtsausdruck zu. Dann begann ihre Reise und die Prinzessin hätte, ebenso wie die Harethi, alles darum gegeben hierbleiben zu können.

      Die Vulkaninsel war ein wundervoller Ort oder vielmehr eine Ansammlung wundervoller Orte. Die Natur wusste eine solche Vielfalt aufzuweisen, das Koryphelia sie niemals hätte erträumen können. Schon die Farben waren atemberaubend. Abertausende von Blüten und einzigartigen Pflanzen berührten ihren Weg zwischen saftigen Bäumen und exotischen Tieren. Ein süßer Duft lag in der Luft und bizarre Wesen tummelten sich hier. Die meisten von ihnen waren kaum mehr als ein Schatten oder ein Rascheln im Gebüsch, doch manche schienen in keiner Weise menschenscheu. Ein kleiner schwarzgelber Affe schwang sich durch die Bäume über ihnen und ein pelziges Flughörnchen streifte Koryphelias Schulter, bevor es zu einem neuen Baum sprang. Kunterbunte Vögel glitten durch die Luft oder saßen zwischen den Sträuchern und alles brummte vor Leben. Immer weiter hielten sie auf den Vulkan zu und die Erde unter ihnen wurde steiniger. Faszinierend roter Fels lag unter der ergrauten Haut und glasklare Wasserläufe suchten sich ihren Weg durch Ritzen und Fugen. Bald stiegen auch Wolken warmen Wasserdampfes aus Löchern im Gestein auf und dampfende Wasserbecken waren in der Ferne zu erkennen. Hier und da erstreckten sich noch immer saftige Grünstriche und in der Ferne konnte man das Meer glitzern sehen. Nichts an dieser Schönheit ließ vermuten, welchem Ziel sie sich näherten, und Koryphelia konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wo der ominöse Eingang liegen mochte.

      Sie sprachen nicht. Machairi wählte seine Worte ohnehin sparsam, die beiden Mädchen waren zu eingenommen von der Schönheit um sie herum und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, hätten sie wohl nicht gewusst, worüber sie reden sollten. Koryphelia konnte die Harethi dabei beobachten, wie sie ab und an den Blick von der atemberaubenden Natur um sie herum losriss, um nachdenklich den Schatten zu mustern, der ihnen unermüdlich voranschritt. Ob er wohl wirklich kein Interesse an dem Paradies hier hatte? Anspannung ging von ihm aus, ergriff auch das Herz der Prinzessin, und je weiter sie gingen, desto weniger konnte sie die Schönheit genießen. Ihr Ziel drängte sich mit belastender Vehemenz wieder in ihren Kopf und schließlich erdrückte das Schweigen sie zu sehr. »Welch bittere Ironie, dass ein Tor zur Unterwelt inmitten solcher Schönheit liegt.«

      Machairi ignorierte sie, aber Rish löste den Blick vom Krater des Vulkans über ihnen und wandte sich stattdessen der Prinzessin zu. »Stimmt. Auch wenn ich das gar nicht so überraschend finde… ganz im Sinne des Gleichgewichts.«

      Schmunzelnd nickte Koryphelia. »Ein Hort der Dunkelheit, weit ab jeder Zivilisation und umgeben von schier unwirklicher Schönheit.« Noch einmal sah sie sich um und beobachtete einen kleinen Vogel, der eine Nuss gegen den roten Stein schlug. Jeden Moment erwartete sie, alles um sie herum könnte zerfallen. Es wirkte nicht unwahrscheinlich, dass es sich um nichts als ein Trugbild handelte, das mit einem Wimpernschlag vergehen könnte.

      »Was meinst du, wie es aussehen wird?«, fragte die Harethi dann und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Inzwischen hatten sie einen echten Aufstieg angetreten und das Gehen wurde anstrengender.

      Gerade für eine Prinzessin mit Muskelkater, der sich nun mehr und mehr bemerkbar machte, war langes Gehen äußerst gewöhnungsbedürftig und neu. So wurde der Anstieg zum Problem und ihre Atmung beschleunigte sich, während sie sich bemühte, über die Frage nachzudenken. Daran gedacht hatte auch sie schon, aber eine wirkliche Vorstellung hatte sie nicht. Zunächst hatte sie sich einen schwarzen Strudel vorgestellt, hinter dem sich endlose Schwärze erstreckte, dann eine düstere Höhle im Boden, aus dem Ungeziefer gekrochen kam. Beides erschien ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich und brachte sie daher nicht weiter. »Düster«, antwortete sie deshalb, um sich einer würdelosen Spekulation zu entziehen.

      Das andere Mädchen nickte und entfernte sich ein paar Schritte, um einem Felsen auszuweichen, der mitten in ihrem Weg stand. »Wie weit ist es noch?«, fragte sie dann an den Schatten gerichtet, der bisher vorgeben hatte, sie nicht zu hören. Mit unwahrscheinlicher Leichtigkeit schritt er über den steil ansteigenden Untergrund und fand stets sicheren Halt, während die beiden Mädchen mehr und mehr stolperten und ins Straucheln gerieten.

      Eine Antwort erhielten sie nicht. So deckte sich wieder Schweigen über ihre kleine Reisegemeinschaft, während Koryphelia versuchte, sich einigermaßen elegant den Vulkan hinaufzubegeben, und die Harethi damit fortfuhr, zwischen Stolpern und Stürzen den Schatten zu mustern. Worüber mochte sie nachdenken? Was sah sie in ihm?

      Schließlich endete der Aufstieg abrupt. Gerade als die Prinzessin befürchtet hatte, würdelos keuchend nach einer Pause bitten zu müssen, verschwand der Schatten einfach hinter einem Felsen. Niemand hätte die Höhle sehen können, bevor sie direkt davorstanden. Vollkommen unauffällig durchbrach sie die zerklüfteten Hänge des Vulkans. Obwohl sie Ausschau gehalten hatte, wäre sie einfach daran vorbeigelaufen, obschon das gähnende Loch doch recht breit war. Man hätte bequem eine Kutsche hineinfahren können. Machairi war zielstrebig hineingetreten und bereits um eine Ecke verschwunden und die beiden Mädchen tauschten einen Blick, bevor sie ihm zögerlich folgten. Koryphelia warf einen sehnsüchtigen Blick zurück, sah die Schönheit der Insel, die sich nun weit unter ihnen erstreckte und einen atemberaubenden Anblick bot, und fragte sich, ob sie jemals wieder Tageslicht erblicken würde. Vielleicht würden sie auf ewig gefangen sein in den dunklen Hallen der Unterwelt.

      Fast enttäuscht war die Prinzessin, dass sie nur durch eine gewöhnliche Höhle liefen. Nichts mutete verdorben oder verflucht an. Es war dunkel und unwegsam und man konnte die Hand vor Augen kaum sehen, aber es fühlte sich nicht bedrohlich an. Zuvor hatte sie die Präsenz der Götter eindeutig spüren können und sie vernahm noch immer den verblassenden Schimmer ihrer Macht um sich herum. Dies konnte nicht schon jenes Tor sein, oder etwa doch? Weil sie große Schwierigkeiten hatte, nicht gegen eine Wand zu laufen, fragte sie jedoch nicht, bis es vor ihnen wieder hell wurde. Tageslicht fiel ihnen vom Ende des Tunnels entgegen. Sie waren nur wenige Minuten gelaufen und verwirrt blickte sie zu Rish, um zu sehen, was die dachte. Auch die Harethi blickte dem Tageslicht skeptisch entgegen und warf einen noch verwirrteren Blick auf den Schatten, der mit unverändertem Tempo die letzten Meter durch die Höhle schritt. Er wandte sich nicht um, überprüfte nicht, ob seine Reisegefährtinnen noch hinter ihm waren, und hatte die Höhle schneller wieder verlassen, als sie es begreifen konnten.

      Hastig eilten Koryphelia und Rish ihm nach, verwirrt und überrascht, und blieben am Ausgang des Tunnels noch verblüffter stehen. Vor ihnen ging es steil nach unten und sie befanden sich in schwindelerregender Höhe über einer rußschwarzen Steinschicht. Über ihnen thronte der Krater des Vulkans und Tageslicht fiel hinein. Staunend betrachteten sie die Muster, die flüssiges Magma in das Gestein des Berges gegraben hatte und das unter jener Steinschicht brodeln musste. Selbst auf die Entfernung glaubte Koryphelia, feurig schimmernde Risse im Schwarz zu sehen, und erschauderte. Dies war doch wohl nicht das Tor zur Unterwelt, oder etwa doch? Einen Sprung dort hinab würden sie ganz sicher nicht überleben. Der Weg in die Unterwelt konnte damit offen sein, wenn man ein entsprechendes Leben gelebt hatte, doch der Weg zurück musste ein Problem darstellen.

      Dann folgte ihr Blick dem Schatten, der bereits mit alter Zielstrebigkeit einen schmalen Pfad entlanglief, der sich vom Ende des Tunnels hinabwand. Kaum zwei Meter konnte er breit