Elin Bedelis

Pyria


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und erwartete, jeden Moment irgendwelche Monster auftauchen zu sehen. Sie hatte mit steinernen Hallen gerechnet. Nicht mit farbloser Steppe. Irgendwie hatte sie nie in Betracht gezogen, dass die Unterwelt tatsächlich eine Welt sein mochte. Wie groß war dieser Ort wohl?

      Zögernd sah sie zurück zu Rish, die sich langsam entspannte und dann von Machairi in eine sitzende Position gezogen wurde. Noch immer schüttelte sie von Zeit zu Zeit ein Zittern, aber langsam kam sie dazu, sich auch einmal umzusehen. Dann sah sie noch unglücklicher aus. Ihre Lippen bebten. Koryphelia zog instinktiv auch die Knie an und schweigend saßen sie beide im Dreck und fragten sich, was nun geschehen sollte. Schwermut übertrug sich von einem zum anderen und zusammen mit ihren schweren Körpern und der hoffnungslosen Taubheit dieses Ortes gab es keinen Grund mehr für Zuversicht.

      Machairi dagegen stand auf und drehte ein Messer durch die Hand. Kurz sah er sich um und schien nach etwas zu suchen. »Los«, sagte er schließlich, die Stimme so unnatürlich perfekt, dass sie nicht an diesen Ort passen wollte – was es noch schrecklicher machte, hier festzusitzen. Es gab nicht einmal einen Torbogen wie auf der anderen Seite, durch den sie hätten gehen können. Wohin sollten sie also los?

      Machairi sah das anders. »Aufstehen«, forderte er in einem etwas schärferen Tonfall. Der war hier noch durchdringender als in der echten Welt, in der sie besser geblieben wären.

      »Warum?«, murmelte die Prinzessin und starrte auf den grauen Boden zwischen ihren Füßen. »Wir sitzen hier fest.« Es war eine grausame Wahrheit und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie es längst gewusst hatte, bevor sie durch die Unendlichkeit gefallen war. Sie hatten die Welt der Sterblichen verlassen. Es gab keinen Weg zurück. »Niemand ist je zurückgekehrt. Es gibt kein Tor von dieser Seite. Also können wir genauso gut hier sitzen bleiben.« Es war nicht üblich für die Prinzessin so schnell aufzugeben, doch dieser Ort wollte nichts anderes zulassen. Er drückte ihr aufs Gemüt und machte jedes Hoffen überflüssig und selbst ihre Stimme monoton.

      »Auf die Füße. Jetzt!«, befahl Machairi und der Griff um das Messer verstärkte sich sichtlich. »Das ist kein Ort zum Sterben.« Hart sah er auf beide hinab und war dabei nicht halb so furchteinflößend für Koryphelia, wie er es sonst gewesen wäre.

      »Wir sind doch schon tot.« Sie schüttelte den Kopf. Warum war ausgerechnet er derjenige, der törichte Hoffnung hegte? Rish sagte nichts. Sie saß starr da und war bereits weit abwesend. Vielleicht war es besser so. Früher oder später verlor man ohnehin den Verstand hier. Je früher man nichts mehr mitbekam von dem Elend, desto besser.

      Der Schatten stieß ein wütendes Geräusch aus und plötzlich saß der weiße Handschuh in Koryphelias Tunika und er riss sie äußerst unsanft auf die Füße. Die Klinge blitzte sogar in der grauen Welt um sie herum. »Muss ich dir ein Muster in die Haut ritzen, oder glaubst du mir, dass du noch sehr lebendig bist?« Der eisige Tonfall hallte durch die vielschichtige Klangwelt dieses Ortes. Eine Spur von Wahnsinn blitzte in den schwarzen Augen und vielleicht hatte sogar er Angst an diesem Ort. Koryphelia schluckte vorsichtig und schüttelte den Kopf. Wer wusste schon, wie viel sie hier fühlen würde? Und wenn er sie zwingen wollte, hatte sie keinen Grund, ihm nicht zu folgen. Viel zu verlieren gab es schließlich nicht, auch wenn sie sich schrecklich träge und mutlos fühlte. Noch einen Augenblick hielt er ihren Blick, bevor er sie losließ und dann wandte er sich an Rish. Wortlos hielt er ihr eine Hand hin und sah sie auffordernd an. Kommentarlos und etwas unwillig ließ auch das andere Mädchen sich auf die Füße ziehen und wirkte fast zu müde, um zu stehen. »Da oben ist unser Tor.« Er deutete gen Himmel. »Je schneller wir hier fertig sind, desto schneller können wir zurück.«

      Zögernd legten beide Mädchen den Kopf in den Nacken. Der Himmel war ebenso farblos wie der Rest der Welt. Fünfzehn Monde hingen über ihren Köpfen mit blassem Licht am Firmament. Bis auf drei waren diese Monde alle verdunkelt, als habe sich ein Schleier über sie gedeckt. Kaum zu erkennen waren sie vor dem grauen Himmel, aber der, auf den Machairi deutete, war erleuchtet und so schön, dass es sich schon fast wie ein Hoffnungsschimmer anfühlte. Natürlich war ein Mond unerreichbar. Wenn die Monde tatsächlich die Tore waren, was angesichts der Anzahl nahelag, war es nicht weiter verwunderlich, dass niemand sie je erreicht hatte.

      »Wie sollen wir die erreichen?«, fragte auch die Harethi leise. Ihre Stimme war ebenfalls viel schöner an diesem Ort, auch wenn sie rau klang. Warum war nur Koryphelias Stimme so eine Katastrophe?

      »Zuerst das Orakel«, war die einzige Antwort. Bestimmt wusste er es selbst nicht. Es war doch ohnehin Zeitverschwendung. Sie sollten sich hier hinsetzen und es nicht versuchen. So würden sie sich wenigstens die Enttäuschung sparen. Hätte Rish sich nicht in Bewegung gesetzt, als der Schatten sich in eine Richtung drehte, um ihm zu folgen, wäre Koryphelia einfach zurück auf den Boden gesunken. Sie wollte allerdings noch viel weniger allein sein, als enttäuscht zu werden. So stapfte sie Machairi hinterher, während Traurigkeit wie Blei an ihren Füßen hing. Verloren …

      Verfolgt

      Die Dinge standen nicht gut. Zwar hatte die bescheuerte Dorfmutter Hilfe für Spítha versprochen, aber es sah leider aus, als sei dem kleinen Drachen nicht mehr zu helfen. Seit Tagen schien er kaum mehr einen klaren Gedanken fassen zu können und wann immer Vica versuchte, dem einst so mächtigen Wesen in den Kopf zu blicken, empfing sie nichts als Chaos. Natürlich lag das auch an der Unfähigkeit aller, die sich als Heiler bezeichneten. Vicas Wut richtete sich auf jeden, der dem kleinen Drachen vergeblich zu helfen versuchte. Sie wusste, dass es ungerecht war, doch sie teilte ein so tiefes Verständnis mit der nicht länger gewaltigen Echse, dass sie es nicht ertragen konnte, dass er ihr unter den Fingern wegstarb. Nun war auch noch Puki bockig und sie fühlte sich schrecklich allein. Man hatte sie in irgendein Zimmer gepfercht und seither lag Puki eingerollt auf dem Kopfkissen und sprang davon, wann immer Vica ihn streicheln wollte. Er nahm ihr übel, dass sie ihn beinahe in dem Besprechungszelt vergessen hatte und ihn dann auch noch äußerst unwirsch fortgescheucht hatte, während sich eine Zhakifrau ohne Stimme um Spítha gekümmert hatte. Stumme waren ein besonderes Rätsel für Vica. Als Blinde charakterisierte sie Menschen hauptsächlich über die Geräusche, die sie machten. Die Stimme war dabei besonders wichtig. Da Stumme offensichtlich keine Stimme hatten, fehlte ihr ein unheimlich entscheidendes Merkmal. Anhand der Ausstrahlung hatte sie noch so gerade schließen können, dass es sich um eine Frau handelte. Im Endeffekt hatte sie es bereut, dass sie Puki vom Tisch geschubst hatte, auf dem Spítha gebettet war, weil sie seine Augen gut hätte gebrauchen können.

      Nun saß sie in diesem verfluchten Zimmer, streichelte den sterbenden Drachen und hatte Streit mit ihrem besten Freund. Als wäre das nicht schon schlimm genug, hatte nun auch noch M vor, sich davonzumachen. Nicht, dass sie Interesse daran gehabt hätte, mit ihm in die Unterwelt zu gehen, aber sie fühlte sich dennoch verraten, dass er sie erst mit auf diese Reise zerrte, um sie dann für den entscheidenden Teil zurückzulassen. Natürlich hatte er hauptsächlich von ihren Fähigkeiten profitieren können, als sie in Om’falo dringend Karten gebraucht hatten, aber es war frustrierend, plötzlich ausrangiert zu sein. Wenn sie sich doch nur hätte einreden können, dass er sie nicht mitnahm, weil er Rücksicht auf ihre Sorge um Spítha nahm, aber so war M leider nicht.

      Missmutig versuchte Vica sich zu beruhigen und zu verstehen, in was für einem Raum sie hier saß. Es war noch immer so ekelhaft warm, aber die wunderbar unberührte Natur direkt in der Nähe war eine herrliche Abwechslung. Theoretisch war auch die Wüste unberührte Natur, aber sie war so leblos gewesen, dass Vica darin keine Schönheit hatte finden können. Die wenigen Tiere, die dort trotzdem lebten, waren ihr entweder nicht begegnet oder so schrecklich unsympathisch gewesen, dass sie sich nicht über sie gefreut hatte. Hier war das anders. Das brummende Leben der Insel hätte die Blinde unter normalen Umständen unheimlich glücklich gemacht. Es war lange her, dass sie einen Fuß in einen Wald gesetzt hatte und noch nie hatte sie einen so vollkommenen Ort wie diesen erlebt. Ganz leicht war es gewesen, die Katze zu finden, die Gina für sie angegriffen hatte. Vielleicht lag es daran, dass die Tiere hier weniger scheu waren. Sie hatten weniger schlechte Erfahrungen mit den Menschen gemacht, schon weil es hier nicht so viele Menschen gab und sie