Elin Bedelis

Pyria


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das Gefühl, dass ihr Titel ihr nicht im Wege zu einer ganz gewöhnlichen Beziehung zu einem anderen Menschen stand. Schließlich war die Faust zu jedem so und hinter ruppigen Gesten und genervten Kommentaren glaubte Koryphelia, eine aufrichtige und gutherzige Person zu erkennen. Es war erfrischend.

      Außerdem war die Faust überraschenderweise eine gute Lehrerin. Sie zeigte Koryphelia, wie sie bestimmten Schlägen am besten ausweichen konnte, verriet ihr Tricks, wie sie ihre mangelnde Stärke ausgleichen konnte, und brachte ihr bei, Angriffe abzuwehren. Viel zu oft machte die Prinzessin Fehler, ärgerte sich darüber und hatte das unfassbare Bedürfnis, in dieser Disziplin Talent zu beweisen. Generell fand sie selbst, dass sie sich für eine allererste Kampferfahrung gar nicht schlecht schlug. Natürlich war sie der Faust hinterher noch immer horrend unterlegen und würde vermutlich auch gegen die meisten anderen Gegner verlieren, was nennenswert an ihrem Selbstvertrauen kratzte. Dennoch musste sie sich auch dafür loben, dass sie es später zumindest schaffte, einigen Schlägen auszuweichen, sich gefährlichen Situationen vorerst zu entwinden und zumindest dazu zu kommen, den ein oder anderen Angriff zu setzen, auch wenn die stets ins Leere trafen. Im Endeffekt hatte Koryphelia das Gefühl, wirklich etwas gelernt zu haben, ob es nun ausreichend war oder nicht.

      Erst als sie einander nicht mehr erkennen konnten, weil sich das dunkle Tuch der Nacht endgültig über die Trainingsfläche gedeckt hatte, hielt die Faust inne. Jenseits des Baches schien das Licht zahlreicher Leuchten vom Dorfe herüber und ließ das dunkle Wasser glitzern. »Gut, das reicht.« Die Silhouette der Faust streckte sich und strich sich den weißen Handschuh wieder über, den sie während der Übung abgelegt hatte. Immerhin war auch sie angestrengt. Ein kleines Gefühl von Triumph erfüllte die Prinzessin, während sie sich aufrichtete und den Dreck aus ihrem Kleid schlug, der sich notgedrungen darin verfangen hatte. Ein Bad wäre nun eine angenehme Abwechslung gewesen. Außerdem war Koryphelia so müde, dass sie sich sehnlichst ein Bett wünschte. Schließlich würde sie ihre Kraft am nächsten Tage wohl brauchen.

      Ein wenig mutete die Stimmung an, als sei sie gerade aus einem höchst skurrilen Traum erwacht, und die Prinzessin schämte sich, so bereitwillig aus ihrer Rolle gefallen zu sein. Diese Menschen sollten kein Umgang für sie sein und ganz sicher sollte sie keine Sympathien für sie hegen. Es änderte nichts daran, dass es ihr gefallen hatte. Was ein unheimlich schlechtes Zeichen hätte sein sollen, fühlte sich nicht wie eines an. Möglichst schnell versuchte sie, in ihre Rolle zurückzufinden, was nur halbwegs gelang. »Nun, vielen Dank für den Unterricht.« Koryphelia straffte die Schultern. Dummerweise war es so dunkel, dass man keine Gesichtsausdrücke mehr ausmachen konnte.

      »Du hast dich gar nicht so dumm angestellt, wie ich erwartet hatte.« Amüsiert schlug die Faust ihr gegen die Schulter, was vermutlich eine freundliche Geste darstellen sollte, allerdings einen dumpfen Schmerz durch ihren Oberarm jagte. Koryphelia war zufrieden mit sich, dass sie die Erwartungen übertroffen hatte. »Vielleicht wäre es trotzdem besser, wenn du vorerst doch nur im Notfall darauf zurückgreifst«, relativierte die Faust dann sogleich.

      »Ich bin ohnehin eine Freundin der Diplomatie anstelle von Gewalt«, versicherte die Prinzessin, während sie über das Brett zurückbalancierten und auf das erleuchtete Dorf zuhielten. Nun in den Abendstunden saßen die Menschen um offene Feuerstellen herum oder tanzten sogar zu sehr rhythmischer Musik. Es war ein fröhliches Bild. Auch wenn alles hier primitiv wirkte, war es doch sehr harmonisch und geradezu makellos. Ein seltsamer Gedanke, besonders wenn sie die Situation vor sich mit Festlichkeiten und feierlichen Anlässen zuhause verglich, das so weit entfernt war und dem sie sich mehr und mehr entfremdete, obwohl sie doch noch gar nicht so lange fort war. Unsinnigerweise war das die größte Angst, die sie mit der Reise verband, die noch vor ihnen lag. Eines nicht allzu fernen Tages würde sie in ihr Leben als Prinzessin zurückkehren und wenn sie sich bis dahin so sehr verändert hatte, wie diese ersten Tage suggerierten, dann würde niemand sie wiedererkennen und es war nicht gesagt, dass sie ihren Weg zurück in ihre Rolle überhaupt selbst finden würde. Alles wehleidige Klagen würde da jedoch keinen Unterschied machen und niemand konnte sie davor bewahren, Machairi in die Unterwelt folgen zu müssen. Wozu verschwendete sie also ihre Zeit?

      Ein offener Flur säumte das Haus, in dem man sie untergebracht hatte, wie eine Veranda und die einzelnen Räume glichen einem Gasthaus. Die Prinzessin fragte sich, ob vielleicht Pilger und Reisende hierherkamen, um den Frieden und die eindeutige Nähe der Götter zu genießen, die hier an jedem Blatt zu haften schien. Eine andere Erklärung hatte sie nicht für ein Gebäude, das eindeutig für Besucher eingerichtet worden war. Nun, da sie wieder im Fackelschein standen, betrachtete das junge Mädchen die Faust genauer. Liebend gern wollte sie fragen, wie sie dazu gekommen war, zu sein, wer sie heute war. Auch wenn man im Schloss nicht viel über den schwarzen Fürsten und seine Schatten herauszufinden vermochte, war ihr klar, dass man nicht einfach so diesen gefürchteten Titel erhielt. Was konnte ein Mädchen, das nicht viel älter war als Koryphelia selbst, dazu gebracht haben, dass sie bereits seit einiger Zeit unter diesen brutalen Menschen waltete? Es war nicht die einzige Frage, die ihr auf der Zunge brannte. Alle ihre Reisebegleiter waren auf ihre eigene Weise von Rätseln umwoben und auch wenn sie nicht alles voneinander zu wissen schienen, fühlte sie sich noch mehr wie ein Außenseiter, weil sie nichts von dem verstand, was sie verband. Schließlich war sie noch nicht dabei gewesen, als sich die Gruppe durch die gnadenlose Wüste von Hareth geschlagen hatte, um sie zu retten. Wie gerne hätte sie sich etwas effektiver angepasst, anstatt diese Menschen in ihren Annahmen zu unterstützen.

      »Nun, ich denke, ich werde mich nun zurückziehen«, sagte sie stattdessen und schenkte der Faust ein verbindliches Lächeln. Etwas auffordernd musterte sie ihr Gegenüber, versuchte noch immer verzweifelt zurückzufinden zum richtigen Verhalten.

      »Was schaust du so?«, fragte die andere skeptisch und ihr Tonfall wurde wieder bissiger. »Du erwartest jetzt nicht ernsthaft einen Knicks von mir, oder?« Etwas bedrohlich funkelte sie sie an und in ihren Augen spiegelte sich das flackernde Licht der Fackel, die am Haus hing.

      Es sah so einschüchternd aus, dass Koryphelia große Probleme hatte, den Kopf gerade zu halten und die Schultern zu straffen. »Ein ›Gute Nacht, Prinzessin‹ würde schon reichen«, gab sie möglich selbstbewusst zurück und schmunzelte. Sie hatte bereits bei ihrer ersten Begegnung im Palast des Sultans von dem Gedanken Abstand genommen, jemals Respekt von einer der Bienen zu erwarten. So waren diese Leute nicht erzogen und sie tat gut daran, sich dessen zu erinnern.

      Schnaubend schüttelte die Faust den Kopf. »Du hast Nerven! Ich hoffe, dass du morgen schrecklichen Muskelkater hast.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, musste allerdings selbst grinsen. »Marsch ins Bett, Prinzessin.« Mit einem letzten Augenrollen wandte sie sich ab und hielt auf eine der Feuerstellen zu. Offenbar war sie noch nicht gewillt, selbst ins Bett zu gehen, aber sie musste ja auch am nächsten Tag nicht in die Unterwelt.

      Doch etwas beleidigt, aber auch ein Stück weit amüsiert, hielt Koryphelia auf ihre Tür zu und verschwand in ihrem Zimmer. Ein richtiges Bad hätte ihr besser gefallen, als sich nur in der Waschschüssel vom Dreck zu befreien. Die Vorstellung, jemanden nach einer Wanne fragen und dafür ihr schrecklich schlechtes Silou verwenden zu müssen, war allerdings so abstoßend, dass sie sich lieber mit den Gegebenheiten arrangierte. Als Prinzessin eines Reiches, in dem sowohl Cizethi als auch Silou gesprochen wurde, hatte sie natürlich auch Unterricht in der Sprache der Zhaki erhalten. Da allerdings selbst die meisten Zhaki mehr und mehr dazu übergingen, die Sprache ihres Heimatkontinents zu sprechen, und ihr Vater die Sprache der Gegner als wichtiger ansah, hatte der Fokus häufiger auf Hack gelegen. Infolgedessen sprach sie das nun so gut, dass sie sich auch über komplexe Themen einigermaßen eloquent unterhalten konnte. In Silou dagegen hatte sie nie die Grundlagen überschritten und war entsprechend nicht besonders erpicht darauf, es anwenden zu müssen. Wie hätte sie auch voraussehen sollen, dass sie jemals an einem Ort wie diesem sein würde, wo insgesamt weder Cizethi noch Hack gesprochen wurde?

      Das Wasser in der Schüssel war kalt. Eine weitere Unannehmlichkeit, mit der sie nicht gerechnet hatte. An Bord des Schiffes war sie schon allzu sehr verwahrlost, da es in diesen Kreisen scheinbar unüblich war, ordentliche Körperpflege zu betreiben. Nach langem Drängen hatte der Kapitän sich jedoch dazu durchgerungen, ihr jeden Tag einen Eimer mit Frischwasser zukommen zu lassen, was von der Besatzung mit einem