Elin Bedelis

Pyria


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ihr jede Abstrusität ausüben könnt, wie es euch beliebt, solange es sich nicht um schwarze Magie handelt. Ansonsten könnt ihr in einem der Häuser unterkommen.« Lächelnd sah sie in die Runde. Irgendetwas an dieser Frau war sonderbar. Ihr Gesicht glänzte leicht, als habe sie besonders stark geschwitzt oder als sei es aus weichem Wachs geformt und sie wirkte auf seltsame Weise unecht. Sie war Leén trotz ihrer Freundlichkeit unheimlich.

      »Abstrusität«, wiederholte Vica und es klang, als schmecke das Wort ekelhaft bitter auf der Zunge. Der Spott, den sie hervorbringen wollte, ging darin unter und man musste sich spontan fragen, wie oft Vica sich schon aufgrund eines Urteils über ihre Fähigkeiten geärgert hatte. Dabei war Leén sich nicht einmal sicher, dass Reolet tatsächlich hatte ausdrücken wollen, dass sie abnormale Magie wirkten. Vielleicht hatte die Frau auch einfach sagen wollen, dass ihr egal war, was sie taten, solange sie es nicht im Dorf taten.

      »Du kannst mit mir kommen«, sagte die Frau ungerührt freundlich und warf einen Blick auf den Drachen, als habe sie den Kommentar der Blinden gar nicht gehört. »Wir werden deinem Drachen sicher helfen können.« Ein schlauer Zug. Für Spíthas Wohl würde sogar Vica ihren Stolz vergessen, so verzweifelt, wie sie zuletzt über seinen Zustand gewesen war. »Katyre wird dem Rest zeigen, wo ihr unterkommen könnt.« Katyre war der Name des kleinen Mädchens gewesen, das sie im Wald gefunden hatte. Hoffentlich wusste das Kind auch, dass es ihnen helfen würde, denn außer Gwyn schien niemand ihre Sprache zu sprechen.

      Vicas Kiefer malmte, aber sie stand auf und hielt den kleinen Drachen sanft fest. »Wo ist mein Stock, Hatschi?«, fragte sie mühsam beherrscht und klang trotzdem noch immer patziger, als Leén es je zustande gebracht hätte.

      Wortlos hob sie den Stock vom Boden auf, reichte ihn Vica und sah zu, wie die Blinde etwas unbeholfen Reolet folgte, während Puki sich aus seiner Rolle löste und ihr hinterherhüpfte. Ob er wohl eifersüchtig war auf den neuen Begleiter, der so viel mehr Aufmerksamkeit bekam als er?

      Damit war die Runde aufgelöst. Die Prinzessin verkündete, dass sie zunächst Quartier beziehen wollte, bevor sie sich irgendeiner Form von Training hingab, und Gina war einverstanden. Obwohl sie nur vom Schiff hierhergekommen waren, schien schrecklich viel passiert und auch Leén hatte das Bedürfnis, sich irgendwo hinzusetzen und die verstörenden Neuigkeiten zu verarbeiten. Leider war sie wohl die Einzige, der das nicht vergönnt war, denn sie hatte nicht vor, ausgerechnet Machairi zu erklären, dass sie erst eine Pause brauchte, bevor sie ihm irgendwohin folgen wollte.

      So fand sie sich wenig später erneut durch den Wald stolpernd wieder, während die anderen von dem kleinen Mädchen in eines der Holzhäuser geführt wurden. Palmwedel hingen ihr ins Gesicht und exotische Pflanzen wanden sich ihren Weg an Bäumen hinauf und umeinander herum. Allerlei sonderbares Getier tummelte sich hier: Erstaunlich große Bienen schwirrten umher, Vögel mit langen Schnäbeln tranken aus Blumenkelchen und einmal glaubte sie sogar ein winziges menschenähnliches Wesen zu sehen, das fast durchsichtig und mit Flügeln ausgestattet hastig davonschwirrte. Vermutlich floh es vor allen Menschen, aber selbst weniger scheue Wesen ergriffen wohl die Flucht vor Machairi. Der Schatten passte nicht hierher. Das Dunkel seiner Kleider und seiner Haare hob sich deutlich von der bunten Umgebung ab und schien doch zwischenzeitlich mit den Schatten zwischen den Pflanzen zu verschmelzen. Die dicken Stämme gewaltiger Bäume führten hinauf zu dichten Blätterkronen und an manchen Stellen drang kaum ein Sonnenstrahl zu ihnen hinab.

      Irgendwann trafen sie auf einen größeren Wasserlauf. Es war hier schon mehr ein Fluss als ein Bach und in vielen kleinen Wasserfällen stürzte er eine Felswand hinab. Es sah hübsch aus und für einen kurzen Moment dachte sie daran, dass man auf der Wiese am Fuße der Fälle ein hervorragendes Picknick hätte veranstalten können. Eine innere Stimme sagte ihr allerdings, dass Machairi kein Picknick mit ihr machen wollte. »Was tun wir hier?«, fragte sie, als Machairi endlich stehen blieb.

      »Du kannst nicht weiter bei Dunkelheit in Ohnmacht fallen«, antwortete er und drehte sich zu ihr. »Ich habe wenig Interesse daran, dich durch die Unterwelt zu tragen.« Spontan wurde sie verlegen. Tatsächlich wäre es ihr unheimlich peinlich gewesen, wenn es so weit käme. Leider wusste sie auch nicht, was sie dagegen tun sollte. Ein Ort, den die Dunkelheit regierte, war sicherlich nicht der beste Aufenthaltsort für jemanden, der beim kleinsten Kontakt das Bewusstsein zu verlieren drohte. »Da Ila es dir nicht rechtzeitig beibringen konnte, wirst du es jetzt üben«, erklärte er dann weiter.

      »Und wie?«, fragte Leén vorsichtig und bekämpfte das Bedürfnis, die Flucht zu ergreifen. Vermutlich hätte sie nicht einmal den Weg zurück zu dem kleinen Dorf gefunden durch das Dickicht des Waldes. Vielleicht war das der Sinn der Sache gewesen, sonst sah sie nämlich keinen Grund hierherzukommen, wenn es doch eine Übungswiese gab. Das Problem, das Leén mit jener Fläche gehabt hätte, wäre höchstens die Möglichkeit, dass Gina und Kory dort auftauchen würden, um selbst zu trainieren, und sie konnte auf Zuschauer verzichten. Besonders wenn die eine ihre spöttischen Bemerkungen kaum zurückhalten würde und die andere bisher noch eine recht gute Meinung von ihr hatte, die man leicht ruinieren konnte.

      »Fall nicht um«, erwiderte Machairi nicht besonders hilfreich und trat auf die Felswand zu. Er schob einige Ranken zur Seite und bevor Leén fragen konnte, riss es sie von den Füßen.

      Finsternis erhob sich über ihr wie eine Decke, drückte auf ihr Gemüt und engte sie ein. Ihr Kopf begann zu schwirren und es pfiff in ihren Ohren, während sie kaum mitbekam, dass sie auf den Boden sank. Drückend und kalt war das Schwarz, das über ihr schwebte, und wie von selbst stieg in ihr das Licht auf, um sich zu wehren. Vertraut war der Schein inzwischen und es wurde hell vor ihren Augen, obwohl sie sie geschlossen hatte. Ebenso plötzlich wie es gekommen war, hörte es auch wieder auf und Leén kauerte keuchend am Boden und versuchte, das taube Gefühl zu vertreiben, das zurückgeblieben war.

      Machairi stand noch immer bei der Wand und musterte sie mit undurchdringlicher Miene. Vermutlich war er enttäuscht, aber er ließ es sich ebenso wenig anmerken wie irgendein anderes Gefühl. Es trug nicht dazu bei, dass Leén sich weniger schämte. »Du kontrollierst deine Magie. Nicht andersherum«, erinnerte er sie und musterte sie genau, als könnte er sie damit zwingen, sich geschickter anzustellen.

      Kurz wollte sie ihm sagen, dass erst die Dunkelheit sie übermannte und dann erst das Licht kam, dass sie keine Kontrolle über die Dunkelheit hatte und dass sie nicht wusste, wie sie gegen etwas stehen konnte, worauf sie keinen Einfluss hatte. Doch sie nahm an, dass er wusste, wovon er sprach, und sie hatte keine Lust, wieder dumm zu sein. Deshalb schluckte sie, nickte und versuchte, sich besser zu wappnen, als er die Ranken ein zweites Mal zur Seite schob.

      Wieder deckte sich die Finsternis über sie und verschleierte ihren Blick. Sie versuchte, die Augen geöffnet zu halten und sich an der Realität festzuhalten, aber ihr wurde buchstäblich schwarz vor Augen. Die Dunkelheit schien in ihren Kopf einzudringen, durch ihre Gedanken zu sickern und alles, was sie versuchen konnte, war das Licht zurückzuhalten, das in ihr aufsteigen und die Schwärze bekämpfen wollte. Ihre Bemühungen blieben fruchtlos. Zwar schaffte sie es eine ganze Weile, das Licht zu deckeln, aber die Dunkelheit wurde nur pressender und sie konnte nichts dagegen tun. Schließlich verlor sie den Kampf gegen das empordrückende Licht und was sich angefühlt hatte wie eine Viertelstunde, konnte kaum mehr als ein paar Sekunden gedauert haben. Sie gab ihren Widerstand auf und Helligkeit stieg auf, um die Dunkelheit fortzudrücken. Es half gegen die Benommenheit in ihrem Kopf, aber die unkontrollierte Magie hielt sie nun voll in ihren Fängen. Wie ein eigener lebendiger Organismus nahm es ihr die Selbstbestimmung und als die Dunkelheit endlich verflog, übergab sie sich ins saftige Gras der Wiese vor ihr.

      Tief durchatmend stützte sie sich im Gras ab und fühlte sich plötzlich schrecklich müde. Krampfhaft hielt sie sich davon ab, zu dem Schatten zu sehen und spuckte noch einmal aus, um den widerlichen Geschmack loszuwerden. »Kann ich es nicht irgendwie davon abhalten, in erster Linie in meinen Kopf zu kommen?«, fragte sie zu wehleidig und setzte sich etwas zurück. Jetzt sah sie doch auf, aber nicht in die bohrenden schwarzen Augen, sondern auf die Ranken, die wieder über dem Stein hingen. »Was ist hinter diesen Ranken?«, wollte sie dann wissen. Was konnte da sein, das so düster war, sich aber von ein paar Ranken aufhalten ließ? Und woher hatte der Dämon gewusst, dass es hier war?

      »Das