Elin Bedelis

Pyria


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alle Aufmerksamkeit, aber Gwyn würde es wohl schaffen, sich selbst eine Treppe hinaufzuschleppen.

      Er erhielt keine Antwort, aber er öffnete die Tür trotzdem. Es war fast unmöglich, Gwyn zum Reden zu bringen, seit er erfolglos um Vergebung gefleht hatte. »Wir steigen jetzt gleich in das Beiboot. Du solltest an Deck gehen«, informierte der Schlossknacker und ignorierte das seltsame Gefühl, das sich aufdrängte.

      Mico fühlte sich unwohl. Er fühlte sich unwohl, weil Gwyn die Beine unter den Körper zog, als er die Stimme erkannte, und konzentriert auf den Boden starrte. Der kleine Zhaki kniete auf dem Boden und nickte stumm, als Mico mit ihm sprach. Immerhin verkniff er sich eine Höflichkeit. Der Magier hatte keine Ahnung, wie er mit der Situation umgehen sollte, und hatte sich entsprechend möglichst von Gwyn ferngehalten, seit sie an Bord des Schiffes waren. Er mochte die braunen Kleider nicht und den unnatürlichen Gehorsam. Keiner von ihnen hatte es ausgesprochen, aber sie waren sich leider sehr einig, dass Gwyn ein Sklave sein musste, um hier bleiben zu dürfen. Micos Sklave. So hatten sie es zumindest verstanden. Es war ein grässlicher Gedanke, zu grässlich, um es an- oder auszusprechen.

      Einen Augenblick verharrte der Schlossknacker in der Tür, versuchte, sich nicht von dem seltsamen Gefühl überwältigen zu lassen, und entschied sich schließlich zu gehen. Es war ohnehin kein Durchkommen zu Gwyn möglich.

      Vica an Deck zu bringen war keine dankbare Aufgabe. Die Blinde hatte nichts als den dreifach verfluchten Drachen im Sinn und hielt das kleine Wesen lieber mit beiden Armen fest, anstatt sich einen Weg zu ertasten. Sowohl das Wiesel auf ihrer Schulter als auch Mico starben tausend Tode bei dem Versuch, sie aus der Kajüte, durch den engen Flur, die Treppe hinauf, über das Deck bis zum Beiboot und in eine sichere Position zu bringen. Nicht, dass es Mico wirklich gekümmert hätte, wenn sich das Mädchen mit der großen Klappe mal ordentlich lang machte, aber er wusste auch, dass etwaige Verletzungen auf ihn zurückfallen würden, und er war schon für genug verantwortlich. Er musste sie ganze vier Mal auffangen, weil sie drohte die Treppe herunterzustürzen, und ihr zu allem Überfluss noch ihren Stab hinterhertragen. Auch in das Boot zu steigen, das noch an Seilen jenseits der Reling hing, stellte sich als ein Kunststück heraus. Selten war er so dankbar gewesen, seines Sehsinns noch mächtig zu sein.

      Die Hatschi kam ihnen zu Hilfe, als sie sah, wie unbeholfen Vica sich bewegte, aber die Blinde fauchte sie so aggressiv an – »Misch dich nicht ein, Hatschi! Ich brauche deine Hilfe nicht!« – dass das Mädchen zurückzuckte und sie in Ruhe ließ. Mico hoffte auch um seinetwillen, dass Gwyn besser früher als später das verlorene Vertrauen zurückerhalten würde. Dann würde endlich wieder der Zhaki die undankbarsten Aufgaben zugeteilt bekommen und Mico konnte sich darauf konzentrieren, was er wirklich tun wollte. Nur um dem Feuerspucker einen Gefallen zu tun, war er noch hier, und weil er Gwyn nicht unbedingt mitschleppen wollte, wenn er eine Reise antrat, die für ihn selbst schon schwer genug werden würde.

      Letzterer betrat das Deck und kniff die Augen zusammen. Nachdem er sich so lange im Dunkel der kleinen Kammer aufgehalten hatte, musste das helle Tageslicht ein Problem sein. Er hatte die Schultern hochgezogen und schaute auf den Boden, um den Blicken auszuweichen. Der einst so fröhliche Gaukler war nicht wiederzuerkennen. Schweigen herrschte, als sie alle gemeinsam an Deck standen (bis auf Vica, die strenggenommen bereits in dem hängenden Boot schaukelte). Seit sie aufgebrochen waren, hatte Mico darauf gewartet, dass sie endlich aufhörten zu nerven. Nachdem sie nun alle nichts mehr sagten, wünschte er sich plötzlich die alte Stimmung zurück. Da hatte er sich immerhin noch effektiv mit jemandem streiten können. Seit Om’falo schien die Gruppe mehr und mehr auseinanderzufallen und die beiden weiteren Mädchen entspannten die Situation nicht. Ihm war bewusst, dass er damit sich selbst widersprach. Besser wurde es dadurch nicht.

      Zu siebt in einem elendig kleinen Boot zu schaukeln, machte das Schweigen nicht erträglicher. Es lag so tief im Wasser, dass er befürchtete, die nächste kleine Welle könnte so viel Wasser ins Boot tragen, dass sie einfach versinken würden. Er wollte nicht wissen, wie Gwyn sich damit fühlte, der nach wie vor eine gesteigerte Abneigung gegen Boote und Wasser hatte und ohnehin neben sich stand.

      Unentschlossen in ihrem Schweigen saßen sie in ihrer Nussschale. Die Prinzessin und die Hatschi tauschten einen verunsicherten Blick und Gina betrachtete ihre Finger so interessiert, als habe sie gerade erst entdeckt, dass sie mehr als nur Fäuste hatte. Vica wippte vor und zurück und streichelte den sterbenden Drachen. In der Annahme, dass Machairi ohnehin nicht rudern würde, fügte sich Mico in sein Schicksal und griff nach einem der Ruder. Gwyn, der als einziger darauf zu brennen schien, seine Anwesenheit mit Nützlichkeit zu rechtfertigen, übernahm das zweite – wobei er genau darauf achtete, ja niemanden anzusehen – und sie ruderten etwas unkoordiniert auf die Küste zu. Es dauerte viel zu lange, weil das Boot so schwer und die Ruderer so wenig routiniert waren. Da er nun mit dem Rücken zur Küste saß, konnte Mico das fruchtbare Land nicht näherkommen sehen. Alles, was er sah, war ihr Schiff, das sie immer weiter zurückließen und er fragte sich, was sie in diesem Paradies suchten. Er war nicht die einzige Person.

      »Was wollen wir eigentlich hier?«, wagte die Hatschi das Schweigen zu brechen, und fühlte sich am anderen Ende des Bootes wohl sicher vor Machairi. Töricht, wenn man wirklich fliegende Messer befürchtete, aber vermutlich schwebte sie in keiner Gefahr. Aus unerkenntlichen Gründen schien der Schatten sie schließlich zu mögen. »Ist das Orakel hier versteckt?«, fragte sie weiter, als ihre Frage in der Luft hängenblieb.

      »Gewissermaßen«, antwortete Cail nach einer kurzen Pause und die Hatschi legte die Stirn in Falten und den Kopf etwas zur Seite, als versuche sie, ihren Blickwinkel zu ändern.

      »Hat Ila nicht gesagt, dass sie dachte, dass das der letzte Ort ist, an den du gehen würdest?«, fragte sie und zitierte ihre ehemalige Gastgeberin, indem sie mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft malte. »Es sieht doch sehr freundlich aus.«

      »Es ist für jeden mit Verstand der letzte Ort, an den man gehen möchte, das ändert auch ein schöner Eingang nicht.« Das war eine erstaunlich ausführliche Antwort. Warum bekam ausgerechnet die Hatschi eine Antwort von ihm, wenn sie fast das neuste Mitglied der Gruppe war? Mico konnte noch immer nicht verstehen, weshalb alle dieses Mädchen so sehr zu mögen schienen. Sie hatte noch nicht viel Gutes mit sich gebracht und er sah kommen, dass es sie alle ins Verderben schicken würde, wenn sie ihr zu nahekamen, spätestens, seit er ahnte, was für eine Fähigkeit sie verbarg. Wollte sie ihnen wirklich weismachen, sie habe nichts davon gewusst?

      Es wurde wieder still im Boot. Was war der letzte Ort, an den Mico gehen wollte? Ihm fielen gleich mehrere ein, die in Frage gekommen wären: das Gefängnis, das sich Magierakademie schimpfte, der tatsächliche Kerker des Schlosses, sein Elternhaus … keines davon lag auf dieser Insel. Was würde Cail als den unangenehmsten Ort der Welt wahrnehmen? Vermutlich irgendeinen, an dem nicht einmal er um ein gewisses Maß von Unterwürfigkeit herumkam … also vielleicht ein Zylontempel? Es wirkte immerhin wie ein wirklich schöner Ort für einen Tempel.

      Das Beiboot stieß in den Sand und Gwyn sprang geradezu hinaus. Er stand noch bis knapp über den Knien im Wasser, aber es schien ihm so unangenehm in dem Boot zu sein, dass nicht einmal das Wasser ihn abschrecken konnte. Es machte den Eindruck, als wollte er fliehen. Mico hatte keine Lust, ins Wasser zu steigen und in nassen Stiefeln über die Insel zu laufen, egal ob sie so nicht weiterkommen würden.

      Gina verdrehte die Augen, als niemand aus dem Boot ausstieg. »Angst vor nassen Füßen, oder was?«, höhnte sie und sprang aus dem Boot. Gegen sie war Vica wirklich eine unheimlich nette Reisegefährtin. Aber mit zwei Personen weniger an Bord lag das Bötchen schon beträchtlich weniger tief im Wasser und sie konnten es noch näher an den Strand schieben. Mico musste einsehen, dass er wohl eine der nächsten Personen sein würde, die aussteigen mussten, und brachte es mit einem Augenrollen hinter sich.

      Wasser drang ihm durch die Hose und in die Schuhe, machte sie schwer und unangenehm zu tragen, aber zu dritt schafften sie es, das Beiboot so nah an Land zu ziehen, dass man mit trockenen Füßen aussteigen konnte. Cail kommentierte das nicht. Elegant landete er auf dem Sand und hielt ohne Umschweife auf den Urwald zu, der sich vor ihnen erhob. Blüten in vielen Rottönen schmückten das Dickicht zu ihren Füßen und saftiges Grün erstreckte sich über ihren Köpfen. Allerlei Geräusche