Elin Bedelis

Pyria


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sympathisch.

      Paradies

      Es gab nicht viele Dinge, die Mico als schön bezeichnete. Der Zauber, den manche Menschen in allem zu sehen schienen, ging meistens an ihm vorbei. Ein Romantiker würde sagen, dass die Schönheit mit Lia aus seinem Leben verschwunden war. Mico hingegen war eher der Ansicht, dass ihm Schönheit schon immer ziemlich egal gewesen war, spätestens jetzt, seit eine riesige Narbe sein Gesicht entstellte. Sie war noch immer recht frisch und schmerzte bei jeder Berührung, und auch die Wunden auf seiner Brust plagten ihn noch, doch es wurde mit jedem Tag besser. Spätestens jetzt konnte er nicht mehr als attraktiv bezeichnet werden, auch wenn er wohl schon vor dem Drachen wohl oder übel bestenfalls durchschnittlich aussehend gewesen war. Sein Interesse an Äußerlichkeiten stellte er hintenan.

      Der Anblick, der sich ihnen nun bot, konnte aber nicht einmal Mico kalt lassen. Vor dem Schiff tat sich eine Küste auf, die die Grenze zum Paradies sein musste. Kristallklares Wasser schlug an weiße Sandstrände und saftiger grüner Wald erstreckte sich jenseits davon. Ein mächtiger Vulkan ragte über der Insel empor und man konnte sehen, dass die Natur von der fruchtbaren Erde prächtig genährt wurde. Es war kaum zu glauben, dass dieser Ort auf der gleichen Welt liegen konnte wie Hareths dürre Wüste und Cecilias karger Norden. Es war schön. Unwirklich schön. Das war kein Platz für Menschen wie die auf diesem Schiff. Sie waren Eindringlinge und sie brachten Probleme mit. Es würde sicher nicht allzu lange dauern, bis die weißen Segel des cecilianischen Verfolgerschiffes am Horizont auftauchten.

      Mico hatte die Streitigkeiten mit dem Prinzen aus sicherer Entfernung beobachtet. Er musste Hareths zukünftigem Monarchen nicht sein nun unverkennbares Gesicht zeigen und er wollte nicht erneut dazu angehalten werden, trotz der Unmöglichkeit Gwyns Platz einzunehmen.

      Zedian hatte ohne weiteren Protest das Beiboot bestiegen, das der Kapitän ihm gerne bereitgestellt hatte. Dass der Mann dem Prinzen nicht die Füße geküsst hatte, war wirklich alles. Man hatte ihm richtig angesehen, wie ihm die Knie weich wurden, als er vor dem Sohn und Erben seines gottgleichen Sultans niedergefallen war. Dagegen war Cails Arroganz mal wieder unbeschreiblich gewesen. Wiederholt konnte Mico sich nicht vorstellen, wie jemand komplett ohne jedes Maß an Unterwürfigkeit durchs Leben kommen konnte – selbst ein Prinz oder eine Prinzessin hatten entsprechende Gesten auszutauschen, wenn sie aufeinander oder auf ihre Eltern trafen. Absolut unmöglich war es schließlich nicht, Machairi zu töten. Trotzdem kam er wieder und wieder damit durch. Vor dem schwarzen Fürsten, vor Prinzen und Prinzessinnen und auch vor jeder anderen Autorität.

      Bald würde sich zeigen, ob sich der angehende Sultan auch noch auf das Spiel des Schattens einlassen würde. Fast hoffte Mico, dass der Mann ihnen weiter folgen würde, um seine Braut zu retten. Es wäre doch ein seltsames Zeichen von Schwäche, den zweifelhaften Ausführungen eines nicht besonders vertrauenerweckenden Fremden zu glauben. Für die Gesundheit ihrer Reisegruppe wäre das allerdings sicherlich besser gewesen und für diese Insel auch.

      Die Vulkaninsel konnte fast als drittes Festland in Pyria gelten. Sie war nicht so groß wie die anderen beiden Kontinente und lag östlich von Hareth, deckte aber dennoch mehr Fläche ab als eine gewöhnliche Insel. Viele Kriege waren bereits um dieses fruchtbare Stück Land geführt worden. Aktuell wurde es von Hareth beansprucht, aber die Harethi machten sich nicht die Mühe, es zu bevölkern. Im Grunde gehörte die Insel den Zhaki, oder einer Art Ursprungsvolk der Zhaki. Das bedeutete nicht, dass sich Cecilia und Hareth nicht darum streiten wollten, wem von ihnen das Vorrecht zustand, aber eigentlich musste allen klar sein, dass es keinem gehören konnte. Die Insel war so friedlich und unberührt, zumindest auf den ersten Blick, dass wohl niemand gewagt hatte, hier Wälder zu roden, Häuser zu bauen und seinen Stempel aufzudrücken. Auch deshalb war es schön. Man wollte schließlich nicht auf einer Insel bauen und investieren, auf der ein aktiver Vulkan brodelte und über die der nächste Krieg nur eine Frage der Zeit war.

      Ohne einen Hafen würden sie das letzte Stück vom Schiff zum Strand mit den verbleibenden zwei Beibooten zurücklegen müssen. Seufzend trat Mico von der Reling und musterte das Deck. Die Hatschi hockte auf einer Treppe und drehte gedankenverloren das Messer in der Hand, das Cail ihr überlassen hatte, die Prinzessin stand in ihrer Nähe und blickte der wundersamen Insel entgegen und Gina hing in der Takelage und bandelte mit einem Matrosen an. Der Rest war unter Deck. Dass der Schatten kein Interesse an dem wundersamen Anblick hatte, überraschte nicht. Vica betrachtete die Schönheit vielleicht aus den Augen eines Tieres oder kümmerte sich noch immer um diesen unsäglichen Drachen und Gwyn schien ohnehin an nichts mehr Interesse zu haben. Mico seufzte ein zweites Mal und stieg die Treppe hinab, um die wenigen Sachen, die er noch hatte, aus der Kajüte zu sammeln. Das schmale Zimmerchen mit Gina zu teilen war ein Albtraum gewesen. Sie war laut, frech und dauerhaft provokant. Eigentlich hatte er sie noch nie einen Satz sagen hören, der nicht in irgendeiner Weise angriffslustig war. Hauptsache, sie verschwand bald und kehrte zu ihrer eigenen Truppe zurück. Die Zeiten, in denen sie ein fester Bestandteil von Machairis Gruppe gewesen war, waren Amila sei Dank vorbei.

      Entnervt stopfte er die Ersatzkleider in den Rucksack. Beides hatte Ila ihm gegeben. Es hatte gutgetan, mal wieder in der Nähe einer Magierin zu sein, und er hätte gerne mehr Zeit in ihrer kleinen Bibliothek verbracht. Die Bücher darin waren unheimlich interessant gewesen, außerdem hatte sogar er die alte Dame gemocht und immerhin hatte sie ihn bestmöglich wieder zusammengeflickt. Er steckte ein kleines Fläschchen mit dem Rest des Schmerzmittels für die heilenden Wunden ein und seine Finger trafen kaltes Metall. Für einen Moment starrte er an die Wand der Kajüte. Seine Finger glitten über das Muster der Brosche, die in der Tasche seines Magiergewandes steckte. Er hatte noch immer nicht verstanden, was genau Cail ihm hatte suggerieren wollen, als er sie ihm zurückgegeben hatte. Mico war die letzte Person, die an die Vergangenheit erinnert werden musste.

      Etwas zu energisch stieß er die Kajütentür auf und lief fast in Cail hinein, der gerade über den Flur ging und stehen blieb, ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte natürlich kommen sehen, dass genau in diesem Moment die Tür auffliegen würde. Nur Mico hatte nicht auf Schritte im Flur gelauscht und wäre vielleicht trotzdem darauf reingefallen, so leise wie der Schatten sich bewegen konnte. »Hol Vica«, sagte Cail, statt Micos Erschrecken zu kommentieren.

      »Kann das nicht Gina machen? Ich wollte gerade Gwyn holen.« Trotzig kickte er die Tür zu und bereute es im nächsten Moment, als er merkte, dass er damit auch das Licht ausgesperrt hatte und er nun mit Machairi im Zwielicht stand.

      Trotzdem konnte er sehen, wie der Blick des Schattens sich verhärtete. »Du kannst ihn meinetwegen an den Haaren durchs Wasser zerren, aber komm nicht ohne Vica zu diesem Boot.« Damit wollte er weitergehen, aber Mico hielt ihn auf.

      »Du hast gesagt, dass ich für ihn verantwortlich bin«, erinnerte Mico und konnte noch immer nicht verstehen, wie Cail so nachhaltig wütend auf den Zhaki sein konnte.

      »Ich habe auch gesagt, dass ich ihn nicht mitnehmen will, und trotzdem ist er hier«, erwiderte Cail mit einer Kälte, die Mico niemals hätte imitieren können. Unwillkürlich trat der Magier ihm aus dem Weg.

      »Du weißt, dass er die letzte Person ist, die dich verraten wollen würde.« Mico seufzte. »Reicht das Schuldgefühl nicht als Strafe?« Es war sinnlos, an ein Gewissen zu appellieren, wenn sein Gegenüber so geübt darin war, seines zu ignorieren.

      »Er hat es trotzdem getan. Was sagt das über den Wert von Vertrauen?« Eine Messerklinge blitzte in der Dunkelheit auf und Mico seufzte. Er spürte, wie der Schatten an ihm vorbeiging, und startete einen letzten Versuch.

      »Hat er nicht eine zweite Chance verdient?«, fragte er ihm etwas lauter hinterher, aber Machairi verschwand nur die Treppe hinauf und würdigte seinen schwachen Versuch nicht mit einer Antwort. Mico wusste genauso gut wie er, dass Gwyn schon mehr als zwei Chancen bekommen hatte. Allein auf dieser Reise hatte er den gleichen Fehler doppelt gemacht und auch im Bienenstock hatte er sich einen ähnlichen Fehltritt erlaubt. Beide Male hatte sein gutes Verhältnis zu dem Messerdämon ihn gerettet. Dieses Mal würde es wohl nicht ausreichen. Seufzend hielt Mico auf die Besenkammer zu und klopfte.