Elin Bedelis

Pyria


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in dem sie ihn nur bohrend musterte, hinzu und drehte sich um. Mico schielte nach links und rechts. Fand noch jemand, dass irgendetwas komisch war? Es war schwer zu sagen. Schweigend und mürrisch folgten sie der Frau in das Zelt, aus dem sie gekommen war. Sie schob die Zeltplane zur Seite und hielt sie fest, während ihre Gäste sich einer nach dem anderen in das Zelt schoben. Tatsächlich waren sie inzwischen eine große Gruppe, das wurde spätestens jetzt deutlich, weil das Zelt unangenehm voll wurde, obwohl es recht geräumig war. Als Gwyn eintrat, schmunzelte Reolet wieder. »Du hättest erwähnen sollen, dass du einen so außergewöhnlichen Jungen bei dir hast. Ich wäre wesentlich leichter zu überzeugen gewesen.«

      Gwyn fuhr zusammen, als er verstand, dass es um ihn ging, und zog den Kopf ein, als schwarze Augen ihn trafen und eisig musterten. Machairi stand mitten im Zelt und schien gewartet zu haben. Ausgestattet war das Zelt für Micos Geschmack etwas zu blumig. Der Boden war hölzern und es standen Bänke im Kreis vor einem bedeutend gemütlicher aussehenden Stuhl - vielleicht war es eine Art Thron. Cail stand direkt daneben und er wollte so gar nicht hierher passen in seinen schwarzen Kleidern. »Ich hätte eher verzichtet.« Der Schatten hatte die Augen nicht länger auf Gwyn gerichtet, sondern musterte nun die ganze Runde.

      Reolet lächelte wissend. »Es muss schon ein Wunder geschehen, dass meine Hilfe überhaupt einen Unterschied macht.« Mit einer Geste deutete sie auf die Bänke. »Du kannst sie aber unmöglich alle mitnehmen wollen.« Fragend sah sie Machairi an, während sie endlich die Zeltplane losließ und zwischen gestreuten Blütenblättern hindurch weiter in den Raum trat.

      Bevor Machairi dazu kam zu antworten, platzte Ginas Geduldblase und sie fuhr dazwischen. »Ich glaub’s nicht! Jetzt weiß schon die verrückte Urwaldtante, was hier läuft?« Wütend funkelte sie Machairi an und schob den Unterkiefer vor. »Du erklärst mir jetzt, was hier vorgeht, oder ich nehme deine dumme Nussschale und fahre nach Hause!«

      »Niemand hat dich gebeten, mitzukommen, Gina«, erinnerte Cail ruhig und musterte sie gleichgültig. »Das Schiff bleibt hier«, fügte er jedoch hinzu und schien die Diskussion damit beenden zu wollen.

      Die Faust stampfte in den Kreis der Bänke, auf dem sich der Rest von ihnen stillschweigend niedergelassen hatte, und trat direkt vor den Messerdämon. Das wütende Funkeln in ihren Augen hätte jeden anderen mit Verstand wenigstens ein paar Schritte zurückweichen lassen, aber natürlich begegnete Machairi ihr mit kalter Ruhe. Sie griff nach seinem Kragen. »Du bist ein unglaubliches Arschloch, weißt du das?«, fauchte sie und schien sehr bereit, auf ihn einzuschlagen.

      Er reagierte nicht, wich nicht einmal aus und ließ zu, dass sie die Finger im dunklen Stoff vergrub. Eisig und strafend sah er auf den kleineren Schatten hinab und plötzlich wirkte es wesentlich dunkler im eigentlich so übertrieben freundlichen Raum. Mico sah das Blitzen einer silbernen Messerklinge in beiden Handschuhen, aber Machairi regte sich nicht.

      Einen Moment war die Szene wie gefroren, dann löste die Faust den eigenen weißen Handschuh aus dem dunklen Stoff und trat einen halben Schritt zurück. »Wohin geht diese bescheuerte Reise?«, fragte sie noch einmal, weiterhin wütend, aber nicht mehr kochend genug, um sich noch ein zweites Mal so weit vorzuwagen. »Du kannst nicht erwarten, dass dir alle weiterhin blind hinterherrennen.«

      Die Faust sprach Mico aus der Seele und nicht nur ihm, das konnte er sehen. Seufzend stützte er die Arme auf die Knie und musterte die Runde. »Sie hat recht«, sagte er so ruhig und verbindlich er konnte. »Wir sind immer noch hier und viel schlimmer kann die Reise eigentlich nicht werden. Es ist kaum jemand hier, an den wir dich verraten könnten. Was schadet es dir, uns einfach zu sagen, was wir hier tun?«, fragte er vorsichtig und hoffte, dass er im Zweifel den Rückhalt der Gruppe hatte. Bei dem Wort verraten, schienen alle Blicke kurz zu Gwyn zu zucken, der möglichst unauffällig am äußersten Ende der Bank hockte und den Boden anstarrte.

      Die Hatschi räusperte sich, als es still wurde und Mico Machairis eisige Stille kaum noch ertragen konnte, obwohl seine schwarzen Augen weiterhin die Faust ansahen. »Suchen wir noch nach diesem Orakel?«, fragte die Hatschi ganz leise, die Schultern hochgezogen und scheu, als befürchte sie, dass im nächsten Moment ein Messer auf sie fliegen würde.

      Kurz war es still. Das geschäftige Treiben des Dorfes drang durch die Zeltwand und durchbrach die angespannte Stille im Inneren auf unwirkliche Art. »Er weiß, wo es ist«, sagte Vica, die Hände um den Drachen gelegt und die leeren Augen in die Richtung des Schattens gerichtet.

      »Wo ist es?«, fragte Koryphelia, die sich etwas unbeholfen in die Gruppe einfügte, aber genauso von der Spannung beeinträchtigt war. Alle Blicke lagen nun erwartungsvoll auf dem Schatten und vielleicht fühlte zur Abwechslung einmal er sich bohrend gemustert.

      Seine klare Stimme durchschnitt die Spannung in der Luft und fuhr durch Mark und Bein, als er endlich antwortete und damit doch nichts besser machte. »Es ist in der Unterwelt.«

      Ein Funke Menschlichkeit

      Bleischwer hing die Antwort in der Luft. Unterwelt. Für einen Moment fragte sich Leén erneut, ob sie wirklich daran glaubte. Es klang noch immer so … unglaublich. Konnte sich tatsächlich ein sagenumwobenes Artefakt in den grausigsten Tiefen aller Welten verstecken? Wie war es dort hingelangt? War es dort nicht vielleicht sogar … sicher?

      Am Anfang ihrer Reise – es schien Jahre her zu sein – hatte Gwyn ihr erklärt, dass sie das Orakel suchten, damit es niemand sonst fand und einen neuen Krieg damit anfangen konnte. Die Könige dieser Welt hätten die Beantwortung einer Frage genutzt, um einander zu zerstören. Das hatte einleuchtend geklungen. Auch, dass der Zustand der Bienen ein guter Indikator dafür war, wie es dem Land oder der Welt ging, hatte irgendwie Sinn ergeben. Doch nun? Wenn das allwissende Orakel in der Unterwelt verborgen war, war es doch keine Gefahr, oder etwa doch? Wenn Ebos selbst es hätte benutzen können, wäre es doch längst so weit gekommen, und für die Menschen war es vollkommen außer Reichweite. Nein, sie konnte keinen guten Grund sehen, wieso sie es zurück in die sterbliche Welt bringen sollten.

      Zurückbringen. Das klang zuversichtlich, dabei war Leén alles andere als zuversichtlich. Eigentlich schüttelte sich ihr Innerstes allein bei der Vorstellung eines Ortes, der der Inbegriff des Leidens und der Schlechtigkeit war. Der Gedanke, hinabzugehen, wenn es denn einen Weg gab, nur um ein Artefakt zu holen, das besser aufgehoben war, wo es jetzt war … das Licht selbst schien sich zusammenzukrampfen. So wahnsinnig konnte doch nicht einmal der Messerdämon sein, oder?

      Da war sie wieder: die Furcht, dass die Gerüchte über Machairi vielleicht doch der Wahrheit entsprachen. Was, wenn er wirklich dunklen Mächten entstiegen war? Gerade erschien nichts unmöglich.

      »Ich bin nicht sicher, ob ich lachen oder dich erschlagen möchte«, sagte Gina und warf die roten Locken zurück. »Wenn es da ist, ist es ohnehin verloren. Wir können in aller Seelenruhe nach Hause fahren und den Bienenstock wieder einigermaßen unter Kontrolle bringen. Ich wette, es läuft längst alles aus dem Ruder.«

      Vica schnaubte und wiegte Spítha in ihren Händen. » Sind die Tore nicht ohnehin schon seit ein paar hundert Jahren zu?«, fragte sie und schob sich weiter unter ihre Kapuze. Von der Seite konnte Leén ihr Gesicht dadurch nicht sehen, aber sie glaubte, Angst in der Stimme der Naturistin mitschwingen zu hören. Das war viel wert, weil sich ihr eigenes Herz noch immer nicht beruhigen konnte. Immerhin verstand sie nun, weshalb der Schatten nichts gesagt hatte. Er hatte kaum mit Zuspruch rechnen können und unwissend beleidigt war die Gruppe bestimmt einfacher zu manipulieren als wissend und von Angst geplagt.

      Korys Blick war ins Nichts geschweift und sie saß stocksteif auf der Bank, was nicht nur ihrer unnatürlich geraden Haltung geschuldet war. Es machte die grausige Angst ertragbarer, wenn man sah, wie auch die anderen erschauderten bei dem Gedanken. Micos abgrundtiefe Abscheu war auf seine Züge zurückgekehrt und Leén erinnerte sich daran, dass er als Magier und als Cecilian vermutlich der Gläubigste von ihnen war. »Ungeachtet der Sage, dass es noch offene Tore geben soll … selbst wenn sich hier eines befindet, hast du nicht vor, uns alle da runter zu zwingen, oder?« Der Cecilian hatte die