Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


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unterbrochen. Er schüttelte vor Grauen den Kopf.

      Langsam löste sich die Anspannung. Er atmete geräuschvoll aus, als müsse er sich von einem Albtraum erholen.

      Tausend Gedanken quälten ihn.

      Es war nicht leicht, in dem Tohuwabohu Ordnung zu schaffen. Schließlich griff er nach seinem Smartphone und öffnete die Terminkalender-App:

       - Montag – Dienstag: Dependance Paris

      - Mittwoch – Sonntag: Olbia / Sardinien

       Paris und das Treffen mit seinen Freunden auf Sardinien versprachen Abwechslung und Erholung.

      »Diese Woche gefällt mir«, flüsterte er.

      Er entschloss sich, noch am selben Tag nach Paris zu fliegen. Jedenfalls eine bessere Alternative, als in diesem Haus zu bleiben.

      Die Koffer waren schnell gepackt. Als er sie über die Wendeltreppe schleppte, hielt er ständig nach Mathilde Ausschau. Behutsam setzte er jeden Schritt, um kein Geräusch zu verursachen.

      *

      Er schlich sich wie ein Dieb aus seinem Haus. Kopfschüttelnd ging er auf die Eingangstür zu, an den zahlreichen Jagdtrophäen seiner Frau vorüber, die ihn von den Wänden mit toten Augen anglotzten.

      Daneben hingen unzähligen Urkunden, auf denen häufig ›Platz 1‹ mit Mathildes Namen vermerkt war. Sie ließ keinen Schießwettbewerb aus und belegte regelmäßig einen der vorderen Ränge.

      Klug konnte dieser Leidenschaft nichts abgewinnen.

      Behutsam zog er die Tür zu und atmete die nach feuchter Erde und Moder riechende Luft ein. Er entriegelte den Kofferraum und warf sein Gepäck hinein, als ob er sich damit von einer drückenden Last befreien könnte.

      Klugs Wagen rollte an der großen Eiche vorüber, die nahe an der Einfahrt stand. Deutlich war das Knacken der Eicheln zu hören, die unter den Reifen zermalmt wurden. Ein Eichhörnchen flüchtete erschrocken auf den knorrigen Baum.

      Er verließ sein Grundstück Richtung Wiesbadener Innenstadt, wo er den Wagen in der Theatergarage parkte.

      Ein Blick auf die Uhr ließ ihn zufrieden nicken.

      Im Vorgarten des Kaffeehauses Blum bestellte er ein üppiges Frühstück. Das hatte er sich nach den Ereignissen an diesem Morgen verdient.

      Während er auf seinen zweiten Kaffee wartete, zog er den zerknitterten Zettel aus der Hosentasche und schoss ein Foto, das er seiner Sekretärin mailte.

      Keine zwei Minuten später summte sein Mobile.

      »Guten Morgen Herr Klug. Sie haben mir eine Nachricht geschickt … «

      »... Ja – habe total darauf vergessen«, unterbrach er seine Sekretärin. »Dieser Wisch klemmte vor Wochen hinter dem Scheibenwischer. An das genaue Datum erinnere ich mich nicht …«

      »Herr Klug, eine ähnliche Botschaft habe ich vor ungefähr drei Monaten dem Sicherheitsdienst übergeben. Sie war an Sie adressiert. Den genauen Wortlaut habe ich nicht mehr im Kopf. Nachdem es sich um eine einzelne Nachricht gehandelt hat, haben wir dem Vorfall keine besondere Bedeutung beigemessen. Dieses zweite Schreiben ändert alles: Wir müssen aktiv werden.«

      »Es gab eine ähnliche Forderung in der Vergangenheit? In derselben Höhe? War in der ersten eine Währung angegeben, bzw. wohin das Geld überwiesen werden sollte?«

      »Wie erwähnt, ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, jedenfalls glich der Zettel dem Ihren.«

      »Gut, dann übergeben Sie die Kopie unserem Sicherheitsdienst und er soll die nötigen Schritte einleiten. – Weil ich Sie gerade am Telefon habe: Darf ich Sie am Wochenende missbrauchen und Sie bitten, mir einen Flug nach Paris zu buchen«, bat er sie mit amikalen Unterton.

      »Einen Flug nach Paris? Der ist doch für Montagmorgen gebucht. Oder wollen Sie umbuchen? – Noch heute?«

      »Ja. Bitte den Nächstmöglichen. Wären Sie so nett? Und verständigen Sie meine Frau, oder ...«

      Er stockte.

      »Selbstverständlich. Probleme? … Ich wollte sagen: Kein Problem. Sie hören in Kürze von mir.«

      »Danke.«

      Klug streifte sein Sakko ab und reckte die Nase in die Sonne. Immer wieder spulte er kopfschüttelnd die Szenen von heute Morgen vor seinem inneren Auge ab. Er suchte nach dem Warum, Weshalb, Weswegen, fand jedoch keine Erklärung dafür.

      Die Scheidung war längst überfällig.

      Auch der Erpresserbrief erfüllte ihn mit Sorge. Hatte vielleicht Mathilde den Brief geschrieben? Plante sie bereits die Trennung? Wollte sie sich auf diese Art und Weise einen größeren Anteil von ihrem gemeinsamen Vermögen sichern?

      Im nächsten Augenblick verscheuchte er die Bilder seiner Gemahlin aus dem Kopf und ersetzte sie durch die seines vermissten Freundes René Delon.

      Er war erst vor wenigen Wochen im Mittelmeer auf rätselhafte Weise verschwunden. Seine feudale Jacht, ausgestattet mit den modernsten Instrumenten, fand man vor Korsikas Küste am offenen Meer treibend. Von René fehlte jede Spur.

      Hatte sein Freund einen Erpresserbrief erwähnt?

      Klug konnte sich nicht daran erinnern.

      Er weigerte sich, die Möglichkeit in Gedanken durchzuspielen, und nahm sich vor, den Erpressungsversuch auf Sardinien anzusprechen. Vielleicht wussten seine Freunde mehr, wussten Näheres über das Verschwinden des erfahrenen Skippers.

      Das Mobile summte erneut.

      »Herr Klug, Ihr Flug nach Paris geht um 14 Uhr. Das Ticket liegt am Schalter der Air France. Mit Ihrer Frau habe ich ebenfalls gesprochen. Sie meinte, das träfe sich gut, weil sie zur Jagd aufgebrochen ist und erst … «

      »... Vielen Dank, Sie sind ein Engel. Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende.«

      Gerhard Klug wischte über das Display und blickte auf die Uhr.

      Genügend Zeit. Keine Eile.

      Er drückte auf eine Telefonnummer aus seinem Kurzwahlspeicher.

      »Claire, Cherie, Überraschung! Ich fliege bereits heute nach Paris und komme gegen drei Uhr mit der Air-France-Maschine aus Frankfurt an … «

      »... mais c’est une joyeuse surprise! In welchem Hotel logierst du?«

      »Ich hatte einen miesen Tag. Könnte ich bei dir …«

      »Juhu ... exzellente. Ich hole dich vom Flughafen ab.«

      »Ich freue mich, Treffpunkt wie immer. Bis später … à plus tard bisous.«

      »Küsschen retour.«

      Die Verbindung wurde unterbrochen. Er liebte ihren französischen Akzent. Es war, als würde er in ein anderes Universum versetzt, fernab von dem Alltagsstress, wo er seine Seele baumeln lassen konnte. Eine Welt, in der ihn kein Termin trieb, in der gesellschaftlicher Zwang zu einem Fremdwort degradiert wurde.

      Er strahlte über das ganze Gesicht. Seine Augen funkelten gütig.

      Klug schaute auf sein Smartphone; biss sich auf die Unterlippe. Nach kurzem Zögern tippte er auf ›Kanzlei Thurner & Partner‹.

      Sein Freund meldete sich.

      »David, Gerhard spricht. Gut dass du im Lande bist. Reichst du bitte die Scheidung ein.«

      »Ist es endlich so weit?«, fragte der Rechtsanwalt.

      »Ja.«

      »Gute Entscheidung.«

      »Wir treffen uns, wenn ich zurück bin.«

      »Melde dich.«

      Klug