Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


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      Das emporlodernde Feuer auf der linken Seite des Fliegers schwoll an und tauchte die Silhouette des Wracks in ein beklemmendes Licht.

      Die Menschen schrien vor Angst.

      Immer mehr Hilfskräfte trafen ein. Feuerwehrleute stießen die Türen der Seitenwände ihrer Fahrzeuge auf und zogen schier endlos lange Schläuche hervor.

      Peters Instinkt befahl ihm, zu helfen. Er wollte losstürmen, doch Sarah und ein Sicherheitsbeamter rissen ihn zurück.

      Gerade rechtzeitig!

      *

      Noch bevor der Befehl ›Wasser marsch‹ gegeben werden konnte, erschütterte eine ohrenbetäubende Explosion den Unfallort.

      Ein enormer Feuerball schoss in den Himmel. Brennende Kerosinzungen wirbelten durch den Äther. Sie tanzten zu Boden und steckten an zahlreichen Stellen die Wiese in Brand. Die ungeheure Detonation hatte das Triebwerk zerrissen. Die Druckwelle schleuderte Passagiere wie Spielzeugpuppen von den Notrutschen.

      Schmerzensschreie gellten aus allen Richtungen. Im nächsten Augenblick knickte das linke Fahrwerk ein und das Flugzeug sackte zu Boden. Wie eine satte Robbe auf einer Eisscholle lag es da. Funken stoben durch die vor Hitze flirrende Luft, als hätte man ein riesengroßes Holzscheit in ein Lagerfeuer geworfen.

      Viele der Passagiere, die es nicht weit genug weg von der Unglücksmaschine geschafft hatten, brannten lichterloh. Sie irrten als lebende Fackeln umher oder wälzten sich auf der dünnen Schneeschicht. Einige lagen bewusstlos im hohen Gras. Die glühend heiße Druckwelle hatte selbst weit entfernte Personen, zu Boden geschleudert. Trümmer schossen durch die Luft.

      Schmerzschreie vermischten sich mit dem Singsang der unterschiedlichsten Martinshörner.

      Der Geruch von verbranntem Fleisch legte sich wie ein Leichentuch über den Unfallort. Aschenschmetterlinge tanzten vom Himmel, vermengten sich mit dem Schnee und überzogen das hohe Gras mit düsterem Dunkelgrau.

      Die Druckwelle hatte eine schwere Plastikplane von einem Einsatzwagen gerissen. Sie traf Peter mit voller Wucht, riss ihn zu Boden und begrub ihn unter sich. Holzinger krümmte sich auf der Wiese. Bemüht, die Beine anzuziehen.

      Eine Feuersbrunst schien in seiner Lunge zu lodern. Er atmete flach. Der beißende Geruch des Kerosins hatte sich in seinem ausgetrockneten Rachen festgesetzt. Seine Ohren dröhnten, als wäre er zu Neujahr unter der zwanzig Tonnen schweren Pummerin gestanden. Er zwang sich, seine schmerzenden Augen zu öffnen. Völlige Dunkelheit umgab ihn. Er zerrte an der sperrigen Plane. Schließlich gelang es ihm, sich darunter hervorzurollen und stieß an einen glänzenden Helm, der vor seiner Nase im Gras lag. Daneben kauerte – auf allen vieren – ein hustender Feuerwehrmann, der wie ein gestrandeter Fisch mühsam nach Luft schnappte.

      Vereinzelt eilten Schatten an ihnen vorüber, ohne sich um sie zu kümmern.

      Peter lag noch immer im feuchtkalten Gras, hob seinen zentnerschweren Kopf und drehte ihn zur anderen Seite. Seine Kollegin lag regungslos am schneebedeckten Boden. Ihre Haare standen wie Tintenfischtentakel ab, wie dürre, entlaubte Äste eines toten Gestrüpps, ihre Augen geschlossen. Blut rann über ihre Stirn. Neben ihr dampfte ein heißes, deformiertes Metallteil. Von ihrem Rücken züngelten Flammen.

      »Sarah!«, stieß Peter röchelnd hervor. »Bist du okay?«

      Er wartete vergeblich auf eine Antwort.

      3

      Er stand am Balkon seiner King-Corner-Presidential-Suite im obersten Stockwerk des im Art-Déco-Stil der goldenen 1920er Jahre gestalteten Hilton Plazas. Sein linker Arm hielt seine Steppjacke vor der Brust geschlossen. Der eisige Wind trieb unentwegt dicke Schneeflocken an seiner Nase vorüber. Hin und wieder blieb eine an seiner Hornbrille kleben. Von der dreispurigen Straße unter ihm drang die eintönige Klangwolke des Abendverkehrs an sein Ohr.

      Er ließ seinen Blick der beleuchteten Ringstraße entlang schweifen. Eine dünne Schneeschicht überdeckte die welken Blätter der Kastanienbäume im Rinnsal. Hinter den dürren Ästen der Baumwipfel erspähte er die markante Kuppel der Universität, die von der Turmspitze des Rathauses überragt wurde.

      Er liebte diese alte Kaiserstadt mit ihren zahlreichen Jugendstil- und Prachtbauten, den verwinkelten Gassen und ihren raunzenden Bewohnern. Seit Jahren hegte er den Gedanken, in dieser Stadt eine Immobilie zu kaufen. Heute war dieser Traum wahr geworden: Eine alte, leer stehende Villa mit Penthouse.

      Craig Morrison zog ein letztes Mal an seiner Zigarre, schnipste den Stummel in den Aschenbecher und begab sich zurück in die feudale Suite. Er streifte seine Jacke ab und warf sie über die Stuhllehne.

      Gestern Nachmittag war er aus dem heißen Abu Dhabi angereist. Für ihn ein willkommener Temperaturunterschied von 30 Grad.

      Im Geiste ging er die Agenda des bevorstehenden Symposiums durch, das von ihm als einem der Chairmen des Economy-Clubs organisiert worden war. An den nächsten beiden Tagen erwartete er im 20 km entfernten Schloss Laxenburg zahlreiche Wirtschaftsbosse aus allen Teilen der Welt.

      Morgen – um zehn Uhr – stand das Meeting mit der Polizei, Abteilung Personenschutz am Plan.

      Diesmal hatten seine Freunde und er ihre Familien, insbesondere ihre Kinder eingeladen; ein lieb gewordenes Ritual, wenn sie ihre Kongresse in sehenswerten Städten abhielten.

      Sein Sohn und seine Schwiegertochter, die sich zurzeit auf Hochzeitsreise quer durch Europa befanden, hatten ihre Route entsprechend geplant. Am gestrigen Abend speiste er gemeinsam mit ihnen im Restaurant Émile. Sie berichteten von Athen, Paris, Rom, Florenz und Verona.

      »Unsere nächsten Ziele sind Budapest, das kohleverstromende Warschau und Berlin«, hatte Edith wiederholt erwähnt.

      Craig hatte die Augen verdreht, weil er befürchtete, dass sie wieder ihr Lieblingsthema ›Umweltschutz‹ strapazieren würde. Er kannte ihre Ansichten, und was für ihr Dafürhalten die Politik unternehmen müsse, um unseren Planeten zu retten. Ihre stereotypen Argumente zerstörten in Kürze jeden Plausch, denn Gegenargumente ließ sie nicht gelten. Auf diesem Ohr war sie taub.

      In solchen Situationen wäre es Christians Aufgabe gewesen, das Gespräch zu übernehmen. Doch sein Sohn ignorierte die vorwurfsvollen Blicke seines Vaters und überließ seiner puppenhaften Frau das Reden.

      Craig beugte sich in ihre Richtung, und fixierte sie mit seinen eisblauen Augen.

      »Edith, bitte keine Vorträge. Wir kennen deinen Standpunkt. Erzählt mir lieber, was ihr in Wien vorhabt.«

      Sein Ton war freundlich, enthielt aber genug Schärfe, um ihr Thema im Keim zu ersticken.

      Christian kannte diesen Unterton nur zu gut. Besänftigend strich er seiner Gemahlin über den Rücken, als wollte er eine knurrende Hündin beruhigen und erzählte bereitwillig von ihren weiteren Plänen.

      Morrison lehnte sich zurück, ohne auf die einzelnen Worte zu achten, und musterte die beiden. ›Was für ein ungleiches Paar‹, sinnierte er. Vor Craigs geistigem Auge zogen die Erinnerungen an die Hochzeit in Las Vegas vorüber: Wenig Familie, dafür umso mehr jugendliche Freunde des Brautpaares, die ständig mit ihren Smartphones beschäftigt waren. Die verbale Unterhaltung schien auf ein Minimum reduziert gewesen zu sein. Und wenn die jungen Gäste miteinander sprachen, benützten sie ein Vokabular, dem er nur schwer folgen konnte.

      Erst vor einem Jahr hatte sich das Brautpaar näher kennengelernt. Gemeinsam studierten sie an der Yale-Universität Chemie. Nachdem beide ihre Studien erfolgreich abgeschlossen hatten, planten sie sofort ihre Hochzeit. Gegen Craigs Willen. Zu Beginn nahm er an, dass die Geliebte seines Sohnes schwanger war, aber diese Vermutung stellte sich als Irrtum heraus.

      Erfolglos bot er den beiden gut dotierte Jobs in seinem Agrarunternehmen an. Damit wollte er ihre Heiratspläne durchkreuzen, oder die Vermählung hinauszögern. Er hoffte, Zeit zu gewinnen, in