Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


Скачать книгу

wollten sie um die Welt reisen, die unterschiedlichsten Kulturen kennen lernen, um die Zusammenhänge zu verstehen, warum die Gesellschaften so sind, wie sie sind.

      Die konträren Denkweisen der beiden prallten wie stählerne Bocciakugeln aufeinander. Keiner war bereit, auf sein Gegenüber einzugehen.

      *

      Gestern Abend waren ihre Gespräche gestelzt und abblockend gewesen, jeder Satz eine Landmine, die drohte, bei der geringsten Berührung zu explodieren. Craig war erleichtert, als sich die beiden in ihre Suite zurückzogen und er sich an der Bar einen Whiskey genehmigen konnte, ohne dass ihn jemand scheel ansah.

      »Wunderschönen guten Abend, Herr Morrison«, begrüßte ihn gestern der Barkeeper. »Heute solo?«

      »Hi Gerard. Ja, bin alleine.« Er kletterte auf den Barhocker, spreizte die Beine und stützte den Kopf auf die Faust. »Mein Sohn ist mit seiner Frau auf das Zimmer gegangen.«

      »Schön zu hören, dass Sie von Ihrer Familie begleitet werden.«

      Craig nickte seufzend, und ließ seinen Blick an den aufgereihten Flaschen hinter der Theke entlang gleiten.

      »Bourbon?«, fragte Gerard.

      Morrison schob die Unterlippe vor und drehte die Handfläche nach oben.

      »On the Rocks? – Wie immer?«

      Der Amerikaner nickte.

      Routiniert angelte sich der Bartender ein Whiskeyglas aus dem Regal und ließ die Eiswürfel polternd hineinfallen. »Jack-Daniel’s oder Four-Roses?«

      Morrison zeigte auf die viereckige Flasche. Gerard goss den sämigen Whiskey mit einer theatralischen Armbewegung ins Glas, weit mehr als die Markierung vorsah.

      »Cheers«, wünschte der Barkeeper und schob ihm das Getränk auf einem Untersetzer zu.

      »Thanks.« Craig schaute auf den Whiskey und schenkte Gerard ein breites Lächeln.

      »Steht morgen ein anstrengender Tag bevor?«

      Morrison zuckte mit den Achseln.

      »Ah, verstehe ... Familie …«

      Diesmal drehte Craig beide Handflächen nach oben und presste die Lippen zusammen.

      »Dann wünsche ich Ihnen einen erquicklichen Aufenthalt.«

      Gestern war Gerard eindeutig der angenehmere Gesprächspartner.

      *

      Craig verdrängte seine Erinnerungen. Im Zimmer war es dunkel geworden. Er knipste die Stehlampe in der Ecke an. Gedämpftes Licht erhellte den Raum. Sein Hungergefühl meldete sich mit Nachdruck. Er schaute auf die Uhr. Erst in einer Stunde war er mit seinen Freunden zum Dinner verabredet.

      Auf dem kleinen Tisch erblickte er die Fernbedienung für den Fernsehapparat. Er drückte den Einschaltknopf. Im nächsten Augenblick zeigte der Bildschirm ein brennendes Flugzeug. In der rechten oberen Ecke prangte das Wort ›LIVE‹. Die attraktive Reporterin mit ihrem blonden Ponyhaarschnitt erklärte, was gegen 18:00 Uhr am Vienna-Airport passiert war.

      »... leider liegen uns noch keine Einzelheiten zum Absturz vor, aber wir bemühen uns, Sie so schnell wie möglich zu informieren ...«, hörte er, während das Insert ›Claudia Bigler, KURIER TV – Flughafen Wien Schwechat‹, eingeblendet wurde.

      Morrisons Neugier war geweckt. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er die Berichterstattung, doch seine Deutschkenntnisse reichten nicht. Er zappte weiter, Sender um Sender, auf der Suche nach dem Euronews-Kanal in englischer Sprache.

      Endlich: Sendeplatz 54.

      Am unteren Rand des Bildschirms leuchtete ein breiter roter Balken mit weißer Schrift: ›BREAKING NEWS‹, daneben ›Live: Airplane Crash – Vienna-Airport.‹

      Eine Passagiermaschine hatte am späteren Nachmittag eine Bruchlandung erlitten, berichtete der Sprecher. In Großaufnahme sah man Flammen aus dem Wrack schlagen. Die Feuerwehren sprühten unentwegt Löschschaum auf das demolierte Flugzeug.

      Hin und wieder entfernte sich ein Rettungswagen mit Blaulicht, während andere zur Unfallstelle rasten.

      Steif setzte sich Craig an das Fußende des Bettes und verfolgte gebannt den Bericht. Die Maschine war bei der Landung, aus Amsterdam kommend, verunglückt. Über den genauen Grund konnte man zu diesem Zeitpunkt nur spekulieren.

      ›Wollte nicht Hajo heute aus den Niederlanden anreisen?‹, schoss es Craig durch den Kopf. Sein rechtes Bein wippte unentwegt. ›Voss wird doch nicht in dem Flugzeug gesessen sein?‹

      »... es sind zahlreiche Verletzte zu beklagen. Vielleicht sogar Tote. Über die Anzahl kann man derzeit nur mutmaßen. Die Rettungsmannschaften arbeiten im Dauereinsatz«, tönte es schicksalsschwanger aus den Lautsprechern.

      Craig stand auf und zog das Smartphone aus seiner Jacke, die über dem Stuhl hing. Er durchsuchte die Kontaktliste. Unter Hajo fand er keinen Eintrag, doch bei Voss wurde er fündig. Sein Zeigefinger zitterte, als er auf ›CALL‹ drückte.

      Es läutete. Craig trommelte mit den Fingern auf seine Brust und presste das Telefon fester ans Ohr. Zum dritten Mal hörte er den Signalton. Hajos Mobile war eingeschalten, aber warum nahm er den Anruf nicht an?

      Morrison stützte sich auf der Stuhllehne ab und verfolgte das Geschehen am Bildschirm. Nach dem sechsten Klingelton meldete sich Hajos Stimme: ›Hello. I can’t take your call right now, please leave a message after the tone. Thanks for your call..‹

      »Shit«, schimpfte Craig und beendete den Anruf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Er zog am Krawattenknopf und öffnete den Hemdkragen.

      Von einer Sekunde auf die andere merkte er, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Verwirrt setzte er sich an den kleinen Tisch und schlug, um sich abzulenken, die Tagungsmappe auf. Zehn Uhr Sicherheitsmeeting, las er und überflog die weiteren Punkte der Liste. Der zwölfte ließ in innehalten: Erpresserbriefe. Er durchwühlte die Beilagen, bis er auf die Kopie der Drohungen stieß.

       Spenden Sie zwei Millionen an eine NGO / NPO, sonst veröffentlichen wir geheime Dokumente Ihres Unternehmens!

       Geben Sie im Anschluss eine Pressekonferenz.

       Neben dem Text war handschriftlich der 10. September vermerkt.

      Craig runzelte die Stirn und erinnerte sich, dass im Frühjahr ein Hackerangriff auf seinen Konzern erfolgt war. Die IT-Experten fanden keine Hinweise, dass sensible Daten gestohlen worden wären. Sicherheitshalber hatte man den Vorfall dem FBI gemeldet, doch dessen Ermittlungen verliefen im Sand.

      Bei der Fülle von Erpressungsversuchen, die seinen Konzern im Laufe eines Jahres erreichten, war es schwer, die ernst Gemeinten zu erkennen. Die meisten waren von Aktivisten, die sich über die Preise erbosten, die man den Farmern bezahlte oder richteten sich gegen die Monokulturen und dem damit einhergehenden Bienensterben.

      Auf diese Weise verschafften sie ihrem Ärger Luft.

      Er las weiter. Auf dem zweiten Zettel, der schief in den Kopierer gelegt worden war, stand:

       Letzte Warnung!

       Spenden Sie sofort die geforderten zwei Millionen!

       Handschriftlich war der 5. November darauf notiert.

      Sein Freund René Delon war der Erste, der bei einem ihrer Treffen im Frühjahr vom Erhalt eines Erpresserbriefes berichtete. Wochen später erreichte ihn eine Morddrohung, worauf er im Sommer während eines Segeltörns verschwand. Ähnlich war es bei Klug, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Erst nach seinem Tod erfuhr man, dass auch er solche Drohungen erhalten hatte.

      Craig strich sich mit der Hand durch sein Haar. Was wäre, wenn das Unglück am Wiener