Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


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der Mitglieder an. Inoffiziell vermutet man, dass es sich bei beiden Unfällen um keine Zufälle handelt. Ich nehme an, dass du nichts Neues entdecken wirst, aber man weiß nie ...«

      Lucas hatte aufmerksam zugehört, kratzte sich am Bart, lüftete seine New-York-Yankee-Kappe und zog sie tiefer in die Stirn. Tausend Fragen lagen ihm auf der Zunge.

      »Du ... Du sprichst von einem Routinejob. Wie kreativ darf ich meine Recherche anlegen?«

      Holzinger erahnte sofort den Hintergedanken des IT-Spezialisten. »Routinejob! – Halte dich an die gesetzlichen Vorgaben. Kein Hacken!«, erstickte er mit harschem Unterton Lucas' aufkeimende Einwände. »Lass die Kirche im Dorf. Analysiere die Akten, aber handle keinesfalls eigenmächtig. Haben wir uns verstanden?«

      »Vo … Von wem bekomme ich die gesammelten Unterlagen? Und vor allem: Auf welche Datenbanken werde ich autorisierten Zugriff haben?«, lotete er indigniert die Grenzen aus. »Nur auf die der Behörden oder auch auf die der Unternehmen?«

      »Ein Großteil der Protokolle liegt bereits auf dem Server in Wien.« Peter kratzte sich an seinem Bart. »Die Freigaben erhältst du morgen in der Früh. Man hat mir versprochen, dass wir uneingeschränkten Zugriff auf alle relevanten Daten haben. Von den Firmen haben wir keine Erlaubnis, unser Material mit dem ihren zu vergleichen. Ich benötige deinen Bericht sobald wie möglich.«

      »O … Okay, Chef.« Lucas schüttelte den Kopf und schob die Nickelbrille zur Nasenwurzel hinauf. »Habe kapiert – Nachtarbeit.« Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben.

      »Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen: Morgen um zehn Uhr ist das Meeting mit dem Vorstand des Clubs angesetzt: Voss, Morrison und Costa. Seid bitte pünktlich ...« Peter beugte sich vor und massierte sein Knie. Er verzog sein Gesicht. Mit beiden Händen hob er seinen Oberschenkel an, um den Kniewinkel zu verringern.

      »Schmerzen?«, erkundigte sich Sarah.

      »Es geht …« Holzinger atmete tief ein. »… Wenn ich das Bein längere Zeit nicht bewege, dann pocht es unaufhörlich. Das nervt.«

      »Was sagt dein Physiotherapeut?«

      »Der ist zufrieden«, presste Peter mit leidender Stimme hervor. »Er meint, meine Fortschritte sind größer als bei manch anderen mit der gleichen Verletzung. Die Chance lebt, dass ich das Knie bald wieder vollends abbiegen kann. Bis dahin wird mich der Gehstock begleiten.«

      Mutes sah ihn mit zusammengekniffenen Augenbrauen von der Seite an und klopfte ihm fürsorglich auf den Oberschenkel.

      »Wie ich dich kenne, wirst du den Stock bald nicht mehr benötigen.«

      »Ich arbeite daran. Wie erwähnt, alles wird besser – im Anschluss an die OP.«

      Sarah wechselte das Thema und erkundigte sich, wie sich ihr Chef den genauen Zeitplan für die nächsten Tage vorstellte.

      »Keine Sorge, die Konferenz findet am Donnerstag und Freitag statt.« Peter lächelte. »Die Chancen stehen gut, dass du das komplette Weekend mit deiner Familie verbringen wirst.« Er hatte die Hintergedanken seiner Mitarbeiterin erraten und tätschelte ihre Hand.

      »Klingt gut …« Sie wandte sich nickend dem Fenster zu.

      Fasziniert verfolgte sie die bizarre Jagd der Nebelschwaden, die mit enormer Geschwindigkeit über die beleuchtete Tragfläche hinwegschossen. Die unentwegten Turbulenzen versetzten dem Flugzeug harte Stöße. Der Flug glich einer Busfahrt entlang desolater Gemeindestraßen.

      Der Gong riss sie aus den Gedanken. Der Kapitän teilte seinen Passagieren mit, dass sie soeben Linz überflogen haben.

      »… wir landen planmäßig in 25 Minuten. Das Wetter in Wien: Die Außentemperatur beträgt minus 1°, es ist bedeckt mit leichtem Schneegriesel«, tönte es aus den Lautsprechern.

      »Gut, dass du unsere Flüge umbuchen konntest. Jetzt sind wir vier Stunden früher als geplant in Wien«, bemerkte Sarah rhetorisch und starrte weiter in die Dunkelheit hinaus.

      *

      Unterhalb der Wolkendecke ließen die Turbulenzen nach. Die Landschaft war nicht zu erkennen, aber vereinzelt erspähte sie die Lichter verstreuter Dörfer. Das Flugzeug rumpelte und ächzte, als das Fahrwerk ausgefahren wurde. Die ersten Straßenzüge, der in ein rötlich flirrendes Lichtermeer getauchten Großstadt, schoben sich langsam in ihr Blickfeld.

      Sarah wollte gerade Peter die hell erleuchtete Raffinerie Schwechat unter ihnen zeigen, als ein Knall das gleichmäßige Surren im Inneren des Flugzeuges verschluckte. Im nächsten Augenblick sackte die Maschine ab.

      Die Aufschreie aus zahlreichen Kehlen ließen die Flugzeugkabine erbeben. Der Flieger war extrem zur Seite gerollt. Der linke Flügel zeigte steil nach unten.

      Sarah umklammerte die Armlehnen mit all ihrer Kraft; presste sich in den Sitz.

      Mit schreckgeweiteten Blicken sah sie, wie sich die Landeklappen hoben und senkten. Schließlich stabilisierte sich die Fluglage. Ab diesem Moment beutelten heftige Vibrationen den Airbus A 321 und ließen die Tragflächen zitternd auf und ab schlagen.

      Ihr Puls raste. Mit vor Angst aufgerissenen Augen starrte sie aus dem Fenster. Funken sprühten aus dem linken Triebwerk, einem Kometenschweif gleich. Sie tauchten den nahen Boden in ein gespenstisch flackerndes Licht.

      Sarah schnappte sich Peters Hand, und drückte so fest zu, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie wies mit ihrem Kopf erschrocken auf den Flügel hinaus.

      Holzinger beugte sich gerade zum Fenster, als die Stimme des Flugkapitäns seinen Passagieren befahl, die Sicherheitsstellung für eine Notlandung einzunehmen. Geschockt hielt Peter das schadhafte Triebwerk im Blickfeld, aus dem bereits meterlange Flammen schlugen. Beißender Kerosingeruch stieg ihm in die Nase.

      Plötzlich erschütterte ein vehementer Schlag den Flieger.

      Wieder schrien die Fluggäste auf.

      Der Touchdown war hart. Das schwere Flugzeug schlingerte die Rollbahn entlang. Die Bremswirkung ohne Schubumkehr war nicht so fulminant wie von früheren Landungen gewohnt.

      Bevor die Maschine zum Stillstand kam, ertönte bereits die angespannte Stimme des Stewards. Er wies die Passagiere an, ausschließlich die vier Fluchtwege auf der rechten Seite zu benützen.

      Knapp vor dem Ende der Landebahn kam der Flieger zu stehen. Die Flugbegleiterinnen stürzten durch den Gang und rissen die Notausgänge auf. Mit einem Knall öffneten sich die Notrutschen. Der Mittelgang füllte sich in Sekunden mit ängstlich brüllenden Passagieren, die rücksichtslos zu den Luken drängten.

      »Lassen Sie Ihr Gepäck liegen!«, mischte sich die Ansage aus den Lautsprechern wiederholt in den Lärm. »Geen Bagage! No Luggage!«

      Holzinger und seine beiden Mitarbeiter waren bei den Ersten, die das Flugzeug verließen. Peter zog Sarah an sich vorüber, versetzte ihr an der Luke einen Stoß. Er sprang hinterher. Am Ende der Notrutsche landeten sie unsanft im nasskalten Gras.

      Sirenen heulten aus allen Richtungen. Mit ohrenbetäubendem Getöse traf ein Einsatzwagen nach dem anderen ein. Die Besatzungen bedeuteten händeringend den Flüchtenden, sich im Laufschritt von der Unglücksmaschine zu entfernen.

      »Lauft! Lauft!«, riefen die Helfer durcheinander. »Hierher! Schnell! Schneller! This way! Hurry! Sneller daar!«

      Peter ruderte mit den Armen, humpelte – ohne seinen Gehstock, mehr hüpfend als laufend – hinter Sarah her, die trotz ein paar Kilos zu viel auf ihren Hüften ein beachtenswertes Tempo vorlegte. In sicherer Entfernung blieben sie stehen, drehten sich um und schauten zurück zum Unglücksort, am Ende der Landebahn.

      Über die vier Notausgängen ließen sich die Passagiere, wie Tropfen aus einem undichten Wasserhahn, auf die Rutschen fallen.

      »Was ist passiert?«, hörte Holzinger die zitternde Stimme seiner Kollegin.

      »Keine