Wolfgang Priedl

COLLEGIUM.


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anschneiden sollte. ›Besser wäre, bis morgen zu warten, wenn sie vollzählig waren‹, dachte er und weigerte sich, Zusammenhänge ohne Beweise zu akzeptieren.

      Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.

      *

      »Ja bitte?«

      Es klopfte abermals.

      Craig stapfte widerwillig zur Tür und öffnete. Edith hing am Hals seines Sohnes, wie eine Pythonschlange, die ihre Beute umschlungen hatte. Ihre Haare trug sie zu zwei französischen Zöpfen geflochten, die bis zu den Schulterblättern reichten. Die Wange ihres schmalen Gesichtes rieb sie an Christians Schulter. Ihr Oberschenkel drückte gegen den ihres Mannes.

      Was Craig sah, war nicht die Ablenkung, die er sich erhofft hatte. Er ließ seinen Blick abschätzig an Ediths dürrem Körper entlang gleiten. Wasser tropfte von einem welken Ahornblatt, das ihr kniehoher Lackstiefel mit dem Bleistiftabsatz durchbohrt hatte und den Teppichboden dunkel färbte.

      Mit dem leicht basedowschen Augenpaar musterte die junge Frau ihren Schwiegervater und folgte seinem Blick. Indigniert schüttelte sie das Blatt vor der Suite ab.

      Morrison fragte sich, was Christian wohl an ihr gefalle. Liebe scheint eigenen Regeln zu folgen. Edith war keinesfalls nach seinem Geschmack.

      »Kommt rein … habt ihr Wien unsicher gemacht?«, begrüßte er die beiden, ohne ein Lächeln auf den Lippen, in der Hoffnung, dass sie seine Einladung ablehnten.

      »Ja, vormittags waren wir in der Innenstadt. Mittags am Donauturm. Und am Nachmittag haben wir uns die Umgebung angesehen. Sogar im Schloss Mayerling sind wir gewesen. Die Pferderennbahn, das Racino war leider geschlossen«, sprudelte es aus Edith hervor, während sie sich an ihrem Schwiegervater vorbei in die Suite zwängte.

      »Und das bei diesem Schneefall?«

      »Ja, war mit deinem Firmen-SUV kein Problem. Wir hatten viel Spaß. Cooles Gerät, der Daimler AMG GLC. Das hat richtig Power …«, schwelgte Christian in Erinnerungen.

      »Das kann ich mir vorstellen, dass er dir gefällt. Übrigens, ich brauche morgen den Wagen«, seufzte Craig.

      Sein Sohn öffnete leicht den Mund und legte die Hand darauf. »Dann musst du ihn waschen lassen. Edith und ich haben einen Abstecher ins Gelände unternommen«, murmelte er.

      »Bei diesem Wetter? Was für eine Schnapsidee!«, fuhr er seinen Sohn an. »Ich lasse den Wagen sicher nicht waschen. Kümmere du dich gefälligst darum. – Heute noch!« Craigs Gesicht färbte sich rot. Auf seiner Stirn erhoben sich dunkelblaue Adern, und zeichneten ein bizarres Muster, das an krakelige Fäden eines Spinnennetzes erinnerte.

      »Weißt du, ob Kirstin bereits angekommen ist?«, wechselte Edith mit unschuldig dreinschauenden Glupschaugen das Thema.

      »Ich habe vorhin versucht, Hajo zu erreichen. Er meldet sich nicht. – Habt ihr von dem Flugzeugunglück gehört?« Craig deutete auf den Fernsehapparat. »Heute, am frühen Abend am Vienna-Airport.«

      Das Ehepaar schaute sich fragend an und ging ein paar Schritte auf den Bildschirm zu.

      »... es handelt sich um den Flug aus Amsterdam, der planmäßig um 18:05 in Wien Schwechat aufsetzte … ein Terroranschlag wird nicht ausgeschlossen …«, hörten sie.

      Christian legte seine Hand um Ediths Schulter. »Willst du damit behaupten, dass Hajo mit seiner Tochter in dem Flieger war?«

      »Ob Kirstin in der Maschine war, weiß ich nicht. – Anzunehmen. – Ich bin mit ihrem Vater für acht Uhr zum Abendessen verabredet. Das deutet darauf hin, dass er in diesem Flugzeug gesessen ist. Die Nächste käme erst sehr spät abends – soviel ich weiß.«

      Edith stieg von einem Bein auf das andere, während ihr Christian über den Rücken strich. Ihr Blick wanderte zwischen ihrem Schwiegervater und dem Bildschirm hin und her. Ihr puppenhaftes Gesicht hatte den aschfahlen Teint einer Marionette angenommen. Sie umfasste die Taille ihres Mannes und schmiegte sich an ihn, als ob sie Schutz suchte. Schließlich starrte sie gebannt auf den Fernsehapparat.

      Morrisons Smartphone brummte. Am Display blinkte ›HAJO VOSS‹.

      »Hallo Hajo, Wo bist du? Wie geht es dir?«, legte er los, ohne den Anrufer zu begrüßen.

      »Hi Craig. Im Plaza …«

      »... hast du von dem Flugzeugunglück in Schwechat gehört? Ich sorgte mich, denn ich vermutete dich in dieser Maschine«, fiel er seinem Freund ins Wort.

      »Ja, habe es eben aus der Nachrichtensendung erfahren. Ich bin heute Morgen von Frankfurt nach Wien geflogen und habe den heutigen Tag benutzt, um mit einem Geschäftspartner zu konferieren. Vor einer halben Stunde bin ich hier aufgeschlagen. – Aber ich habe ein Problem: Kirstin war in der Maschine, und ich habe bis jetzt nichts von ihr gehört. Sylvia bestätigte mir am Telefon, dass unsere Tochter zeitgerecht aufgebrochen ist.«

      »Oh, Gott. Willst du damit sagen, du weißt nicht, ob sie verletzt ist? Warum rufst du nicht am Flughafen an und erkundigst dich.«

      »Das habe ich schon zweimal versucht. Privatpersonen erhalten zurzeit keine Auskunft. Außerdem ist der Airport wegen Terrorverdacht abgeriegelt. Das Mobilnetz scheint zusammengebrochen zu sein. Man riet mir, mich in Geduld zu üben. Einige Passagiere sind verletzt und werden derzeit ärztlich betreut. Schwerverletzte bringt man in die umliegenden Krankenhäuser. Sollte meine Tochter in ein Hospital gebracht werden, dann wird man mich sicher in Kürze verständigen, meinten sie.«

      »Das klingt nicht gut. Hajo, wollen wir uns in der Bar treffen?«

      »Das ist eine hervorragende Idee. In zehn Minuten?«

      »Okay.«

      »Bis später.«

      Nachdenklich nahm Craig sein Smartphone vom Ohr und steckte es ein.

      Edith hatte sich hinter ihrem Ehemann verkrochen, die Hände vor seinem Parka verschränkt. Sie lugte seitlich an Christian vorüber und starrte ihren Schwiegervater mit ihren schwarz geschminkten Augen an, wie ein Gibbonäffchen, das seine nächste Beute fixierte.

      »War das Hajo? Was klingt nicht gut?«, erkundigte sie sich, als hätte sie Angst vor der Antwort.

      »Ja, das war Hajo. Gott sei Dank ist er schon früher angereist. Er war nicht in der Unglücksmaschine. Aber Kirstin ist an Bord gewesen. Sie hat sich noch nicht bei ihm gemeldet. Er weiß nicht, ob sie heil oder verletzt ist. Ich treffe ihn gleich an der Bar. – Lasst mich mit ihm alleine sprechen. – Sehe ich euch ...?«

      »... Ich glaube nicht. Wir haben für heute Abend vier Karten für das English-Theater reservieren lassen. Eine ist für Kirstin. Kannst du uns bitte sofort verständigen, wenn du Neuigkeiten über Kirstin erfährst!?«

      »Mach ich ...«

      Mit einer unmissverständlichen Handbewegung dirigierte er seine Gäste aus dem Zimmer, schloss die Tür und schritt schnurstracks auf den Aufzug zu.

      *

      Ein Mann im schwarzen Anzug saß an einem der Tische. Er schaute kurz von seiner Zeitung auf, als ihm Craig im Vorübergehen auf die Schulter tippte.

      Gemächlich strich sich der Hüne über seinen kahlen Schädel.

      Gerard lehnte mit aufgekrempelten Hemdsärmeln hinter der Bar, die durchgestreckten Armen auf die Arbeitsfläche gestützt.

      »Guten Abend, Mr. Morrison. Haben Sie den Tag mit ihrer Familie genießen können?«, begrüßte ihn der Barkeeper, der seine rechte Hand auf den Hals der Jack-Daniel’s Flasche legte, während sich Craig geschmeidig auf den Barhocker schwang.

      »Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Mein Sohn und seine Frau wollten heute ohne mich durch Wien ziehen. Ich habe daher den Tag genützt und ein wenig in die Stadt investiert.«

      Gerard