Mathilde Berg

Undercover Boss


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schlankes Reh. Jedenfalls nicht so wie Lisa. Wenn ich einen Kopf größer wäre, sähe das schon anders aus.

      „Du Knallkopf glaubst wirklich, du bist der aller Größte, was?“

      Nils hat schon eine passende Antwort parat, die sicherlich nicht jugendfrei ist, wird aber von unserer Personalchefin unterbrochen, was ihm sichtlich missfällt.

      Lisa wirft ihr langes, braunes Haar mit einer lässigen Handbewegung über die Schulter.

      „Komm, Hannah, wir gehen da rüber. Dort ist die Luft besser. Hier stinkt es mir zu sehr.“ Lisa hakt sich bei mir ein und zieht mich hinter sich her zur anderen Seite vom Besprechungsraum.

      „Liebe Kolleginnen und Kollegen.“ Frau Peschke klatscht in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. Augenblicklich verstummt das Gemurmel. „Ich darf Ihnen heute unseren neuen Volontär, Lars Schelling, vorstellen. Bitte begrüßt ihn und überhäuft ihn mit viel Arbeit. Er soll ja schließlich was lernen.“ Sie lacht über ihren eigenen Witz, und die Kollegen lachen vereinzelt aus Höflichkeit mit. Am lautesten natürlich Nils. Das war ja klar! Für ihn war das kein Witz, sondern eine Tatsache, dass wir Volontäre für die festangestellten Journalisten arbeiten, während er die Füße auf den Tisch legt und sich den lieben langen Tag seinem Instagram-Account widmet, Läuse aus seinem struppigen Bart sucht und die Lorbeeren auf meine Kosten einheimst. Denn bisher war ich die einzige Volontärin und warte auf eine Festanstellung. Vielleicht ist das ein Zeichen des Schicksals, dass ausgerechnet jetzt ein neuer eingestellt wird. Immerhin bin ich schon seit zwei Jahren hier. Ein fester Job mit einem vollen Gehalt wäre echt an der Zeit.

      Der Neue wird mit Sicherheit von Nils unter Beschlag genommen werden. Dann hätte ich Zeit, an meiner eigenen Story zu arbeiten und endlich einen Vertrag zu bekommen. Vor allem aber würde ich nicht mehr als Fußabtreter für Nils dienen müssen und auch seinen Grapschfingern entgehen.

      Lisa stupst mir mit dem Ellenbogen in die Seite.

      „Der sieht ja gut aus“, flüstert sie mir ins Ohr. „Hoffentlich kommt er in mein Büro! Der ist wirklich was fürs Auge.“

      Lisa seufzt, und ich schaue mich um. Die anderen Kolleginnen starren den Neunen auch mit einem schmachtenden, verträumten Blick an. Ich schüttele verständnislos den Kopf.

      Seine Augen strotzen nur so vor Arroganz, die, zugegeben, wunderschön und rauchblau sind. Wohlgemerkt, der Rest ist auch nicht übel. Durchtrainierter Körper, dunkelblonde, kurze Haare, Dreitagebart. Na, da muss ich mir ja keine Sorgen machen, dass der mich anspricht. Wieder schaue ich an mir herunter. Jeans, Pulli, Sneaker. Wie meine feinen Haare aussehen, die ich im Überfluss besitze, kann ich direkt fühlen – sie fliegen mir wie immer wirr um den Kopf herum. Da hilft auch Bürsten nichts. Selbst wenn ich sie mit einem Haargummi zusammenhalte, winden sich die widerspenstigen Biester daraus hervor. Ich seufze. Nicht jeder kann perfekt sein.

      „Unwahrscheinlich“, sage ich leise zu Lisa. „Zum einen wird sich Nils das Frischfleisch unter den Nagel reißen, und zum anderen ist in deinem Büro doch kein Platz!“

      „Ja, ich weiß, aber Gitta könnte doch bei dir sitzen.“

      „In meiner Besenkammer? Ha–ha, sehr witzig. Der Raum bietet gerade mal so viel Luft zum Atmen, dass es für mich reicht! Nee, nee, nee.“

      „Platz ist in der kleinsten Hütte. Ein bisschen Gesellschaft würde dir ganz gut tun. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“

      „Du spinnst ja. Ich bin froh, dass ich in dem Kabuff meine Ruhe habe.

      „Herr Schelling hat in den USA studiert“, erzählt Frau Peschke weiter, „und möchte nun sein Wissen über die hohe Schreibkunst bei uns vervollständigen. Bitte heißen Sie Herrn Schelling recht herzlich in unsere Mitte willkommen.“ Sie applaudiert, und die anderen tun es ihr gleich.

      „Ach du meine Güte. Eine College-Pfeife!“, höre ich Nils sagen. „Wer will sich denn die Zeit nehmen, dem alles beizubringen? Bei dem Pensum, was wir abarbeiten.“

      Als ob er jemals selber eine Kolumne recherchiert und geschrieben hat, denke ich mir. Zumindest nicht, seit ich hier arbeite.

      „Vielen Dank, Herr Förster, für Ihren qualifizierten Einwurf“, entgegnet Frau Peschke mit einer säuerlichen Miene. Sie kann es überhaupt nicht leiden, wenn man sie unterbricht, besonders wenn es sich um dumme Zwischenrufe handelt. „Darüber haben wir uns natürlich im Vorfeld Gedanken gemacht. Das Beste wird sein, wenn Frau Rosenow ihn unter ihre Fittiche nimmt.“

      Mir wird schlagartig heiß im Gesicht, als ich meinen Namen höre. Dabei waren meine Gedanken bereits bei dem Thema, über das ich schreiben wollte. Der Rest meines Körpers wehrt sich vehement gegen diese Entscheidung, was sich in einem flauen Gefühl in der Magengrube und lautem Gegrummel äußert. Das passiert ständig, wenn ich nervös bin. Ich mag es einfach nicht, im Mittelpunkt zu stehen.

      Ein tumultartiges Raunen geht durch die Reihen der Kolleginnen, und sie scheinen nicht die Einzigen zu sein, denen diese Neuigkeit bitter aufstößt.

      „Wieso denn ausgerechnet die?“, fragt Nils entgeistert in die Runde.

      „Weil sie im Gegensatz zu Ihnen, wie Sie soeben geistreich beigetragen haben, Zeit hat. Frau Rosenow ist hier ja schon länger als Volontärin tätig und kann ihn in unsere Gepflogenheiten einweisen, damit er Ihnen schnell zur Verfügung steht und gut zuarbeiten kann. Frau Rosenow?“ Frau Peschke versucht, mich im Pulk der Kollegen ausfindig zu machen.

      Ich bleibe weiterhin im Schutz der Masse stehen. Meine Füße wollen einfach nicht von der Stelle. Ich befinde mich offensichtlich unter Schock.

      Eine Hand legt sich auf meinen Rücken, die mich ungefragt nach vorn drückt.

      „Ah, da sind Sie ja!“, flötet Frau Peschke. „Seien Sie so gut und führen ihn in der Redaktion herum.“

      „Ich?“, würge ich hervor. Meine Stimme ist kratzig, meine Zunge wie gelähmt.

      „Ja, Sie!“

      „Okay. Und wo soll er sitzen?“

      „Na, in Ihrem Büro, Kindchen! Wo denn sonst?“ Frau Peschke lächelt gekünstelt.

      Ich merke die Blicke der Kolleginnen, die sich wie Giftpfeile in mein breites Kreuz bohren.

      „Das … das ist doch viel zu klein. Könnte er nicht …“

      „Frau Rosenow!“ Die Personalchefin wird ernster. „Lassen Sie sich etwas einfallen. Sie sind doch nicht seit gestern bei uns, oder? Improvisieren Sie. Das kann ja nicht so schwer sein.“

      „Schon, aber …“

      „Gut!“ Sie wendet sich wieder dem Kollegium zu. „Dann wünsche ich Ihnen allen einen schönen Arbeitstag und Ihnen, Herr Schelling, einen guten Start.“

      Murrend und hinter vorgehaltener Hand flüsternd löst sich die Versammlung auf. Alle schlendern zu ihren Büros. Toll! Da bin ich ja wieder mal Gesprächsthema Nummer eins in der Redaktion.

      Voller Selbstmitleid atme ich geräuschvoll ein. Lisa klopft mir aufmunternd auf die Schulter. „Nur Mut!“

      „Ha–ha, sehr witzig!“

      „Und vergiss nicht, mit unserem Neuzugang in meinem Büro vorbeizukommen.“

      „Lisa … ich wollte das nicht …“

      Sie zwinkert mir aufmunternd zu und geht.

      Nun sind nur noch er und ich im Besprechungsraum übrig. Langsam komme ich wieder zu mir. „Ja … also … äh … Ich bin Hannah. Hannah Rosenow. Ich bin hier Volontärin im zweiten Jahr und …“

      „Ist das Volontariat nicht üblicherweise nur anderthalb Jahre?“

      Schön, ein Klugscheißer, na wunderbar! Nicht, dass mich seine Präsenz schon genug unter Druck setzt. Nein, er entpuppt sich auch noch als zweiter Nils. Was mich dabei wurmt, ist, dass er recht hat.

      „Normalerweise, ja. Willkommen