Mathilde Berg

Undercover Boss


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dich als Erstes herum, damit du alle kennenlernst. Danach geht’s gleich an die Arbeit. Mein Büro ist nämlich auch das Archiv. Also, nicht das vom Verlag, nur von dieser Abteilung. Seit der Hausmeister in Rente ist, wurden die Akten aus Bequemlichkeit in diesem Raum eingelagert. Er ist klein, fensterlos und bis obenhin voll mit Kartons. Deine erste Aufgabe wird sein, Ordnung zu schaffen und das alte Zeug in den Keller zu verfrachten. Ich hoffe, du machst dir dein weißes Hemd und deine zarten Hände nicht schmutzig.“

      „Und wie diese Hände zart sind!“, kontert er und zwinkert mir mit einem schiefen Lächeln zu.

      Das ist doch nicht zu fassen! Ich ignoriere seine unpassende Bemerkung. Schlucke sie voller Stolz herunter, als ob nichts passiert wäre, und verlasse den Raum. Er folgt mir. Ich kann seinen Blick auf meinem Körper fühlen. Augenblicklich wird mir ganz warm. In der Magengrube fängt es an, zu kribbeln. Ich bin wie elektrisiert. Verlegen zupfe ich meinen schlabbrigen Pulli zurecht. Warum in Gottes Namen musste ich heute Morgen unbedingt dieses alte Ding anziehen? Zu allem Überfluss stelle ich mir vor, wie seine Hände über meine Haut streichen. Ich balle die meinen zu Fäusten und schüttele den Kopf, um ihn daraus zu verbannen.

       Hannah

      „Ui, da hatte aber jemand einen schlechten Tag! Was hast du denn mit dem gemacht?“

      Lisa und ich gehen gemeinsam zum Parkplatz. Während ich meinen Fahrradhelm zurechtrücke, höre ich, wie jemand seine Autotür mit voller Wucht zuknallt. Ein Motor heult auf. Als ich dem Geräusch folge, sehe ich, wie mein neuer Kollege und Tischnachbar mit einem Kavalierstart grußlos an uns vorbeifährt und vom Gelände prescht. Der Drang, ihm die Zunge rauszustrecken, ist unwiderstehlich und nur mit Mühe zu unterdrücken.

      „Wieso?“, frage ich bewusst unschuldig.

      „Na, der kann es ja gar nicht abwarten, vom Hof zu kommen.“

      Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht hat er noch einen Termin? Soll ja vorkommen!“

      „Ach, komm schon. Der ist bestimmt nett, so wie der aussieht!“

      „Wer? Lars der Eisbär? Vielleicht ist er in der Realität aufgewacht und hat gemerkt, dass er selber arbeiten muss und sein Äußeres keine Wirkung auf mich hat, im Gegensatz zu dir und den anderen. Der muss nicht denken, nur weil er aussieht, als wäre er einem Modekatalog entstiegen, springe ich, wenn er mich ansieht. No way, Lisa.“

      „Lars der Eisbär?“, lacht Lisa. „Wie kommst du denn darauf?“

      „Na, er sieht doch aus wie einer. Alle oder besser gesagt jede möchte ihn knuddeln und ihm durch sein volles Haar strubbeln. Ihr bekommt alle gleich einen glasigen Blick, wenn ihr ihn seht. So wie bei einem Hundebaby.“

      „Na, wenn das Lars der Eisbär ist, dann möchte ich mich gern mal an sein Eisbärfell kuscheln.“

      „Tu dir keinen Zwang an. Lars ist für uns alle da. Das hat Frau Peschke ja heute Morgen gesagt.“

      Lisa schaut mich seltsam von der Seite an. „Findest du nicht, dass du etwas zu fies zu ihm warst? An seinem ersten Tag? Für sein Aussehen kann er ja nichts.“

      Schlechtes Gewissen keimt in mir auf. „Schon. Aber … aber ich wollte auf gar keinen Fall, dass er denkt, er könne mir auf der Nase herumtanzen und mich rumschupsen wie einige andere. Anwesende ausgeschlossen. Nur weil er zufällig gut aussieht …“

      Lisa seufzt und nickt zustimmend. „Hmhm.“

      „… braucht er nicht zu denken, dass ich Prinz Charming ergeben zu Füßen sinke und ihm seine sündhaft teuren Lederschuhe küsse. Ich hoffe für ihn, er weiß, woher das Leder für diese Schuhe kommt. Nicht, dass ein artengeschütztes Tier sein Leben lassen musste, damit er Eindruck auf die Frauenwelt machen kann.“

      „Was macht dir mehr Angst? Dass du ihn gut findest oder er dich toll findet?!“

      „Quatsch!“, bestreite ich. „Weder noch. Wir sind viel zu verschieden. Dieser arrogante Schnösel und ich? Niemals, nur über meine Leiche!“

      Mittlerweile sind wir am Fahrradstand angekommen. Ich verabschiede mich von Lisa und entriegele das Zahlenschloss an meinem Hollandfahrrad.

       ***

      Der warme Wind pustet mir ins Gesicht. Es riecht nach Sommer. Ich genieße die Sonnenstrahlen auf der Haut und das Fahren ohne Jacke und Schal. Die Girlande aus Seidenblumen am Lenker flattert im Luftstrom. Bei jedem Hubbel auf dem Radweg macht die verrostete Fahrradklingel ein leises Ping. Meinen ganzen Ärger vom Tag kann ich jetzt wegstrampeln. Unwillkürlich muss ich an das Gespräch mit Lisa denken. Wenn ich ehrlich bin, würde es mir mehr Angst machen, wenn Lars mich mögen würde. Dass er mich wahrscheinlich nicht leiden kann, ist jedoch offensichtlich. Zumindest seiner säuerlichen Miene nach zu urteilen. So kann ich ihn wenigstens im Verborgenen anschmachten und mich auf mein Ziel konzentrieren.

      Lars hat sicherlich gedacht, er würde mit jemandem wie Lisa zusammen in einem Büro sitzen und nicht mit einer Vogelscheuche wie mir. Es hat mich einfach geärgert, dass ich jetzt den Babysitter für ihn spielen darf und er an meinen Hacken klebt wie ein ausgespuckter Kaugummi.

      Leider musste er die Kisten mit den Ordnern wirklich allein in den Keller schaffen, weil Nils mir wieder seine supereiligen Sachen mit den Worten „Deadline läuft, Dickerchen!“ aufs Auge gedrückt hatte. Auf dem Weg nach draußen habe ich die ‚supereilige Sache‘ dann in seinem Korb auf dem Schreibtisch gesehen. Er hatte sich meinen Bericht noch gar nicht angeschaut. So viel dazu. Aber diese Schikane bin ich mittlerweile gewohnt.

      Andererseits soll Lars nicht denken, dass er nur mit den Fingern zu schnippen braucht, damit ich freudestrahlend vor ihm auf die Knie falle wie die anderen Weiber im Büro. Schon klar, würde ich auch, wenn ich so aussehen würde wie die. Er hat dunkelblondes, dichtes Haar, und am liebsten möchte ich meine Hände darin vergraben und … Hallo, Hannah, aufwachen! Verdammt. Es ärgert mich, dass mir dieser Typ nicht aus dem Kopf geht.

       Lars

      „Verdammt!“ Vor Wut schlage ich mit der Faust auf das Lenkrad. Ich hasse es, abhängig von anderen zu sein. Niemals hätte ich einwilligen sollen. Nur meiner Mutter zuliebe habe ich mich auf diesen Deal eingelassen. Wer schlägt schon einer Sterbenden den letzten Wunsch ab? Und was erschwerend hinzu kommt: Ich habe zurzeit keine finanziellen Mittel, um mein eigenes Projekt durchzuziehen.

      Auf dem Parkplatz fahre ich an meinen neuen Kolleginnen Liane, Luise – oder wie sie auch heißen mag – und Hannah vorbei. Die Dünne winkt mir zu, während Hannah mit ihrem tödlichen Blick Giftpfeile auf mich schießt. Für einen Moment glaube ich, sie würde mir die Zunge rausstrecken.

      Heute Morgen wollte ich mit meinem lockeren Spruch das Eis zwischen uns brechen. Aus irgendeinem Grund hat das nicht geklappt. Im Gegenteil, es ist mächtig nach hinten losgegangen, so wie sie sich aufgeregt hat. Den ganzen Nachmittag hat sie nicht mehr mit mir gesprochen. Nur das Nötigste, als sie mit mir die Bürorunde gemacht hat. Danach habe ich mich mächtig ins Zeug gelegt und die Rumpelkammer aufzuräumen, die Hannah Büro nennt. Alle hundertsechsunddreißig staubige, mit Akten gefüllte Kartons habe ich – wohlgemerkt, ohne zu murren oder zu ächzen – in den Keller geräumt, um sie zu beeindrucken.

      Anstatt sich zu bedanken oder mich zu loben, hat sie mir jedoch den Staubsauger in die Hand gedrückt. Das war über allen Maßen frustrierend. Noch nie ist mir so was passiert. Ansonsten liegt mir die Frauenwelt zu Füßen.

      Was für ein beschissener Tag. Am meisten ärgere ich mich aber darüber, dass ich meinem Erzeuger nicht die Stirn geboten, sondern mich gefügt und klein beigegeben habe.

      Ich fahre jetzt zu Marek. Mein Bruder versteht mich. Der einzige Lichtblick, wie mir scheint. Ich drehe das Radio lauter und gebe am Ende des Parkplatzes richtig Gas, sodass die Räder quietschen, als ich auf die Hauptstraße biege.

       Hannah