Mathilde Berg

Undercover Boss


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möglichst am Samstagvormittag erledigt. Danach gehört das Wochenende mir. Ich schließe die Haustür ab und igele mich in einer Wolldecke ein. Manchmal schalte ich sogar mein Handy aus, damit mich keiner stört. Meine Mutter hat die Angewohnheit und das Talent, in den unpassendsten Augenblicken anzurufen. Es ist ja nicht so, dass wir uns nie sehen. Jeden Mittwoch schaue ich bei ihr vorbei. Sie kocht dann was Schönes. Manchmal ist das meine einzige warme Mahlzeit unter der Woche.

      Wir reden dann über die Ereignisse der letzten Tage. Natürlich könnte ich auch bei ihr wohnen. Das hat sie mir schon oft angeboten. Aber ich möchte unabhängig sein. Ich will es allein schaffen und ihr vor allem nicht auf der Tasche liegen. Sie hat schon genug Probleme.

      Ich kann stundenlang auf der Couch liegen und in einem Buch versinken. Oder ich arbeite an meinem Roman. Ich liebe es, zu schreiben und auf den Flügeln der Fantasie davon zu fliegen.

      Doch dann holt mich der Montag in die Realität zurück und schlägt voll zu. So wie heute. Zwischen dem Mixen von Eiweißshakes und Ausfegen der Umkleidekabinen esse ich mein Butterbrot, das ich mir heute früh geschmiert habe. Ich will mich nicht beschweren, denn wenn viel zu tun ist, vergeht wenigstens die Zeit schnell.

      Da ich von den Aushilfen am längsten dabei bin, kenne ich mich mit vielen Dingen aus, die anfallen. Ich bin eben ein Mädchen für alles. Genauso wie in meinem Job im Verlag ist es gut, wenn man flexibel und ein Allrounder ist.

      Es ist Kurswechsel. Step-Aerobic ist zu Ende. Bauch-Beine-Po fängt gleich im Anschluss an sowie Zumba und Spinning für Fortgeschrittene. Zwischen den vielen sportbegeisterten Menschen sammele ich die leeren Gläser ein, die auf den Tischen neben den Geräten stehen. Auf meinem Tablett stapeln sich die Trinkgefäße. Die Fitnessgeräte sind so gut wie alle belegt. Die Kursteilnehmer nutzen vorher die Gelegenheit, ihre Muskulatur aufzuwärmen.

      Als hätte sich die Menschenmenge wie die Fluten des Roten Meeres geteilt, steht da plötzlich mein neuer Kollege. Vor Schreck werden meine Hände schwitzig. Das Tablett gerät in bedrohliche Schieflage. Manche Gläser rutschen und klirren laut gegeneinander. Einige kippen um. Im letzten Moment kann ich es gerade noch halten und eine Katastrophe abwenden.

      Kann der mich nicht wenigstens in meinem Feierabend in Ruhe lassen? Dass er hier auftaucht, bringt mich völlig aus dem Konzept.

      Er schaut in meine Richtung. O Gott! Hat er mich gesehen? Panik breitet sich in mir aus. So kenne ich mich überhaupt nicht.

      Schnell tauche ich in der Menge unter, aber anscheinend nicht schnell genug, denn er erkennt mich. Er winkt und kommt auf mich zu. Ich beeile mich, das Tablett neben der Hantelbank hinter mir verschwinden zu lassen.

      „Na, das ist ja eine Überraschung! Was machst du denn hier?“

      Das ist wohl die blödeste Frage, die ihm hätte einfallen können. Jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht, steigt Wut in mir auf. Ja, was mache ich hier wohl? Ich möchte ihm am liebsten mein Shirt mit der AufschriftRudi’s Fitnessbudean den Kopf werfen. Dabei schaut er so spöttisch, dass es mir in den Fingern juckt, ihm eine Ohrfeige zu verpassen.

      „Ach, hallo! Hab’ dich gar nicht gesehen“, sage ich stattdessen. „Was ich hier mache? Tja, ich vermute, das gleiche wie alle anderen im Fitnessstudio.“

      „Du läufst?“

      „Wer? Ich?“ Erstaunt schaue ich mich um. Neben mir steht das Laufband, das wohl gerade frei geworden ist. „Ja, genau. Ich habe gewartet bis das, äh … Laufband frei wird. Voll heute.“ Mutig stelle ich mich auf die Tretmühle.

      „Cool, habe ich dir gar nicht zugetraut.“

      Die Blöße will ich mir jetzt nicht geben. Außerdem muss er nicht unbedingt checken, dass ich hier nur arbeite und nicht zum Vergnügen bin. Er scheint ja keine Geldsorgen zu kennen. Sein Auto mit dem Schwaben-Stern hat sicherlich Papi finanziert.

      Ich streiche mir ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht. Hier im Studio ist die Luft oft so trocken, dass sich meine Haare elektrisch aufladen und mir wirr um den Kopf schwirren. Mein Blick fällt auf das Display. Herrje, hierfür benötigt man ja ein technisches Studium! So viele Knöpfe und Einstellungen. Mehr aus Zufall finde ich den Einschaltknopf. Das Band fängt gleich an, zu rotieren. Schneller als erwartet. Durch den plötzlichen Ruck komme ich kurz ein wenig ins Straucheln, was ich aber gut überspielen kann. Instinktiv setze ich einen Fuß vor den anderen.

      „Also dann …“, sage ich zu ihm als Zeichen, dass das Gespräch jetzt beendet ist. Lars bleibt aber unglücklicherweise neben mir stehen und schaut mir zu. Macht auch keine Anstalten, zu gehen. Ich hatte gedacht, er würde nur Höflichkeiten austauschen wollen und dann wieder verschwinden. Da habe ich mich wohl getäuscht. Apropos gehen. Je mehr ich auf dem Band laufe, umso schneller wird es. Inzwischen jogge ich, obwohl ich in meinem ganzen Leben noch nie gejoggt bin.

      „Und du? Bist du nur zum Zuschauen hier?“, presse ich stoßweiße hervor. Die Puste geht mir langsam aus.

      „Nein, ich wollte in den Indoor-Cycling-Kurs. Bin neu hier.“

      Ach was!

      „Der Kurs beginnt immer pünktlich. Darauf legt Joachim sehr viel wert. Raum fünf. Treppe hoch, dann links, dem Schweißgeruch hinterher.“

      Ich habe das Gefühl, dass mir gleich die Lunge platzt. Inzwischen habe ich schon ein ordentliches Tempo drauf. Will der denn gar nicht gehen? Ich renne, was das Zeug hält. Darum halte ich mich krampfhaft am Griff fest.

      „Na, dann will ich dich nicht länger stören. Du hast ja schon ein ordentliches Tempo drauf.“ Er gibt mir einen Klaps auf die Schulter. „Respekt!“

      „Hannah?“, ruft Rudi. „Hannah!“

      Ich kann Lars nur noch zunicken. Mir ist glühend heiß. Allerdings schwirren meine Haare nicht mehr. Die kleben mir nämlich jetzt klatschnass an Kopf fest.

      „Es gibt doch nichts Schöneres als sich mal so richtig auszupowern, was?“

      Ich lächele gequält. Meine volle Konzentration gilt dem Laufband, damit ich bloß nicht über meine eigenen Füße stolpere.

      „Also, man sieht sich.“

      Lars macht sich endlich auf den Weg zu seinem Kurs. Gott sei Dank, denke ich. Mein Problem mit dem Laufband ist aber noch nicht gelöst. Der Ausstellknopf ist in unerreichbarer Entfernung. Ich traue mich einfach nicht, die Hand vom Griff zu lösen. Das Band wird immer schneller. Plötzlich verlassen mich die Kräfte. Meine Beine knicken weg und sausen mit dem Band nach hinten weg.

      Verzweifelt und mit letzter Kraft mache ich Vorwärtssprünge, um auf dem Band zu bleiben. Ich kann mich nicht mehr halten. Meine schwitzigen Hände rutschen vom Griff ab, mit denen ich jetzt panisch in der Luft rudere, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Irgendwann verliere ich auch diesen Kampf, der sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlt, in Wirklichkeit aber nur Sekunden dauert.

      Ich sause vom Laufband. Mit einem Angstschrei falle ich auf den Po, schlage einen filmreifen Purzelbaum rückwärts und komme auf dem Bauch zum Liegen. Meine Fußspitzen donnern in das Tablett mit den Gläsern, dass ich dort abgestellt habe. Es klirrt und scheppert gewaltig. Erschöpft bleibe ich auf dem müffelnden Teppich liegen.

      „Hannah!“, ruft Rudi in der Ferne.

      In meinen Ohren rauscht es, und mein Herz rast wie nach zwanzig Tassen Espresso. Bäuchlings bleibe ich erschöpft auf der blauen Auslegeware liegen. Mit letzter Anstrengung hebe ich den Kopf. Neben mir erblicke ich ein Paar weiße Turnschuhe.

      „Hmmm?“ Ich blinzele nach oben.

      Rudi steht neben mir mit Eimer und Wischmopp. „Was machst du denn da unten auf dem Fußboden?“

      „Rudi, ich … ich liege einfach so hier rum. Der Teppich müsste übrigens dringend gesaugt werden“, versuche ich, zu scherzen. Ich habe zwar meine Würde verloren, aber meinen Humor offensichtlich nicht.

      „Mensch, Hannah! Ausruhen kannst du dich zu Hause. Und wenn du schon Bodenexpertin bist – die Damendusche muss auch dringend gereinigt