Mathilde Berg

Undercover Boss


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Hände. „Und stell das Laufband aus, das irgendein Idiot angelassen hat.“

       Hannah

      Bevor ich mich der Gruppendusche mit vollem Einsatz widme, sammele ich die Glasscherben auf, die um das Tablett auf dem Teppich verstreut liegen. Scherben bringen ja bekanntlich Glück.

      Von meinem Malheur hat anscheinend keiner so richtig etwas mitbekommen. Jedenfalls spricht mich niemand darauf an. Ich sehe auch keinen, der hinter vorgehaltener Hand etwas tuschelt oder mich komisch von der Seite ansieht. Was ich durchaus als positiv bewerte.

      Herrje, war das peinlich! Aber so typisch für mich. Ich bin eine große Meisterin darin, mit solchen Aktionen unabsichtlich in den Mittelpunkt zu geraten.

      Meine Beine fühlen sich wie Gummi an. Morgen werde ich mit Sicherheit einen ordentlichen Muskelkater haben plus einen blauen Fleck an meinen Rippen, den mir Nils heute Morgen verpasst hat.

      Der Waschraum ist schnell wieder vorzeigbar. Dank der Musik, die durch die Lautsprecher in der Decke auf mich herabrieselt. Im Takt schwinge ich meinen Mopp von rechts nach links.

      Ich schlappe in meinen Badelatschen pfeifend und gemächlich in Richtung Abstellkammer, um meine Putzutensilien zu verstauen. Gleich ist Feierabend.

      Jonas steht hinter der Theke. Er halbiert Orangenscheiben für den letzten Saunagang, als ein Schrei aus seiner Richtung mich zusammenfahren lässt.

      „Ahhhhhhh … verdammt, ich habe mich geschnitten!“ Jonas hält den Finger in die Höhe. „Ich blute!“

      Eimer und Mopp lasse ich fallen und eile meinem Kollegen zu Hilfe. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst. Tatsächlich kann ich aber nur einen Tropfen Blut erkennen, den er sich aus der winzigen Wunde quetscht. Erleichtert atme ich auf.

      „Ach, Jonas, so schlimm ist das gar nicht.“

      „Doch!“, erwidert er wehleidig.

      „Halte deinen Finger unter den Hahn und kühle ihn mit kaltem Wasser.“

      Da er keine Anstalten macht, meiner Anweisung Folge zu leisten, nehme ich kurzentschlossen seine Hand und halte sie unter den Wasserstrahl.

      „Mist …“

      „Jonas, bitte! Es ist ein wirklich nicht schlimm.“

      „Doch, es tut verflucht weh!“

      „Es ist nur ein winziger Schnitt. Hier, sieh selber.“

      „Nein, lieber nicht.“

      „Trockne deinen Finger mit der Küchenrolle ab. Ich hole dir ein Pflaster.“

      „Mir wird schlecht!“

      „Ach, Quatsch! Doch nicht wegen so einem winzigen Schnitt.“ Ein klitzekleines Tröpfchen Blut sucht sich seinen Weg durch das Papier. Jonas wird blass um die Nase.

      „Rudi!“, rufe ich in den Raum. „Ich brauche hier ganz dringend deine Hilfe!“

      Da sackt Jonas auch schon zusammen. Gerade kann ich ihn noch halten, bevor er hart aufschlägt. Gemeinsam sinken wir zu Boden.

      Dann steht Rudi neben mir. „Was ist denn hier los?“

      „Jonas hat sich geschnitten. Nicht doll, aber er ist einfach in Ohnmacht gefallen.“

      Rudi kniet sich neben mich. Er tätschelt ihm die Wangen, bis er wieder aufwacht. „Na, mein Junge? Ich glaube, du ruhst dich noch ein wenig aus.“ Er hebt Jonas auf, als wäre er leicht wie eine Feder, obwohl er ein breites Kreuz hat und mindestens 1,80 m groß ist. Rudi trägt ihn zu der Krankenliege im Büro. Über seine Schulter hinweg ruft er zu mir: „Kümmerst du dich um den Aufguss in der Sauna? Danach kannst du auch gern Feierabend machen.“

      Feierabend! Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Schnell räume ich mein Putzzeug weg, das ich vorhin so unsanft fallengelassen habe.

      Der letzte Aufguss ist immer sehr gut besucht. Zum Glück hat mir Jonas, unser Saunameister, gezeigt, wie man die Aufgusszeremonie korrekt durchführt. Einen Tag lang habe ich die richtige Handtuchwedel-Technik gelernt. Am Ende des Crashkurses war er zufrieden und ich erschöpft und klitschnass geschwitzt. Jetzt ist Premiere vor Publikum.

      Mit dem Tablett Orangen und einem Holzbottich voll Wasser mache ich mich auf den Weg zur Sauna. Wäre doch gelacht, wenn ich die Nackedeis nicht zum Schwitzen bekommen würde.

      Schon durch das kleine Fenster, das zum spärlich beleuchteten Raum führt, kann ich sehen, wie die Gäste dicht gedrängt, Pobacke an Pobacke, bis in die obere Reihe sitzen.

      Bottich und Tablett stelle ich ab und öffne die Tür, um den Innenraum zu lüften. Heiße Luft schlägt mir entgegen.

      Jetzt kommen die letzten Vorbereitungen. Jonas hat eine ganze Gefriertruhe voll Kunstschnee, daraus forme ich drei faustgroße Bälle, so wie er es mir gezeigt hat, lege sie in eine Holzschale und nehme die ätherischen Öle sowie das große Handtuch mit.

      Nun habe ich alles beisammen. Jetzt ist Showtime. Ich gebe zu, ich bin sehr aufgeregt. Schließlich mache ich das zum ersten Mal. Mit klopfendem Herzen betrete ich die Sauna mit den Utensilien und schließe die Tür hinter mir. Nervös räuspere ich mich und hole tief Luft.

      „Hallo, mein Name ist Hannah, und ich begrüße euch zu dem letzten Aufguss des heutigen Abends, den ich für euch mache. Es gibt insgesamt drei. Für die erste Runde habe ich euch Zitrone mitgebracht. Das Aroma ist frisch, fruchtig und wirkt desinfizierend. Für den zweiten Pfefferminze und zuletzt Kiefer. Beide Öle befreien die Atemwege. Wenn ihr euch nicht wohlfühlt, dürft ihr gern nach unten, sofern das möglich ist. Sollte es euch dennoch zu viel werden, könnt ihr die Sauna jederzeit verlassen. Ich wünsche euch gute Entspannung und ein angenehmes Schwitzen.“

      Mit dem Schöpflöffel gieße ich zwei Kellen Wasser auf die Lavasteine, das sofort zischend verdampft. Die Lavasteine knacken. Ich beträufele die erste Schneekugel mit Zitronenöl und lege sie in die Glut. Danach gieße ich eine Kelle Wasser darüber und zerklopfe die Kugel. Langsam schmilzt das Eis. Der fruchtige, frische Duft der Zitrone entfaltet seine Wirkung. Ich falte mein Frotteehandtuch auf die halbe Größe, rolle es auf der einen Seite etwas ein und schwenke es mit Schwung nach hinten links, über den Kopf und dann nach vorn, ähnlich der Bewegung der Vorhand beim Tennis, und schlage die heiße Luft vom Ofen zu den Gästen. Ein Wohliges Ah und Oh kommt mir entgegen. Meine Augen haben sich inzwischen an das diffuse Licht gewöhnt. Mit einem Schlag wird mir heiß, und es liegt nicht an der steigenden Raumtemperatur.

      Vor mir auf der untersten Stufe sitzt, natürlich splitterfasernackt, mein neuer Kollege und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Den Impuls, ihn mit der Ecke des Handtuchs, selbstverständlich versehentlich, zu treffen, kann ich nur mit Mühe unterdrücken.

      Muss das denn sein? Kann der mich nicht in Ruhe lassen? Der Kerl verfolgt mich schon den ganzen Tag! Kurz vor Feierabend muss ich ihn nun wirklich nicht auch noch hier in der Sauna sehen.

      Oh. Mein. Gott!

      Ich kann alles – aber auch wirklich alles – sehen, da er breitbeinig in einer typisch männlichen Pose vor mir sitzt. Sein Oberkörper mit seinen definierten Muskeln ist ja ein richtiger Hingucker. Und es scheint ihm überhaupt nicht peinlich zu sein, ganz im Gegensatz zu mir. Normalerweise macht es mir nichts aus, andere Menschen unbekleidet zu sehen, bei bekannten Gesichtern ist das jedoch etwas anderes. Es gibt eben Dinge, besonders von Kollegen und Eltern, die möchte man nicht sehen. Lars scheint das aber keineswegs etwas auszumachen. Anstatt sich anders hinzusetzen, bleibt er machomäßig so hocken und glotzt mich wie ein Mondkalb auf Ecstasy an.

      Ich versuche, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Was mir schwerfällt. Seine dominante Nähe bringt mich aus dem Konzept. Als ob es nichts Besonderes wäre, reiche ich jedem das Tablett mit den Orangenstücken an. Für die obere Reihe muss ich mich ein bisschen recken. Die meisten machen Platz, damit ich das Brett bis in die hinterste Reihe reichen kann. Hier nimmt man Rücksicht auf den anderen und übt sich in Diskretion, damit man den schwitzenden Nebenmann nicht