Mathilde Berg

Undercover Boss


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       ***

      In der Umkleidekabine stapeln sich die Kleidungsstücke. Hosen, Röcke, Blusen, Shirts. Lisa ist in ihrem Element. Während ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht, läuft Lisa mit der Verkäuferin um die Wette und schleppt immer mehr an.

      In einem quietschgelben Kleid mit floralem Aufdruck stehe ich vor dem Spiegel im Laden.

      „Ist das nicht ein Traum? Das hätte ich auch noch eine Nummer größer und in anderen Farben da.“

      Es ist wirklich ein Traum, aber kein schöner, sondern einer, aus dem ich gern sofort aufwachen würde. Die Person im Spiegel ist mir völlig fremd. Das bin nicht ich.

      An meinem Gesichtsausdruck erkennt die geschulte Verkäuferin, dass noch jede Menge Überzeugungsarbeit an mir geleistet werden muss. „Der Retro-Look steht Ihnen ausgezeichnet. Das trägt man jetzt in allen großen Metropolen der Welt. Den tiefen Ausschnitt könnten Sie auch mit einem Tuch kaschieren oder mit einer langen Kette betonen. Je nach Anlass.“

      Hilfesuchend schaue ich zu Lisa.

      „Also, ich finde es traumhaft!“ Danke, Lisa, für die Unterstützung. „Kann ich das bitte in Größe sechsunddreißig anprobieren?“

      „Aber sicher doch! Ich hole es Ihnen.“

      Als sich die Verkäuferin entfernt hat, platzt mir fast der Kragen. „Ich werde dieses Kanarien–Flowerpower–Faschingskleid auf gar keinen Fall kaufen. Ich trage sonst Jeans und Shirts. Das passt nicht zu mir.“ Mein Blick erhascht das Preisschild. „Und definitiv nicht zu meinem Geldbeutel.“

      „Gerade weil du dich sonst so schlicht kleidest …“

      „Praktisch. Ich trage praktische Sachen. Das machen Fahrradfahrer so.“

      „Genau. Deswegen musst du ja nicht wie eine Vogelscheuche herumlaufen.“

      Der Schlag saß. „Danke!“ Beleidigt rette ich mich in die Umkleidekabine, um das scheußliche Stück Stoff mit den Prilblumen auszuziehen.

      „Hannah, das habe ich nicht so gemeint. Ich finde nur, du könntest ein wenig mehr Farbe vertragen und deinen Kleidungsstil überdenken. Das ist alles.“

      Ich kann ihr nicht böse sein, denn sie hat recht.

      „Ja, okay. Ich weiß, was du meinst. Aber ich bin nun mal kein Modepüppchen. Dieses Kleid ist wirklich …“ Ich suche nach dem richtigen Wort. „Speziell.“

      Die Verkäuferin kommt zu uns zurück. „So, hier ist das Kleid in der gewünschten Größe.“

      „Danke. Ich probiere es gleich an.“

      „Und Sie?“, spricht sie mich durch den dicken Samtvorhang an. „Alles in Ordnung bei Ihnen? Kann ich Ihnen noch etwas bringen? Ich habe da noch einen Plisseerock in einem wunderbaren Zimtton.“

      „Nein, danke. Ich habe mich entschieden.“ Entschlossen schiebe ich den Vorhang beiseite, froh darüber, wieder in meinen vertrauten Sachen zu stecken.

      Lisa kommt aus der Kabine, und wow – an ihr sieht der Zwirn absolut umwerfend aus.

       ***

      Eingehakt schlendern wir durch die Fußgängerzone. An unseren Ellenbogen baumeln schicke Einkaufstüten, die viel zu schade zum Wegwerfen sind.

      Ich habe mich für eine Hose und einen Rock entschieden. Dazu für eine Bluse und zwei farbenfrohe Shirts, die mit beiden Teilen kombinierbar sind. In meinem Kleiderschrank hängt noch eine Strickjacke, die ich schon ausgemustert habe, aber bislang noch nicht dazu gekommen bin, sie in die Altkleidersammlung zu geben. Sie harmoniert perfekt mit den neuen Sachen. Manchmal lohnt es sich eben doch, sich nicht gleich von Dingen zu trennen.

      Lisa hat logischerweise das ausgefallene Kleid gekauft, das an ihr einfach fantastisch aussieht.

      „Wollen wir noch etwas zusammen essen? Eine Stärkung könnten wir jetzt gut gebrauchen!“

      Ein Blick auf die Armbanduhr verrät mir, dass die Verabredung mit meiner Mutter unmittelbar bevorsteht. Ich mag sie nicht enttäuschen, weil sie mit Sicherheit etwas Leckeres für uns gekocht hat.

      „Sorry, ich hab’ gleich eine Verabredung. Aber für einen Cappuccino reicht noch die Zeit.“

      „Gut! Dort drüben ist ein schönes Café.“ Sie deutet nach links.

      „In Ordnung. Lass uns draußen hinsetzen. Das Wetter ist noch so schön.“

      „Auf jeden Fall, ich liebe es, Leute zu beobachten, die vorbeischlendern. “

      Ich knuffte ihr in die Seite. „Wusste gar nicht, dass du voyeuristische Züge hast.“

      Wir gackern wie zwei Teenager.

       ***

      Zucker rieselt in die dampfende Tasse, die vor mir steht. Das kunstvolle Blütenmuster vom Barista-Meister versickert langsam. Beim Anblick des Amaretti läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Ich liebe italienische Kekse.

      „Du kommst doch auch zum Presseball, oder?“

      „Ich?“ Ertappt versuche ich, wie Lisa den Keks zu ignorieren.

      Sie rührt versonnen in ihrem Cappuccino. „Hast du schon jemanden, der dich begleitet? Oder kommst du allein?“

      „Äh … weiß nicht.“

      „Ist doch eine Firmenveranstaltung.“

      „Schon, aber das ist das reinste Schaulaufen.“

      „Nun ja, jeder bringt seinen Partner mit. Das ist Verlagstradition. Außerdem, wenn der Chef einlädt, geht man hin, ob man will oder nicht. Und die Atmosphäre ist ja auch besonders. Abendkleidung, Orchester, sagenhaft gutes Essen …“

      „Aha! Dann muss ich mir bis dahin noch einen Mann schnitzen.“ Langsam schlürfe ich die Kaffeevariation. Im letzten Jahr habe ich eine Magen-Darm-Infektion vorgetäuscht. Es gibt nichts Schlimmeres als partnerlos unter Paaren zu sein.

      „Du könntest doch Lars fragen!“

      Geschockt verschlucke ich mich an dem heißen, koffeinhaltigen Wachmacher. Lisa klopft mir auf den Rücken.

      „Wie kommst du denn darauf?“, frage ich sie, als ich wieder sprechen kann und die Tränen, die der heftige Husten heraufbeschworen hat, mit der Serviette wegwische.

      „Er ist neu im Verlag, und du bist allein. Ergo?“

      „Meinst du, Lars würde ausgerechnet mit mir dahin gehen? Mit Sicherheit hat er eine Freundin. Er wird sich kaputtlachen, wenn ich ihn frage. Außerdem, wer sagt denn, dass ich ausgerechnet mit ihm zu dieser oder einer anderen Veranstaltung gehen will?“

      „Hmm … wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“

      „Ja, ja, und wer nicht heiratet, kriegt doch ein Kind. Ich kenne den Spruch. So wie er aussieht, ist er mit Sicherheit liiert.“

      „Kommt darauf an, mit wem.“

      „Verstehe ich nicht!“

      „Schau mal da rüber. Wenn man von der Sonne spricht, geht sie auf.“

      Ich folge ihrem Fingerzeig. Mir kommt da eher der Spruch ‚Wenn man vom Teufel‘ spricht in den Sinn.

      Wir haben von unserem Platz einen herrlichen Blick auf den Marktplatz und das Wasserspiel vom Springbrunnen. Keine dreißig Meter entfernt von uns, auf den Stufen zum Brunnen, steht Lars zusammen mit einem dunkelhaarigen Mann. Sie albern herum. Lachen und boxen sich. Sie sehen sehr vertraut in ihrem Umgang miteinander aus.

      „Und?“, frage ich verwirrt.

      „Da steht deine Lösung!“

      Ich runzele die Stirn und starre sie fragend an.

      „Mann,