Mathilde Berg

Undercover Boss


Скачать книгу

als zwischen seinen Beinen nah an ihn heranzutreten, damit die obere Bank in den Genuss der Orangenstücke kommt. Kurz bleibt mir die Luft weg, als ich versehentlich seinen Oberkörper berühre. Er fühlt sich, zu meinem Leidwesen, fürchterlich angenehm an. Mir schwirrt ein Schwarm Schmetterlinge durch den Bauch. Beinahe lasse ich das Tablett fallen.

      Zum Glück fange ich mich schnell wieder und fahre mit meiner Arbeit fort. Ich konzentriere mich auf den nächsten Durchgang.

      Die zweite Schneekugel mit dem Pfefferminzöl kommt in die Glut. Darüber leere ich wieder zwei Kellen Wasser, ehe ich sie zerklopfe. Der frische Minzduft beißt in den Atemwegen und befreit sie. Ich rolle das Handtuch auf und wirbele mit der Propellerbewegung die heiße Luft vom Ofen zu den Gästen. Der Schweiß fließt in Strömen, nicht nur bei mir.

      Puh, Ah, Boa, geht es durch die Reihen. Um den Effekt vor dem letzten Durchgang zu erhöhen, reiche ich nun den Eimer mit den Eiswürfeln herum. Damit können sich die Saunierenden abreiben, um abzukühlen.

      Und wieder ist es Lars, der keinen Platz macht, damit ich an die hintere Bank komme. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als mich abermals dicht vor ihn zu stellen.

      Als die obere Reihe fertig ist, kann ich den schweren Bottich mit den Eiswürfeln nicht länger halten. Er gleitet mir durch die rutschigen Hände, aber ich fange ihn noch gerade so auf. Dabei ist der Eimer jedoch in eine bedenkliche Schräglage gekommen, und die Gravitation erledigt den Rest. Die gefrorenen Wasserwürfel prasseln auf Lars herab und landen auf seine Körpermitte.

      „Ups!“, entfleucht es mir.

      Wie von der Tarantel gestochen springt Lars mit einem überhaupt nicht männlichen Schrei auf. Plötzlich ist er hellwach.

      „Bist du total bescheuert? Kannst du nicht aufpassen?“, schimpft er, und ich stehe da wie ein begossener Pudel. Meine Haare kleben mir am Kopf, genauso wie das Shirt am Körper. Ich bin so perplex, dass ich kein Wort der Entschuldigung hervorbringe. Röte schießt mir ins Gesicht, die man in diesem schemenhaften Dunkel zum Glück nicht sieht.

      Hämisches Gelächter hinter vorgehaltener Hand entspannt die Lage, und Lars verlässt fluchend die Sauna. Leichte Schadenfreude breitet sich in mir aus. Es gibt also doch noch Gerechtigkeit! Nicht, dass ich jemandem oder ihm etwas Schlechtes wünsche. Doch das hat er irgendwie verdient.

      Als er endlich draußen ist, beginne ich mit der letzten Runde. Am Ende bekomme ich Applaus. Diese Anerkennung habe ich zum Abschluss dieses schrecklichen Tages wirklich gebraucht.

       Lars

      „War das peinlich, Marek!“ Ich sitze auf dem Sofa. Meine linke Hand ruht auf meinen geschlossenen Augen. Die Mansardenwohnung liegt im vierten Stock und hat einen tollen Ausblick auf die Innenstadt. Das Grün der Bäume ragt zwischen den Dächern hervor. Es erweckt den Eindruck, man wohne hier eher im Wald als in einer Großstadt. Die Wohnung ist nicht groß, aber sie gehört mir. Jedenfalls solange ich die Miete zahle. Meinem Vater war es zwar nicht recht, als ich hier eingezogen bin, da er es lieber gesehen hätte, ich wäre bei ihm in der Villa wohnen geblieben, aber er hat mich nicht umstimmen können. Ich bin immer noch stolz auf mich, sein Angebot für das Loft, das er mir kaufen wollte, ausgeschlagen zu haben. Hier bin ich mein eigener Herr und stehe nicht mehr unter seiner Fuchtel. Es reicht schon, dass ich ihm in anderen Dingen ausgeliefert bin.

      Das Gelächter von meinem kleinen Bruder dringt aus dem Handy direkt an mein Ohr.

      „Ich habe mich total bloßgestellt!“

      „Du meinst wohl eher entblößt“, prustet Marek.

      „Ha-ha, sehr witzig. Ich habe mich absolut zum Honk gemacht. Was soll sie denn jetzt von mir denken?“

      „Sicherlich nur Gutes. Und süße Träume wird sie bestimmt auch von dir haben. Hi-hi-hi.“ Marek scheint sich auf der anderen Seite der Leitung köstlich zu amüsieren. Es macht ihm Spaß, mich damit aufzuziehen. Mein Bruder hat manchmal einen sonnigen Humor.

      „Hoffentlich denkt sie nicht, dass ich ein Exhibitionist bin.“

      „Ach komm, du stellst dich doch sonst auch mal gern zur Schau.“

      „Ja, aber doch nicht so! Und schon gar nicht vor neuen Kolleginnen.“

      „… die bald deine Angestellten werden, vergiss das nicht.“

      „Hör bloß auf! Daran will ich überhaupt nicht denken. Das war die blödeste Schnapsidee aller Zeiten!“

      „Wie ist es denn so weit gekommen? Ich meine, in der Sauna. Musstest du nicht damit rechnen, ihr eventuell dort zu begegnen?“

      „Weiß auch nicht. Irgendwie war ich nicht ich selbst. Womöglich eine Fehlschaltung in meinen Synapsen. Eigentlich wollte ich gerade den Schwitzkasten verlassen. Die Sanduhr war schon durchgelaufen, und ich saß bereits ganz unten auf der untersten Bank, weil ich längst überhitzt war, als die Tür zur Sauna zum Lüften aufgemacht wurde. Das war sehr angenehm. Also bin ich sitzengeblieben. Ich hatte gerade an sie gedacht, wie sie auf dem Laufband so ein Tempo hingelegt hatte. Das habe ich ihr gar nicht zugetraut. Da stand sie auch schon vor mir. Zuerst habe ich das gar nicht geschnallt. Ich war noch so mit meinem Tagtraum beschäftigt …“ Aus dem Nichts taucht ihr hübsches Gesicht vor mir auf. Diese atemberaubenden Augen und ihr Blick gnadenloser Intensität, für den sie eigentlich einen Waffenschein benötigen sollte. Mit einem Blauton, den ich noch nie gesehen habe. Dunkelblau, und um die Iris ein grünlicher Farbkranz. Ihre Seelenfenster sind klar und unergründlich wie ein Bergsee und trotzdem warm wie ein Kaminfeuer und können sogar Funken sprühen. Und ihre geschwungenen, vollen Lippen …

      „Erde an Lars! Bist du noch da oder schon eingeschlafen? Was ist dann passiert?“, holt mich Marek auf den Boden der Tatsachen zurück.

      „Ach, was weiß ich“, erwidere ich verärgert. „Ich war wie hypnotisiert. Bin erst zu mir gekommen, als sie den Kübel mit den Eiswürfeln über mir ausgekippt hat. Das hat sie sicherlich absichtlich gemacht. Das Biest!“

      „Na, das nenne ich mal eiskalt abserviert, mein Lieber!“

      „Dann habe ich Hannah auch noch beschimpft, weil ich mich so erschrocken hatte. Wie soll ich ihr morgen nur unter die Augen treten?“

      „Jedenfalls nicht nackt.“

      „Sehr witzig, Marek. Das ist keine Hilfe. Ich muss das irgendwie wiedergutmachen, wo doch schon der Anfang so unterkühlt war. Dabei wollte ich doch nur mit meinem Spruch heute Morgen das Eis brechen.“

      „Das hat offensichtlich schon sie übernommen. Es lebe die Emanzipation! Dafür hast du sie mit nackten Tatsachen konfrontiert“, erwidert mein Bruder, und ich höre über das Telefon, dass er schmunzelt.

      „Ich muss unbedingt bei ihr punkten, sonst wird die Zusammenarbeit mit ihr der reinste Spießrutenlauf!“

      „Okay, ich habe eine Idee. Wir machen Folgendes …“

       Hannah

      Ich werde vom fröhlichen Geschepper der Mülltonnen geweckt. Mit einem Auge schiele ich auf den Wecker. Zehn vor sieben! Mit einem Ruck sitze ich senkrecht im Bett. Verschlafen, na super! Der Dienstag scheint da anzufangen, wo der Montag aufgehört hat.

      Reflexartig springe ich aus dem Bett, und meine Füße landen auf meinem Flokatiteppich. Offensichtlich gefällt ihm das nicht, denn er versucht, mich abzuwerfen. Vor Schreck strauchele ich. Mit schmerzverzerrtem Gesicht komme ich zum Stehen. Der Muskelkater in den Oberschenkeln ist unbeschreiblich und zieht bis in die Pobacken. Dennoch husche ich so schnell wie möglich ins Bad und mache mich fertig. Frühstück muss heute ausfallen. Das kann ich gleich im Büro nachholen.

      Paul und Gisbert bekommen noch frisches Wasser und ihr Futter. Streicheleinheiten müssen bis nachher warten.

      Ein anderes unerwartetes Problem taucht auf. Was ziehe ich an? Die Frage hat sich mir sonst noch nie aufgedrängt. Ich durchforste meine Sachen und muss feststellen,