Mathilde Berg

Undercover Boss


Скачать книгу

als hätte eine Bombe eingeschlagen.

      Der knappen Zeit wegen verzichte ich darauf, meine leichte Naturkrause mit dem Glätteisen aus den Haaren zu ziehen. Noch ein bisschen Lipgloss, und fertig. Im Vorbeigehen schlüpfe ich in meine Sneaker und schnappe mir Tasche, Jacke und Fahrradhelm. In großen Sätzen haste ich die Treppen nach unten. Das Fahrradschloss klemmt natürlich. Der Verkehr ist heute Morgen enorm. Überall Gehupe und Geklingel. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich eine halbe Stunde später als sonst auf der Piste bin. Schüler kommen mir in Scharen aus allen Gassen in die Quere und verlangsamen meine Fahrt.

      Extrem genervt komme ich beim Verlag an. Der Eingangsbereich bremst mich kurzfristig aus, bevor ich die Stufen zur zweiten Etage hochhaste. Als Warnung an alle, die das Foyer ahnungslos betreten, steht ein gelbes Warnschild mit einem schwarzen Strichmännchen, das hilflos die Arme in die Luft reißt und ausrutscht. Unsere Reinigungskraft pflegt den Marmorboden mit äußerster Hingabe und stundenlang mit Bohnerwachs. Bei Regenwetter ist der Eingangsbereich besonders unfallträchtig. Die Eintretenden fallen regelrecht wie die Kastanien beim ersten Herbststurm zu Boden.

      Mit dem Glockenschlag um acht Uhr klickt die Stechuhr meine Karte ab. Geschafft! Später als sonst, aber nicht zu spät. Ich atme tief durch und gehe zu meinem Büro.

      „Na, gerade noch geschafft?“, ruft Nils von seinem Platz aus quer durchs Büro.

      Klar, muss ja auch jeder mitbekommen, dass man mal etwas später dran ist als sonst.

      Er sitzt mit überkreuzten Beinen, die auf der Tischplatte liegen, weit nach hinten gelehnt in seinem Bürostuhl und pult sich den Dreck mit einer verbogenen Büroklammer unter den Nägeln weg. Hmm, lecker.

      Ich zucke nur entschuldigend mit den Achseln. „Der Verkehr heute Morgen. Ging nicht schneller.“

      „Ich war auch mal jung, hi-hi.“ Bei seinem dreckigen Lachen dreht sich mir der Margen um. Zum Glück ist er noch leer, sonst müsste ich mich jetzt übergeben. „Merk’ dir eins, Dickerchen. Wenn du schon auf deinem Freund rumhüpfst, mach schneller oder verschiebe es auf den Feierabend. Montags bis freitags von acht bis siebzehn Uhr gehört dein Arsch mir. So, und nun schieb’ deinen dicken Hintern hierher. Ich habe Einiges, was du bis zwölf Uhr erledigt haben musst – und zwar zack, zack. Deadline läuft. Ach ja, heute Mittag hätte ich gern was vom Chinesen.“

      Ich verdrehe die Augen. Nils hat ja eine super Laune. Widerrede ist da zwecklos. Ich schnappe mir wortlos die Liste, die Nils mir mit einem schmierigen Grinsen entgegenhält.

      „Ja, ja. Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, schiebt er süffisant hinterher. Er versucht offensichtlich, mich zu provozieren. Aber Auflehnung führt zu nichts, und er sitzt am längeren Hebel, daher halte ich die Klappe und würdige ihn keines Blickes. Beim Gang zu meinem Kabuff schiele ich auf die Liste. Dabei entgleisen mir meine Gesichtszüge.

      „Und schick mir die College-Pfeife!“, höre ich Nils krähen.

      Frustriert reiße ich die Tür meines Minibüros auf, das nur ein Fenster zum Großraumbüro hat. Da es an Tageslicht mangelt, wollte keiner ‚im Schaukasten‘ sitzen. Mir macht das nichts aus. Es ist zwar extrem klein und ein wenig muffig, aber man kann wenigstens die Tür hinter sich schließen. In der Ruhe und Abgeschiedenheit kann ich mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren.

      Beirrt bleibe ich an der Schwelle stehen. „Entschuldigung, hab’ mich in der Tür geirrt.“ Irritiert schließe ich sie wieder hinter mir. Irgendetwas stimmt da nicht. Etwas ist anders als sonst. Lars saß dort. Okay, ich versuche, meine Gedanken zu ordnen.

      Verunsichert öffne ich die Tür erneut und spähe in den Raum. Im ersten Moment kann ich es noch nicht erfassen, aber nach und nach lichtet sich der Nebel.

      „Ich habe Tageslicht!“, platzt es erstaunt aus mir heraus. Tatsächlich ist gegenüber ein geputztes Fenster mit knallroten Vorhängen und einer Topfpflanze davor. Auf dem beigefarbenen Teppich liegt ein weinroter Perserteppich, der, zugegeben, etwas abgetreten aussieht – was ihm jedoch nichts abtut. Im Gegenteil, der Vintage-Look verleiht dem historischen Knüpfwerk Charme und passt gut in diesen Raum. An der Decke baumelt statt der einsamen, verstaubten Glühbirne ein kleiner Kronleuchter aus dem Möbelladen mit den vier gelben Buchstaben. Lars sitzt an seinem Schreibtisch gegenüber von meinem.

      „Guten Morgen!“, grüßt er fröhlich.

      „Morgen … Was ist denn hier passiert?“

      „Du wolltest ja, dass ich hier mal ein bisschen klar Schiff mache. Und das habe ich erfolgreich umgesetzt. Ist irgendwie gemütlicher. Findest du nicht?“

      „Doch, doch“, bringe ich verdattert hervor. Er hat recht. Es ist heimeliger und lädt zum Verweilen ein. Staunend schaue ich mich weiter um. In der einen Ecke steht eine Stehlampe, die garantiert aus den Fünfzigerjahren stammt. Hier passt sie aber gut zum Ambiente. Sogar einen Garderobenständer haben wir hier. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.

      Vergessen sind Nils blöde Laberei, der morgendliche Ärger mit dem Wecker und der peinliche gestrige Tag.

      Wie ein Bumerang kehrt die Erinnerung an gestern, insbesondere an den Abend, in mein Gedächtnis zurück, als ich auf meinem Schreibtisch eine Apfelsine liegen sehe. „Eine Orange?“

      „Wir hatten gestern ja nicht so einen guten Start, und da wollte ich mich entschuldigen.“

      „Mit einer Orange?“ Ungläubig schaue ich ihn an.

      „Nun ja, ich habe mich echt blöd benommen. Ich wollte alles perfekt machen. Hat wohl nicht geklappt.“ Lars kratzt sich verlegen im Nacken. „Ich wollte es wiedergutmachen …“

      „Mit Obst?!“

      „Ja … nein … Ich meine … Okay … entschuldige. Mit der Orange konnte ich nicht widerstehen, als ich sie heute Morgen am Obststand gesehen habe.“ Ein schiefes Lächeln liegt auf seinen Lippen, als er Prinz Charming heraushängen lässt. Fehlt nur noch, dass er mir zuzwinkert. Automatisch verengen sich meine Augen zu Schlitzen. Seine Reue scheint ja von sehr kurzer Dauer zu sein.

      „Also, in der Sauna …“, er räuspert sich, schaut verlegen nach unten, „… du musst zugeben, die Begegnung in der Sauna war …“

      „Unpassend? Unangemessen? Fehl am Platz?“

      „Nun ja, ungewöhnlich, wollte ich sagen.“

      „Du bist der arroganteste, aufgeblasenste Macho, den ich kenne! Schenkst mir einfach eine Apfelsine und weist damit direkt auf dein sexistisches, taktloses, peinliches Verhalten hin.“

      „So habe ich das gar nicht gemeint! Es ist mir ausgesprochen unangenehm, was gestern in der Sauna passiert ist. Ich wusste nicht, wie ich das ansprechen sollte. Die Orange ist nur eine Brücke, ein Stichwort, damit ich nicht alles sagen muss. Ich wollte unsere Beziehung glätten.“

      „Beziehung, so, so. Ich wusste gar nicht, dass wir ein Paar sind! Was so ein bisschen nackte Haut alles ausmachen kann.“

      Inzwischen stützen wir uns beide mit den Fäusten auf der Tischplatte ab und kläffen uns an wie Köter in einer Arena, die gleich aufeinander losgehen.

      „Weißt du was? Eigentlich wollte ich die Wogen glätten, indem ich das Büro aufhübsche, weil mir ein gutes Arbeitsverhältnis sehr wichtig ist. Das geht aber nicht, solange der Vorfall in der Sauna zwischen uns steht. Aber du musst mir ja jedes Wort im Mund umdrehen. Du bist eine kratzbürstige Zicke!“

      „Das sagt ausgerechnet Mister Unwiderstehlich. Du aufgeblasener Popanz!“

      „Xanthippe!“

      „Du kannst es nur nicht ertragen, mit jemandem wie mir zusammenzuarbeiten!“

      „Nein, das stimmt nicht!“

      „Du würdest sicherlich lieber mit Lisa oder den anderen Kolleginnen zusammensitzen als mit mir!“

      „Wie kommst du jetzt darauf?“

      „Wir sind eben sehr unterschiedlich. Du siehst aus, als wärst du aus einem Modekatalog