Mathilde Berg

Undercover Boss


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gut!“ Sie schaut mit einem wissenden Lächeln auf ihren Teller und isst weiter, als ob nichts gewesen wäre. Meine Mutter ist sehr hartnäckig und gibt ansonsten nicht so schnell auf. An ihrem Blick kann ich sehen, dass sie sich ihren Teil denkt. Die entstandene Stille, wo nur das Geklapper von Messer und Gabel auf dem Porzellan zu hören ist, wird immer lauter. Die Spannung steigert sich wie ein Luftballon, der kurz vom Zerplatzen ist.

      Schließlich kann ich es nicht mehr ertragen. „Was?“

      „Hmm?“ Sie schaut mich fragend an, als hätte ich sie aus ihren Gedanken gerissen. „Nichts, alles ist gut!“

      Es macht mich wahnsinnig, wenn sie so rumdruckst. „Nun mach doch kein Drama daraus, wenn ich mal nicht bei euch aushelfen kann.“

      „Mach ich gar nicht!“

      „Sondern?“

      „Ach, ich schwelge ein wenig in Erinnerungen. Ich habe gerade an deinen Papa denken müssen. Wie wir uns kennengelernt haben. Ich war auf den ersten Blick in ihn verliebt. Ihn musste ich aber erst noch von mir überzeugen.“

      „Bitte keine Details!“

      „Ich habe Gerd zu uns nach Hause eingeladen. Meine Eltern waren an diesem Abend zum Kartenspielen bei den Wischnefkys.“

      „Mama, ich weiß nicht, ob ich das jetzt hören möchte.“

      „Ich habe für ihn gekocht!“

      „Und?“ Ich bin mir nicht sicher, worauf meine Mutter hinauswill. „Was hat das mit mir zu tun?“

      „Hannah, liebe geht durch den Magen!“

      Jetzt fällt bei mir der Groschen. „Oh! Die Sachlage mit meinem Kollegen und mir ist völlig anders als du denkst. Wir sind am ersten Tag furchtbar aneinandergeraten. Er ist ein Machomann wie er im Buche steht. Wir müssen aber nun mal miteinander arbeiten und sitzen zudem noch in einem Büro. Dieses Treffen ist mehr ein Friedenstreffen. Abgesehen davon hat er ganz andere Ambitionen, glaub mir. Mehr als eine aufgewärmte Pizza aus dem Supermarkt erwartet mich nicht. Er, ein Schönling, macht sich garantiert nicht die Finger schmutzig.“

      „Tja, wenn das so ist.“

      „Es ist so!“

      Der weitere Abend verläuft harmonisch. Wir unterhalten uns noch über einige mehr oder weniger belanglose Dinge und lachen über den neusten Klatsch im Treppenhaus, bis ich aufbrechen muss.

      Paul und Gisbert quieken munter in ihrem Käfig, als ich nach Hause komme. Bevor ich zu Bett gehe, bekommen die beiden frisches Wasser und Futter.

      Bei den leisen Schmatzgeräuschen, die sie zufrieden von sich geben, schlafe ich ein.

       ***

      Der Donnerstagvormittag plätschert so dahin. Von Nils bekomme nach der Redaktionssitzung jede Menge Notizen für die Kolumne und einen Bericht auf den Tisch geklatscht.

      „Hier, Konfetti, damit du dich nicht langweilst in deinem Traumpalast.“ Dabei macht er eine ausladende Geste. Er ist offensichtlich neidisch auf unser schönes Büro. Ich denke, er kann nachts nicht mehr richtig schlafen, weil er darüber nachdenkt, wie er uns das vorher verschmähte Büro abluchsen kann. Mit seiner unverwechselbaren, schnodderigen Art und Weise baut er sich vor uns auf. „Heute Abend habe ich alles fertig auf dem Tisch, klar? Und du, College-Pfeife, siehst zu, dass du in der Kaffeeküche klar Schiff machst. Kaffee ist schon wieder alle. Habe zum wiederholten Male nur den letzten, abgestandenen Rest abbekommen. Irgendjemand hat mir alles weggesoffen!“ Dabei schaut er grimmig auf Lars’ dampfenden Becher Kaffee.

      „Den habe ich mir in einer Thermoskanne selber mitgebracht!“, verteidigt sich Lars.

      „Nun fühl dich mal nicht auf die Füße getreten, Prinzesschen. Außerdem haben wir keinen Zucker mehr, und jeder weiß, dass man bei Stress einen höheren Energiebedarf hat. Sonst droht das diabetische Koma …“

      „Ich habe Süßstoff anzubieten“, wagt Lars, Nils ins Wort zu fallen.

      „Du hältst dich wohl für sehr witzig, was? Beweg’ deinen Arsch in den nächsten Supermarkt und hol’ Zucker! Aber dalli. Du bist sicherlich nicht an einer schlechten Beurteilung interessiert, oder?“

      „Ähhh …“ Lars ist sprachlos.

      „Dachte ich mir doch, dass wir uns verstehen. Das faule Studentenleben ist vorbei. Zeit, in der Realität anzukommen.“ Er wirft mir einen letzten Blick zu und sagt: „Deadline läuft.“ Dann verlässt er das Büro und knallt dabei so hart die Tür hinter sich zu, dass eins von den neuen Bildern an den Wänden bedrohlich ins Wanken gerät.

      „Was war denn das?“

      „Darf ich vorstellen: Nils, der Sklaventreiber.“

      „Darf der das? So mit uns reden und uns so behandeln?“

      „Wo kein Kläger ist, ist auch kein Angeklagter.“

      „Aber so was muss doch der Chef erfahren!“

      „Herr Gröne?“

      „Ja!“

      „Der interessiert sich vor allem für die Zahlen. Glaub’ mir, das führt zu nichts. Aus irgendwelchen Gründen hat Nils einen Stein bei ihm im Brett. Das liegt wohl daran, dass er das abliefert, was der Kunde lesen will, und die Auflage steigert. Er sorgt dafür, dass wir uns auf dem Markt gut behaupten können.“

      Darauf erwidert Lars nichts mehr. Er steht auf und marschiert in den nächsten Supermarkt.

      Die Recherchearbeiten sind umfangreich. Lars habe ich, zu meiner Entlastung, die Leserbriefe und das Horoskop übergeben. Damit ist er mehr als nur beschäftigt. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie er sein Studium geschafft hat. So hilflos habe ich noch keinen Kollegen gesehen, wenn er vor einem leeren Blatt Papier sitzt – und ich spreche nicht von einer Schreibblockade. Wir alle lieben das Schreiben. Darum haben wir uns schließlich für diesen Beruf entschieden.

      „Das ist doch Schwachsinn!“, ruft Lars über den Tisch.

      Seit heute Morgen dudelt ein kleines Radio auf der Fensterbank, dass Lars mit einem Tada! aus seinem Rucksack hervorgezaubert hat, als käme ein weißes Kaninchen daraus hervor. Hätte nicht gedacht, dass Musik so entspannend sein kann. Es ist richtig gemütlich in unserem Büro.

      „Da schreibt tatsächlich jemand, ich zitiere: ‚Ich möchte jetzt auch Schüßler-Salze wie die heißen Sieben ausprobieren. Ich weiß aber nicht, ob ich dabei was Bestimmtes beachten muss.‘ Haben die kein Internet?“

      „Im Heft zweiunddreißig hatten wir einen Bericht über Schüßler-Salze. Die Informationen kannst du dir im Archiv aufrufen. Schreib’ so sachlich und allgemein wie möglich.“

      „Okay, aber das ist doch Schwachsinn!“

      „Für dich vielleicht, aber für den Leser ist es wichtig und für uns ist es ein Zeichen, dass die Berichte gelesen werden. Somit wissen wir, was unsere Kunden interessiert.“

      „Ich dachte immer, die Geschichten der Kummerkasten-Tante wären längst überholt. Das liest doch keiner mehr!“

      Es entlockt mir ein Schmunzeln. „Irgendwie müssen doch die leeren Seiten gefüllt werden. Daher auch die Rätselecke, das Horoskop, die Rezeptideen mit Bildern, Reisetipps, Witze und Cartoons. Aber auch Informationen über Gesundheit, die Kolumne und Berichte über andere spannende Themen, um das Fernsehprogramm abzurunden. Je bunter das Drumherum, umso besser. Hast du dich schon mal damit befasst, was für ein Produkt wir herstellen?“

      „Produkt? Eine Zeitschrift!“

      „Korrekt! Um es ganz präzise zu sagen, eine Fernsehzeitschrift. Was unterscheidet unsere Zeitschrift, Schau-Genau-TV, von anderen Programmzeitschriften, die es auf dem Markt gibt?“

      Lars zuckt mit den Achseln.

      „Wir bedienen die breite Masse. Leichte Kost, von jedem etwas. Nicht