Mathilde Berg

Undercover Boss


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habe ich auch schon gesucht.“

      „Dann komme ich gleich und helfe Ihnen beim Suchen. Vier Augen sehen je bekanntlich mehr als zwei.“

      „Na, da bin ich aber gespannt!“ Nils donnert die Tür zu, und die Bilder an der Wand wackeln bedrohlich.

      „Schleimer!“, zische ich.

      Lars zuckt nur mit den Schultern. „Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.“

      „Na gut, du Sprüche-Kasper. Du solltest ihm schleunigst seinen Kuli zurückbringen. Damit versteht er keinen Spaß.“

      „Warum eigentlich?“

      „Man munkelt, er war ein Geschenk einer Verflossenen.“

      „Ähhh …“ Lars verzieht angewidert das Gesicht. „Lass uns bloß die verflixte Feder finden.“

      „Wie willst du ihm das kaputte Ding unterjubeln? Der wird ausrasten.“

      „Lass mich nur machen!“, sagt er mit einem umwerfenden Grinsen und einem schelmischen Blick, der mich dahinschmelzen lässt.

      Die Druckfeder sehen wir gleichzeitig. Als wir beide danach greifen, bin ich etwas schneller. Lars fasst meine Hand. Wir schauen uns an. Sein Gesicht ist meinem ganz nah. Unter seinem gepflegten Dreitagebart ist ein Grübchen versteckt. Um seine rauchblauen Iris ist ein leicht grüner Kranz. Wir verharren in unserer Bewegung. Dann ist dieser magische Moment leider vorbei, und ich reiche ihm die kleine Feder.

      „Danke“, haucht er. Schnell hat er den Kuli wieder zusammengebaut und geht zu Nils.

      Unter einem Vorwand, etwas ganz Wichtiges kopieren zu müssen, folge ich Lars. In Wirklichkeit bin ich viel zu neugierig darauf, wie er den kaputten Kugelschreiber Nils unterjubeln will.

      Erst tut er so, als würde er mitsuchen. Er hätte Schauspieler werden sollen. Plötzlich bückt er sich und hält Nils den Kuli entgegen.

      „Schauen Sie, Herr Förster. Da ist er ja!“

      „Oh! Aber da habe ich doch nachgesehen.“ Nils krault seinen struppigen Bart und macht ein dümmliches Gesicht.

      „Hmmm … anscheinend hat er sich unter den Rollen von Ihrem Stuhl verklemmt, und Sie sind dann darüber gerollt. Hier, er ist leider kaputt.“ Lars präsentiert dem verdutzten Nils seinen geliebten Kugelschreiber mit dem abgebrochenen Klipp.

      „So ein Mist, das habe ich gar nicht gemerkt!“ Nils schaut traurig auf die Trümmer in seiner Hand.

      „Also dann, Herr Förster. Ich hole Ihnen mal was zu essen. Sie sehen aus, als würden Sie jetzt etwas Ordentliches vertragen können. Chinesisch oder von der Imbissbude?“

      „Currywurst und Pommes rot-weiß!“

      „Geht klar!“

      „Lars?“

      „Ja?“ Er dreht sich zu Nils um.

      „Kannst mich Nils nennen.“

      Lars tippt sich mit dem Zeigefinger an seinen imaginären Hut. Dann geht er an mir vorbei, grinst und zwinkert mir frech zu.

      Ich kann nur den Kopf schütteln. Aus diesem Kerl werde ich einfach nicht schlau.

       Hannah

      Freitagabend, neunzehn Uhr. Mit wackligen Knien stehe ich vor der Adresse, die Lars mir gegeben hat. Ein klassischer Klinkerbau im Jugendstil mit Nischen, Erkern und Türmchen. Im Prinzip genau das, was ich von ihm erwarte habe. Eins muss man ihm lassen: Für Stil und Schönheit hat er ein Händchen.

      Seinen Namen hat er mit weißem Dymoband über den des Vormieters auf das Klingelschild geklebt. Vorn ist noch ein ‚El‘ und hinten ein ‚ne‘ zu sehen. In der Glasscheibe der Eingangstür überprüfe ich meine Frisur und mein Make-up. Zu viel Lippenstift, entscheide ich. Aus der Handtasche hole ich ein Papiertaschentuch und tupfe damit den Farbüberschuss von den Lippen.

      Dann drücke ich mit zittrigen Fingern den Klingelknopf. Der Türöffner summt, die Sprechanlage knistert und Lars Stimme schnarrt aus dem grauen Kasten neben der Tür.

      „Hallo! Komm rein. Ganz nach oben, in die Mansarde.“

      „Okay!“ Meine Stimme klingt etwas wacklig. Mein Herz klopft mir vor Nervosität bis zum Hals und verschlägt mir die Sprache.

      Das Treppenhaus raubt mir den restlichen Atem. Der Steinboden ist mit einem weiß-braunen, floralen Mosaik ausgelegt. Ein verspieltes, schmiedeeisernes Treppengeländer schmückt die großzügige Wendeltreppe im lichtdurchfluteten Treppenhaus. Durch das Auge der Treppe sehe ich eine Glaskuppel. Beinah ehrfürchtig schreite ich die Stufen hinauf. Ein wenig aus der Puste komme ich im vierten Stock an.

      Lars lehnt mit verschränkten Armen lässig im Türrahmen. Ein Geschirrtuch hängt über seiner rechten Schulter. Eine Mehlspur ziert seine linke Wange. Aus der Wohnung wabert ein unwiderstehlich leckerer Duft zu mir, den mein Magen freudig mit einem glucksenden Geräusch kommentiert.

      „Hey“, sage ich zur Begrüßung. Mir fällt nichts Geistreicheres ein.

      Lars hingegen sagt nichts, schaut mich nur mit großen Augen an, was ich wiederum auf meinen neuen Kleidungsstil zurückführe. Ich hätte doch die Hose anziehen sollen, nicht den Rock.

      „Ich wohne hier!“

      Auch nicht besser, denke ich mir, nicke ihm aber verständnisvoll zu. „Ganz schön viele Stufen!“

      Lars nickt zustimmend.

      Wir verhalten uns wie Fremde. Ich hasse solche Situationen.

      „Wein“, sage ich und halte mein Mitbringsel hoch. „Ich habe Wein mitgebracht.“

      „Super!“ Lars scheint aus seiner Schockstarre erwacht zu sein. „Entschuldige bitte. Wo habe ich nur meine Manieren? Komm doch herein. Schön, dass du da bist. Wein passt hervorragend.“

      Ich trete in sein modern eingerichtetes Apartment. Es ist überraschend gemütlich. Die Decken sind hier, im Gegensatz zum Flur, wesentlich niedriger. Küche und Wohnzimmer bilden einen großen Raum mit einem atemberaubenden Ausblick durch die bodentiefe Fensterfront auf die Stadt.

      Das Plopp des Weinkorkens lässt mich zusammenfahren. Auf dem Küchentresen stehen zwei große, bauchige Weingläser. Lars riecht versonnen am Korken, nickt und schenkt den Merlot ein. Er schwenkt sein Glas, betrachtet die Farbe, atmet das Bouquet ein und stellt das Glas zufrieden auf den Tisch. „Gute Wahl! Kennst du dich mit Wein aus?“

      „Nein, eigentlich nicht. Du anscheinend schon.“

      „Nun ja, ein wenig vielleicht“, erwidert er bescheiden. „Ich mag Wein. Nimm doch Platz.“

      Meine Strickjacke und Handtasche lege ich auf dem Sofa ab. Etwas unbeholfen klettere ich auf den hohen, gepolsterten Hocker. Mit der Lehne ist er wesentlich bequemer als ich dachte.

      Lars holt zwei tiefe Teller aus dem Schrank. Ein Topf steht auf dem Herd und köchelt leise vor sich hin. Die Uhr am Backofen piept. „Oh, entschuldige. Ich hole nur eben das Baguette aus dem Ofen.“

      Erwartet habe ich ein aufgebackenes Knoblauchbaguette aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt. Stattdessen zaubert er ein duftendes Backwerk aus dem Ofenrohr. Schneller als ich schauen kann, schneidet er es gekonnt in Scheibchen, füllt es in ein Körbchen mit einem Leinentuch darin und stellt es zwischen uns auf den Küchentresen.

      „Hast du das selber gemacht?“

      „Ja, ich liebe frisches Brot. Außerdem passt es hervorragend zu unserem Essen.“

      Ich kann nur staunen und starre ihn wahrscheinlich an, als wäre er das siebte Weltwunder. Hoffentlich bemerkt er es nicht. Männer, die kochen können, find ich einfach sexy.

      „Als Vorspeise habe ich uns ein Tomatenschaumsüppchen gekocht.“