Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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mit ihrem pfiffig-unschuldigen Gesicht eines dreizehnjährigen Buben. Das Hübscheste an ihr, fand Abel, war die geschwungene Linie des Hinterkopfes. Das mattblonde Haar trug sie kurz geschnitten, links flott gescheitelt.

      ›Eigentlich eine etwas ungewöhnliche Manier, sich herzurichten, für so ein junges, dummes Stinchen vom Lande‹ mußte Benjamin denken. War es die große Einsamkeit seines Lebens, die ihn mißtrauisch werden und ihn allerorten sonderbare, etwas unheimliche Zusammenhänge wittern ließ? Er begann zu argwöhnen, daß es auch um das brave Stinchen weniger harmlos stünde, als er es zunächst gehofft und vorausgesetzt hatte.

      Während der ersten Wochen seines Aufenthaltes im »Huize Mozart« hatte es ihm viel Spaß gemacht, gelegentlich eine Viertelstunde mit Stinchen zu verplaudern. Sie redete gar nicht deutsch, war auch zu ungeübten Verstandes, um die Worte einer Sprache, die doch mit ihrer eigenen so intime Verwandtschaft hatte, zu erraten. Abel sah sich gezwungen, all seine Kenntnisse des Holländischen zusammenzunehmen, um sich verständlich zu machen. Das bedeutete eine gute Übung, und Benjamin konnte sie wohl gebrauchen. Stinchen war nachsichtig, munter und geduldig. Gutmütig lachte sie über die groben Schnitzer, von denen jeder seiner Sätze wimmelte, und es vergnügte sie, den feinen gelehrten Herrn zu korrigieren.

      Es war Stinchens Mutter, eine rüstige und derbe Person, deren schwere Schritte und rauhe Stimme gewaltig durch das Haus hallten, die dem einsamen Fremden das kleine Trostvergnügen nicht gönnen wollte. Zu Anfang hatte sie sich um das Verweilen ihrer Tochter in der Stube des deutschen Mieters kaum gekümmert; mit der Zeit aber schien sie mißtrauisch und gereizt zu werden. Meistens brachte sie nun selbst die Mahlzeiten zu Abel hinauf, und wie böse schaute sie ihn an, wenn sie die Schüsseln so hart vor ihn hinstellte, daß es einen Knall und ein Geklapper gab. Erschien aber doch noch einmal das Stinchen, und verweilte sie auch nur ein paar Minuten lang, gleich ließ die Mutter ihre erzürnte Stimme hören. Stinchen ward bleich, traute sich kein Wort mehr zu sagen, sondern machte nur noch mit den Händen hilflose kleine Zeichen – und entschwand.

      Was für eine sonderbare Frau war Stinchens Mama! Professor Abel fürchtete sie fast ebensosehr wie den garstigen Brummer im ersten Stock. Weibliche Züge schienen der kräftigen Person ganz zu fehlen. Gang und Stimme, ja, Form und Bildung ihres Gesichtes und ihrer Hände waren durchaus viril. Die Haare trug sie kurz geschnitten wie Stinchen; aber sie hatte sie nicht gescheitelt, sondern streng nach hinten gekämmt. Über einem steif gestärkten, stets blendend weißen Stehkragen zeigte ihr kantiges Gesicht harte und strenge Züge; doch wirkte es nicht nur herrisch, sondern auch verstört und leidend; in den engen Augen gab es irre Flackerlichter.

      Häufig machte sie ihrem Stinchen maßlos heftige Szenen; während das arme Ding auf dem Boden kniete, den sie mit dem Putzlappen bearbeitete, stand die unmütterliche Mama, breit- und steifbeinig wie ein Grenadier, daneben und grollte, tobte, klagte, schalt und weinte. Wenn solche Ausbrüche vorüber waren, ging sie mit einem verzweifelten Gesicht umher, schloß sich wohl auch stundenlang in ihre Kammer ein, die sie mit Stinchen teilte, in die das Kind dann aber keinen Zutritt hatte – und wenn sie wieder zum Vorschein kam, zeigte sie blutig zerbissene Lippen und geschwollene Augen.

      Wunderliche Verhältnisse – dem armen Abel gaben sie viel zu denken. ›In was für undurchsichtig trübe Dinge man verwickelt wird, wenn man sich in die Fremde wagt‹, war sein bestürztes Empfinden. Die Eifersucht, mit der die maskuline Alte jeden Schritt des kleinen Stinchens verfolgte, schien ihm auf eine verdächtige Art übertrieben. Das war nicht mehr die natürliche Sorge der Mutter um die Tugend der Tochter; vielmehr die gespannte, leidend wilde Wachsamkeit der Liebenden.

      Welche Gründe die Eifersucht der hysterischen Magd auch immer haben mochte, sie konnte für Benjamin gefährlich werden. Er durfte sich schmeicheln, daß er dem Stinchen nicht ganz gleichgültig war. Ihre freundlichen Blicke, ihr Erröten, wenn er in die Nähe kam, verrieten, daß der interessante einsame Mann ihr kindliches Herz beeindruckte und beschäftigte. Sehr angenehm, sehr niedlich und erfreulich! Aber doch auch wieder beängstigend, unter den Umständen, wie sie nun einmal waren. ›Die Alte brächte es fertig, mir Gift einzugeben‹, fürchtete sich Benjamin Abel. Jedes Gericht, das aus der Küche kam, wo die gar zu liebevolle Mutter schaltete, konnte den Tod bringen …

      Benjamin hatte längst beschlossen, möglichst bald umzuziehen; aus einer Trägheit, die allmählich den Charakter einer totalen psychischen Lähmung bekam, brachte er es nicht über sich, seinen vernünftigen Vorsatz auszuführen. Er blieb – obwohl alles, was ihn umgab, ihm täglich unheimlicher und gespenstischer wurde.

      Recht schaurig war zum Beispiel, daß vor dem Krankenhaus, das dem »Huize Mozart« gegenüberlag, täglich mindestens einmal das schwarze Leichenauto stationierte. Häufig hatte Benjamin, der soviel Zeit unbeschäftigt am Fenster verbrachte, schon beobachten können, wie der Sarg aus dem Portal der Klinik getragen und in das sinister-elegante, schwarz lackierte Fahrzeug verladen wurde. Während der ersten Wochen seines Aufenthaltes war ihm dergleichen nie aufgefallen. War damals die Sterblichkeit im Hospital geringer gewesen? Oder hatte man die soeben Verblichenen auf dezentere Art aus dem Hause geschafft? Es war ja wohl im allgemeinen üblich, den Abtransport derer, die da ausgelitten haben, auf eine Stunde zu legen, die von den Lebenden verschlafen wird … mit diesen zivilisierten Usancen also hatte das »Ziekenhuis«, auf dessen saubere Front Benjamin den Blick hatte, rigoros gebrochen. Am hellen Tage ging hier mit zynisch-unbekümmerter Sachlichkeit vonstatten, was sonst, mit zarter Rücksicht auf die natürliche Aversion der Atmenden gegen die Erstarrten, im schonenden Dämmerlicht und an versteckter Stelle erledigt wurde.

      Übrigens konnte Abel sich nicht verhehlen, daß er die Abreise der stummen Gäste in ihren schwarz verhangenen, motorisierten Luxuskarossen mit Neugierde, ja, nicht ohne ein gewisses schlimmes Vergnügen beobachtete. Er ertappte sich bei Gedanken, die zu mißbilligen und absurd zu finden, er denn doch die moralische Kraft noch aufbrachte. ›Wie behaglich muß es sein‹, empfand er sehnsuchtsvoll, ›wie so sehr angenehm und behaglich, wenn man nicht mehr darüber nachgrübeln muß: Wo gehöre ich hin? Wo ist mein Vaterland? Wo werden meine Dienste verlangt? Was fange ich an mit den Gaben, die mir Gott gegeben? Wie verwende ich sie …? Die schmale, langgestreckte, schwarz lackierte Kiste wird zum Vaterland, ein anderes kommt nicht mehr in Frage … Von mir genommen die Qual der Zweifel, der Enttäuschungen, Schmerz … Eine dunkle Kutsche steht vor dem Tore und erwartet mich … Freundliche und kräftige Männer in schicklicher schwarzer Tracht holen mich ab, und wer vorüberkommt, nimmt den Hut ab … Denn ich bin ein freier Herr geworden, ich bin vornehm …‹ Wenn der Einsiedler mit seinen abwegigen, defaitistischen und unerlaubten Gedanken bis zu diesem Punkte gekommen war, spürte er wohl einen Schrecken und gesunde, kräftige Empörung gegen sich selbst. ›Was ist das alles denn für abgeschmackter Unsinn! Ich habe doch noch manches in dieser Welt auszurichten, und es wird wohl irgendwo noch Leute geben, die mich brauchen können! Bleibt mir wirklich nur noch die fragwürdige Behaglichkeit des Leichenautos übrig, weil in meinem Vaterland zur Zeit das Pack die honetten Leute schikanieren darf …? Ich komme ja innerlich ganz aus der Form, weil ich zuviel allein bin und mich noch auf keine ernsthafte Arbeit konzentrieren kann. Jetzt gebe ich mir aber einen Ruck, ziehe meinen guten blauen Anzug an und besuche ein paar holländische Kollegen.‹

      Die Visiten im Haag und in Leiden verliefen angenehm. Abel hatte menschenfreundliche, gescheite und gerechte Männer angetroffen. Was hielt ihn davon ab, diese Besuche zu wiederholen, einen regelmäßigen, intimeren Verkehr mit den niederländischen Gelehrten herzustellen? Sie waren ihm wohlgesinnt, schätzten seine Arbeit, nahmen Anteil an seinem Schicksal. Recht herzlich war er, sowohl in Leiden als im Haag, aufgefordert worden, sich bald einmal wieder zu melden. Der Umgang mit den angesehenen, wohlbestallten Forschern hätte von bedeutendem Nutzen sein können. Hatte der eine von ihnen nicht schon vielversprechende Andeutungen gemacht? »Köpfe wie Sie können wir brauchen«, hatte er zu Abel gesagt. »Vielleicht zunächst einmal eine Gastprofessur …« Es bestand kein Anlaß, dergleichen für leere Höflichkeitsfloskeln zu halten. Abel hätte auf dieses halbe Angebot sofort eingehen sollen, und er hätte sich nicht zu schämen brauchen, später dringlich darauf zurückzukommen. Er unterließ es. Warum unterließ er es denn …?

      Er ging herum, ließ die Zeit verstreichen. Die holländischen Freunde – genauer gesagt: die Bekannten, die wohl dazu bereit gewesen wären, seine Freunde zu