Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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Gefangenen, welcher Richtung sie auch immer angehörten, eine natürliche und feste Solidarität sich herstellte. »Ich habe nie gedacht, daß es unter den Kommunisten so viel anständige Kerle gibt«, sagte der junge Sozialdemokrat. »Wenn man sich im KZ so richtig kennengelernt hat, weiß man, daß man auch draußen miteinander arbeiten kann …«

      Marion und Hummler nickten. Ein anderer von den jungen Leuten fing an zu klagen: über die Leichtgläubigkeit der Arbeiter; über den Mangel an Klassenbewußtsein, den er bei ihnen gefunden hatte; daß sie sich von jedem Schwätzer anlügen und verführen ließen. »Ich kenne so viele, die bei uns oder bei der Kommune waren und die jetzt das Hakenkreuz im Knopfloch tragen.« – »Sie werden mit der Zeit schon noch hinter den Schwindel kommen«, versprach Hummler. »Es ist unsere Sache, sie aufzuklären – nicht einmal, sondern hundertmal. Dafür sind in Deutschland diejenigen von unseren Leuten da, die wirklich was wissen und was gelernt haben. Ihr seid dafür da, Jungens!« rief Hummler forsch. Etwas gedämpfter fügte er hinzu: »Und wir hier in der Emigration. – Ihr sollt gutes Material mitbekommen, wenn ihr nach Deutschland zurückgeht!« Die drei Burschen antworteten nicht; zeigten aber ernste und begeisterte Mienen. Auch gingen sie plötzlich aufrechter, die Köpfe stolzer erhoben, als seien sie sich einer schönen und schweren Pflicht trotzig bewußt.

      Es war Zeit zum Mittagessen; Marion schlug vor, man solle zur Schwalbe gehen. »Da trifft man immer ein paar Freunde.« – Das kleine Restaurant florierte, trotz der drückenden Hitze. Von den Stammgästen hatte fast keiner genug Geld, um aufs Land zu fahren; hingegen langte es gerade noch zu einem Schnitzel bei der Schwalben-Mutter.

      Während Marion und ihre Begleiter, langsam und träg, durch den Luxembourg-Garten spazierten, erkundigten die Burschen sich nach den Verhältnissen in der Emigration. Hummler berichtete über die politische Arbeit, die sich langsam organisierte. Er sprach von den humanitären Comités – die Flüchtlinge, die immer zahlreicher eintrafen, mußten empfangen und provisorisch versorgt werden – und von den Bemühungen, aufklärend, propagandistisch zu wirken. Die publizistische Aktivität der Emigranten – dozierte Hummler – habe zwei Aufgaben. Sie müsse von der Welt gehört werden und den noch zivilisierten, noch demokratischen Nationen das wahre, erschreckende Bild des Dritten Reiches eindringlich zeigen; andererseits aber sei es von eminenter Wichtigkeit, daß der Kontakt zur Heimat gewahrt bleibe – erstens, um von dort die Nachrichten zu beziehen, die dann in die Welt zu lancieren sind; zweitens, um Aufklärungen, Warnungen und die Aufrufe zum permanenten Widerstand nach drinnen zu leiten, auf den geheimen, schwierigen und gefahrvollen Wegen der illegalen Agitation. »Wir fangen gerade erst an«, erklärte der Mann vom Volksbildungswesen. »Aber manches ist im Entstehen begriffen, manches entwickelt sich schon …«

      Er erzählte von deutschen Zeitschriften und Verlagen, die »draußen« eröffnet worden waren oder nächstens ihre Publikationen beginnen würden. Eine deutsche Tageszeitung erschien seit neuestem in Paris. »Es ist alles nur ein Anfang!« wiederholte Hummler. »Und die Schwierigkeiten, denen wir bei all unseren Unternehmungen begegnen, sind kolossal.«

      Marion ließ sich ausführlicher über die diversen Schwierigkeiten vernehmen. »Sie werden nicht nur durch die Gleichgültigkeit der Welt verschuldet«, erklärte sie; »auch nicht nur durch unseren Mangel an Mitteln. Die psychische Verfassung der Emigranten selber spielt dabei eine Rolle. Ich könnte ein Lied davon singen …« – Seit mehreren Monaten bemühte sich Marion, eine kleine Theatertruppe zusammenzustellen, mit der sie auf Tournee gehen wollte. »Ein junger Autor hat mir ein paar politische Einakter geschrieben, die recht wirkungsvoll sind. Wir könnten mit dem Programm, das ich im Kopf habe, halb Europa durchziehen. Es würde eine gute, nützliche Sache sein – und den Mitwirkenden würde es soviel bringen, daß sich anständig davon leben ließe. Aber nun fangen die Komplikationen erst an. Ich habe mit vielen begabten Schauspielern verhandelt, die in Deutschland nicht mehr auftreten können – oder nicht mehr mögen. Jeder hatte andere Einwände. Dem einen war mein Programm ›zu links‹; dem anderen ›nicht links genug‹. Der hatte Hoffnung auf ein Engagement in Wien oder Zürich; der nächste rechnete damit, eine kleine Rolle irgendwo im Film zu kriegen; wieder einer mußte auf seine Familie Rücksicht nehmen, die noch in Berlin sitzt. Der sechste ist schwach von Gesundheit und verträgt das viele Reisen nicht. Der siebente möchte seine eigene Truppe haben, der achte ist mit dem Autor verkracht, der meine Texte geschrieben hat – und der letzte kann mich persönlich nicht ausstehen. Es ist zum Wahnsinnigwerden!« Marion hatte schlenkernde, fast wilde Gesten vor Erregung. Sie ließ ihre Fingergelenke knacken und bekam drohende Augen.

      »Wir sind erst im Jahre 1933«, meinte Hummler begütigend, »und das Exil hat nur gerade angefangen. In einem Jahr, oder in fünf Jahren, werden die Herrschaften alle etwas weniger kapriziös geworden sein.«

      »Ich weiß aber gar nicht« – Marion schüttelte gereizt die Purpurmähne – »ob ich 1938 noch Lust haben werde, mit einer Truppe herumzureisen. Wenn sechs oder zehn Leute nicht unter einen Hut zu bekommen sind: gut, dann mache ich eben meinen Dreck alleine, wie der selige König von Sachsen gesagt hat. – Ich habe schon meine Pläne und Ideen«, verhieß sie, immer noch etwas grollend, aber doch schon fast wieder munter. »Wenn es sein muß, gehe ich ohne Ensemble auf Tour – ich, ein zartes, einsames Mädchen!«

      Sie grüßte kurz und ziemlich ungnädig zur Terrasse des »Café du Dôme« hinüber; denn dort saßen Herr Nathan-Morelli und Fräulein Sirowitsch und hatten ihr zugewinkt. Warum sie so unfreundlich nicke? – wollte Hummler wissen. Marion erklärte: »Ich habe diesen Nathan-Morelli nicht besonders lieb. Sein antideutscher Snobismus geht mir auf die Nerven.« – Darauf Hummler: »Er ist aber ein gescheiter, sehr gebildeter Mensch. Neulich habe ich mich mal lange mit ihm unterhalten. Er weiß enorm viel. Und ich glaube nicht, daß ihm Deutschland wirklich so gleichgültig ist, wie er es immer hinstellen möchte. Anfangs habe ich mich auch über ihn geärgert – du erinnerst dich: am ersten Abend gleich, auf der Terrasse vom ›Café Select‹ – aber allmählich habe ich kapiert, daß es sich da um etwas sehr Kompliziertes handelt, um eine Art von Liebeshaß.« Hummler bewies, daß er psychologisch geschult und keineswegs ohne feines Verständnis war. »Ein sehr ambivalentes Gefühl«, sagte er noch, klug und gebildet. »Mir hat Nathan-Morelli gestanden: Meinen Sie denn, ich bildete mir wirklich ein, Engländer zu werden? Engländer wird man nicht … Ich tue, was ich kann, um mich von Deutschland zu distanzieren – erklärte er mir – und ich glaube in der Tat, daß dies heute die einzig würdige Haltung für einen deutschen Juden ist; aber ich weiß doch nur zu genau, daß ich von diesem verdammten Land niemals loskommen werde. – Die Redewendung mit dem ›verdammten Land‹ hat mich ja wieder ein bißchen verstimmt. Aber im ganzen war es doch gar nicht so dumm, was er da alles vorgebracht hat.«

      »Er hat sicher seine braven Seiten«, räumte Marion ein; aber sie behielt ihr böses, unduldsames Gesicht. – »Und es ist ja rührend, wie die Sirowitsch ihm ergeben ist!« Hummler lag daran, Marion für diese beiden Menschen, die er schätzen gelernt hatte, zu interessieren. »Zunächst verhielt er sich nicht sehr entgegenkommend, ihr gegenüber; aber nach und nach hat sie ihn doch gewonnen. Jetzt sieht man sie beinah immer zusammen. – Man muß nur Geduld haben.« Dies äußerte Hummler mit bedeutungsvollem Blick. Er bemühte sich seinerseits, zäh und unermüdlich, um Marion, die ihm aber wenig Gunstbeweise gab.

      Bei der Schwalbe war es ziemlich voll. Dr. Mathes, der mit Meisje saß, winkte den Eintretenden zu, sich an seinen Tisch zu setzen. Der Arzt und das blonde Mädchen sahen glücklich aus; sie hatten einander gefunden – und Mathes außerdem eine Stellung. Durch besondere Protektion, die er Marcel Poiret verdankte, war er an einem Krankenhaus untergekommen und verdiente sogar ein bißchen. Meisje ihrerseits, die eingesehen hatte, daß sie als Blumenzüchterin hier wenig Chancen hatte, absolvierte einen Pflegerinnenkursus. Übrigens erhielt sie monatlich eine kleine Guldenanweisung von ihren Verwandten aus Holland. Die beiden waren also relativ wundervoll dran. Sie hatten sich eine Zweizimmerwohnung im XIV. Arrondissement genommen. Dort gab es, außer ihrem Bett, ein Sofa, auf dem fast jede Nacht ein anderer Emigrant schlief, und einen Tisch, an dem meistens zwei oder drei Fremde zu essen bekamen. Meisje, die bis jetzt ein einsam-jungfräuliches Leben geführt hatte, sah noch schöner aus, seit sie sich lieben ließ. Ihr klares, offenes Gesicht unter der Fülle des ährenblonden Haares schien zugleich weicher und stolzer geworden. Ein außerordentlich prachtvolles